Bundesrats-Jahr 2024 «Fraglich, wie es um Amherds Führungsqualität steht»

Von Gil Bieler

27.12.2023

Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider, Justizminister Beat Jans und Bundespräsidentin Viola Amherd: Im neu aufgestellten Bundesrat müssen sie 2024 besonders liefern. Wo liegen die Chancen, wo die Stolpersteine?

Von Gil Bieler

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Der Bundesrat regiert 2024 in neuer Zusammensetzung. Elisabeth Baume-Schneider wechselt vom Justiz- ins Innendepartement, der neu gewählte Beat Jans beerbt sie als Justizdirektor.
  • Viola Amherd wird als Bundespräsidentin unter anderem eine Lösung im Verhältnis zur EU suchen müssen. 
  • Wie präsentiert sich die Ausgangslage für diese drei Bundesratsmitglieder? blue News ordnet mit dem Politikwissenschafter Michael Hermann, dem Leiter des Forschungsinstituts Sotomo, ein.

Elisabeth Baume-Schneider wechselt ins Innendepartement. Der neu gewählte Beat Jans erbt von ihr das Justizdepartement. Und Viola Amherd wird Bundespräsidentin.

Ab 2024 regiert der Bundesrat in neuer Konstellation. Speziell im Fokus stehen jene drei Mitglieder, bei denen sich etwas verändert – wobei ihnen nicht nur wohlwollende Blicke gelten. 

Im Zentrum der Aufmerksamkeit: Der neu zusammengesetzte Bundesrat legt im Nationalratssaal am 13. Dezember den Amtseid respektive das Gelübde ab. 
Im Zentrum der Aufmerksamkeit: Der neu zusammengesetzte Bundesrat legt im Nationalratssaal am 13. Dezember den Amtseid respektive das Gelübde ab. 
Bild: Keystone

Elisabeth Baume-Schneider: auf zu neuen Ufern

Der Wechsel von SP-Bundesrätin Baume-Schneider kam überraschend – gemäss Recherchen der Titel von CH Media sogar für ihre Kolleg*innen in der Regierung. Mehrere Bundesratsmitglieder hätten sich an der Sitzung, als es um die Aufteilung der Ämter ging, völlig überrumpelt gefühlt, da sie nicht vorab über den Wechselwunsch informiert worden seien. 

Die Jurassierin hat erst ein Jahr an der Spitze des Justiz- und Polizeidepartements gewirkt. Ein Wechsel nach solch kurzer Zeit ist ungewöhnlich und brachte Baume-Schneider den Vorwurf ein, sie flüchte vor der Dauerkritik der SVP.

Die 59-Jährige selbst begründete den Wechsel damit, dass sie in den Themen im Innendepartement mehr Expertise habe. So oder so erwarten sie im neuen Amt nicht etwa ruhige Gewässer, sondern grosse Baustellen.

Die Sozialdemokratin startet gleich mit Abstimmungskampf: Am 3. März kommen zwei Volksinitiativen zur Altersvorsorge an die Urne. Die Vorlage für die Einführung einer 13. AHV-Rente wird von der SP unterstützt, der Bundesrat ist dagegen. Baume-Schneider muss hier also gegen ihre eigene Partei antreten.

«Aus ihrer persönlichen Perspektive ist der Departementswechsel durchaus sinnvoll», sagt Michael Hermann, Politikwissenschafter und Leiter des Forschungsinstituts Sotomo, zu blue News. Im Justizdepartement sei Baume-Schneider stark in die Defensive geraten, «zudem konnte sie ihre Stärke – das Volksnahe, Joviale – nicht wirklich ausspielen». Sozial- und Gesundheitsthemen seien eher ein Heimspiel für sie. Sie könne sich dabei als Verteidigerin der Sozialwerke in Szene setzen.

Ob der Wechsel auch im Sinne des Gesamtbundesrats ist, da ist der Experte skeptisch. Hermann erwartet etwa, dass sich Baume-Schneider nur mit angezogener Handbremse gegen die 13. AHV-Rente einsetzen wird. «Sie wird immer klar erkennen lassen, wo ihr Herz schlägt – nämlich links.»

«Sie wird immer klar erkennen lassen, wo ihr Herz schlägt – nämlich links.»

Michael Hermann ist Geschäftsführer des Forschungsinstituts Sotomo. (Archivbild)

Michael Hermann

Politikwissenschafter

Es gebe eine ganze Reihe solcher Themen, in denen Baume-Schneider eine Bundesratsmeinung vertreten müssen, die ihren eigenen Überzeugungen widerspreche. Die Prämien-Entlastungs-Initiative der SP kommt 2024 zur Abstimmung. Genauso die Pensionskassen-Reform, die die SP bekämpft. 

Die neue Rolle als Innenministerin könnte also eher Baume-Schneider selbst anstatt dem Gremium nutzen. «Die Bereitschaft, eigensinnig zu handeln, zeigte sie ja bereits bei der Departementsverteilung, als sie nicht einmal ihren Parteikollegen Beat Jans vorab informiert hat», sagt Hermann mit Verweis auf die Recherche von CH Media. 

Beat Jans: Start im Justizdepartement

Der neu gewählte SP-Bundesrat Beat Jans startet im Justiz- und Polizeidepartement. Ein Departement, das als eher unattraktiv gilt. Gerade von der SVP ist kaum Applaus zu holen, wenn man sich um Asylfragen und der Personenfreizügigkeit mit der EU kümmern muss.

Jans gilt als ausgesprochen europafreundlich: Dank seiner Herkunft ist es sich der heutige Basler Regierungspräsident gewohnt, Lösungen mit den Nachbarn zu finden – er preist diese Zusammenarbeit oft. «Es gibt kaum ein Problem, das wir nicht besser mit ihnen lösen», sagte er etwa im Interview mit der NZZ. Und er mahnte: Die Schweiz brauche jetzt dringend eine verlässliche, dauerhafte Beziehung zur EU.

Polit-Experte Hermann sagt: «Das Justizdepartement ist unbeliebt, und gerade für Linke nicht besonders angenehm, da sie eine bei der eigenen Basis unpopuläre Haltung vertreten müssen.» Jedoch sei es für Jans thematisch gleich weit entfernt wie etwa das Innendepartement, da er sich auch nicht als Sozial- und Gesundheitspolitiker hervorgetan habe.

Beat Jans: «Ich wollte als erstes meine Familie umarmen»

Beat Jans: «Ich wollte als erstes meine Familie umarmen»

Beat Jans strahlt über das ganze Gesicht, als er sich im Bundeshaus von Mikrofon zu Mikrofon vorarbeitet: Der frisch gewählte SP-Bundesrat ist der Mann der Stunde. Auch für blue News nimmt sich der Basler kurz Zeit.

13.12.2023

Der Basler lasse aber im Verhältnis mit der EU einen Willen erkennen, Lösungen zu finden. «Und anders als bei Baume-Schneider ist sein Gestaltungswille auch im Sinne des Gesamtbundesrats.» Basel sei auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen, daher könne Jans diese Position auch glaubwürdig vertreten. Als Regierungspräsident von Basel-Stadt kenne er die entsprechenden Dossiers wohl auch bereits.

Und: Im Gegensatz zu Baume-Schneider, die häufig frisch von der Leber rede, sei Jans «kontrollierter im Auftritt». Die Gefahr, der SVP ungewollt Angriffsfläche zu bieten, sei dadurch etwas kleiner.

Viola Amherd: für ein Jahr Chefin im Bundesrat 

Mitte-Bundesrätin Viola Amherd steht seit ihrer Wahl 2019 dem Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) vor. Die Walliserin wird als Bundespräsidentin 2024 vermehrt auch auf internationaler Ebene in Erscheinung treten – in einem Jahr, in dem eine Einigung mit Brüssel erzielt werden soll. 

«Vor uns liegt die Arbeit wie ein Berg», sagte Amherd nach ihrer Wahl zur Bundespräsidentin vor der Bundesversammlung, bei der sie mit 158 Stimmen ein nur unterdurchschnittliches Resultat erzielte. «Wir müssen zusehen, dass sie sich nicht zu einem 4000er oder einem Matterhorn auftürmt.» Dennoch sei sie zuversichtlich, dass es vorwärtsgehe.

«Über ihre Auftritte auf internationalem Parkett mache ich mir keine Gedanken, das wird sie meistern», sagt Hermann. «Fraglich ist eher, wie es um ihren Führungswillen und ihre Führungsqualität steht. Die Departementsverteilung war ihr erster Akt als Vorsitzende des Bundesrats, und da hat sie keine gute Falle gemacht.»

«Fraglich ist eher, wie es um Amherds Führungsqualität steht.»

Michael Hermann

Politikwissenschafter

Laut dem Bericht von CH Media gab es aus mehreren Departementen Kritik an Amherd. Sie habe die Sitzung schlecht vorbereitet und hätte ihre Kolleg*innen vorab informieren sollen, dass Baume-Schneider das Departement wechseln wolle. Dass ein so wichtiger Entscheid am Ende trotzdem durchgewinkt wurde, findet Hermann fragwürdig.

Führungsstärke brauche es auch in den Verhandlungen mit Brüssel: «Auch hier muss sie bereit sein, jemandem auf die Füsse zu treten, nicht den Weg des geringsten Widerstands zu gehen», sagt der Politikwissenschaftler. 

Viola Amherd ist Bundespräsidentin 2024

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Mitte-Bundesrätin Viola Amherd wird 2024 als Bundespräsidentin amten. Eine Delegation aus dem Wallis empfängt die Verteidigungsministerin bei den Drei Eidgenossen im Bundeshaus nach ihrer Wahl.

13.12.2023

In die Kritik geriet Amherd zuletzt wegen personeller Turbulenzen in ihrem Departement: Anfang 2024 soll das neue Staatssekretariat für Sicherheitspolitik (Sepos) starten, doch wer dessen Leitung übernimmt, war bis vor Kurzem unklar. Der Wunschkandidat Jean-Daniel Ruch musste sich zurückziehen, weil er laut Berichten aufgrund seines Privatlebens erpressbar gewesen wäre. Auch andere Kandidaten sagten ab.

Am 22. Dezember endlich war ein oberster Sicherheitschef gefunden: Die Aufgabe übernimmt Markus Mäder, bisher Chef Internationale Beziehungen Verteidigung beim VBS.

Ausserdem haben laut NZZ-Recherche im VBS zuletzt mehrere Mitarbeiter*innen gekündet, die im wichtigen Bereich Sicherheitspolitik tätig waren.

Auf der anderen Seite kann die Verteidigungsministerin auch Erfolge verbuchen: Sie brachte den Kauf neuer Kampfjets durch und konnte einen echten Geldsegen einfahren: Das Militärbudget wird in den nächsten Jahren schrittweise auf rund 9 Milliarden Franken erhöht – und damit fast verdoppelt. Dies freilich als Folge des russischen Überfalls auf die Ukraine.

Auf die Gerüchte, die 61-jährige Amherd könnte nach ihrem Präsidialjahr zurücktreten, gibt Hermann nicht allzu viel: «Das sagt mehr über jene in der Mitte-Partei aus, die sie gerne beerben würden und die jetzt schon mit den Hufen zu scharren beginnen.»

Karin Keller-Sutter: der Joker

Das waren jetzt drei der sieben Bundesratsmitglieder. Wen sonst hat Politik-Experte Michael Hermann 2024 besonders im Blick? Seine Antwort: Finanzministerin Karin Keller-Sutter.

Die FDP-Bundesrätin soll eine dominante Rolle im Bundesrat innehaben und ist als oberste Säckelmeisterin von Amtes wegen zum Sparen angehalten. Doch sowohl die Initiative für eine 13. AHV-Rente des Gewerkschaftsbundes als auch die Prämien-Entlastungs-Initiative der SP haben laut Hermann realistische Chancen, vom Volk angenommen zu werden – und wären eine grosse Belastung für die Bundesfinanzen.

«Ich könnte mir gut vorstellen, dass es zu einem medialen Duell zwischen Finanzministerin Keller-Sutter und Sozialministerin Baume-Schneider kommt. Zu einer Art Good Cop/Bad Cop-Konstellation», sagt Hermann.

Finanzministerin Karin Keller-Sutter wird 2024 auf die Kostenbremse drücken müssen.
Finanzministerin Karin Keller-Sutter wird 2024 auf die Kostenbremse drücken müssen.
Keystone