Roger Federer gibt zu, dass er lange mit seinem Entscheid, vom Spitzensport zurückzutreten, gerungen hat. Im Interview spricht er erstmals über den Prozess, der dazu führte, und seine Zukunftspläne.
In London, an dem Ort, wo er mit acht Wimbledontiteln und zwei seiner sechs Masters-Siegen viele seiner schönsten Erfolge errungen hat, schreibt Roger Federer diese Woche beim Kontinente-Wettkampf um den Laver Cup die letzte Episode seiner Karriere als aktiver Tennisprofi. Zeit, um in einem kleinen Kreis von Schweizer Journalisten über seine Emotionen der letzten Wochen und Monate zu plaudern.
Der Raum ist zwar ohne viel Licht, heisst aber passend «Fab Room». Der 41-jährige Superstar bietet den sieben Journalisten, die er meist seit vielen Jahren kennt, erst einmal einen Kaffee an und macht es sich dann bequem. Für seine angereisten Landsleute nimmt er sich viel Zeit. «Ich habe euch Journalisten ab und zu ein bisschen vermisst», sagt er lachend.
Roger Federer, wie haben sie die Zeit vor dem Rücktrittsentscheid erlebt?
Jetzt geht's mir besser. Vorher hatte ich Knoten im Bauch. Die Botschaft für die Fans zu schreiben, war sehr emotional. Ich habe alles so lange hinausgeschoben. Es bedeutet doch einen grossen Schritt, auch wenn ich wusste, er kommt einmal. Jetzt kann ich viel lockerer darüber sprechen.
Gab es Zweifel am Entscheid?
Es gibt keine Zweifel. Es war aber auch anstrengend, das ganze für mich zu behalten. Das Knie machte einfach keine Fortschritte mehr, es war am Maximum angekommen. Ich war an einer Kreuzung angelangt. Da musste ich mir die Frage stellen, was das noch bringt. Das Eis war sehr dünn geworden. Ich wusste, dass es der richtige Entscheid war.
Bis wann haben Sie noch an das Comeback geglaubt?
Bis und mit Wimbledon hatte ich wirklich gedacht, es könnte nochmal kommen. Anfang Sommer war ich wieder bereit, athletische Sachen zu machen. Irgendwann wurde es zu viel für das Knie. Ich merkte, uiuiui, es geht zu lang, jetzt wirds schwierig.
Wann haben sie den definitiven Entscheid gefällt?
Als ich für die Feierlichkeiten zum 100-Jahr-Jubiläum des Centre Courts in Wimbledon auf dem Platz stand, ging mir durch den Kopf, dass das vielleicht das letzte Mal sein könnte. Erst wollte ich gar nicht hin. Dann hat mich die Tochter von Frank Sedgman gefragt, ob ich ein Video für ihn mache. Er ist der Einzige, der in Wimbledon Einzel, Doppel und Mixed gewonnen hat. Er wäre gerne auch gekommen, aber er ist 93 und lebt in Australien. Da habe ich gedacht, und ich bin so nahe, in der Schweiz. Also habe ich in meine Agenda geschaut. Da stand «RF off» (lacht). Also frei. Ich bin sehr froh, dass ich gegangen bin. Danach war ich noch in den Ferien und habe das Thema gemieden. Es war aber auch schwierig für meine Eltern und mein Umfeld, die wussten, wie es mir geht und nicht wussten, was sagen, wenn sie gefragt wurden. Ich musste alles etwas sacken lassen. Ich war so müde, hatte so viel gegeben für das Comeback und die Reha, immer positiv zu sein mit dem Knie. Nach dem Entscheid ist das abgefallen.
Wie geht es dem Knie jetzt?
Ich habe heute (Dienstag) und gestern mit Tsitsipas gespielt. Es war schon vorher klar, dass ich kein Einzel spielen kann. Auch deshalb war klar, dass ich in Basel nicht mehr antreten kann. Aber mit dem Modus am Laver Cup denke ich, dass ich am Freitagabend das Doppel werde spielen können. Ich habe Björn Borg (Captain des Teams Europa) gefragt, ob das okay ist. Er sagte, es sei bereits ein Traum, mich noch einmal auf dem Tennisplatz zu sehen. Ich werde es versuchen. Ich war eigentlich positiv überrascht von meinem Niveau.
Sie haben nie genau über die Schwere und Art Ihrer Knieverletzung gesprochen.
Und werde es wahrscheinlich nie tun. Das ist Privatsache, manches weiss ich auch selber gar nicht genau. Das ganze Comeback letztes Jahr war extrem hart, ich war so weit weg von 100 Prozent. Der Viertelfinal in Wimbledon war eigentlich schon unglaublich. Der letzte Satz gegen Hurkacz (0:6), als ich merkte, es geht nicht mehr, aus, fertig, waren vielleicht die schlimmsten Stunden meiner Karriere. Danach hatte ich Raketen im Kopf und überlegte mir: Was sage ich jetzt der Presse? Trotzdem konnte ich es noch irgendwie geniessen, nochmals auf dem Platz zu stehen.
Im Alltag macht das Knie aber keine Probleme?
Im Alltag ist alles okay. Ziel ist es natürlich, dass ich wieder Ski fahren und Fussball spielen kann. Das ist ja nicht wie Velo fahren oder schwimmen. Wir werden sehen.
Sie sagten einmal, nach ihrer Karriere brauchten sie nicht auch noch einen kitschigen Abschluss. Hatten Sie kein bestimmtes Turnier im Kopf?
Ich hatte nie ein bestimmtes Turnier als Abschluss im Kopf. Ich wollte einfach nochmal vor den Leuten spielen. Irgendwann habe ich gemerkt, dass es für Grand Slams wohl nicht mehr reicht, aber vielleicht 250er- oder 500er-Turniere. Das würde mir auch schon reichen.
Sie versprachen ja, Sie würden weiter Tennis spielen.
Ich will den Fans nicht die Hoffnung nehmen, dass ich wieder mal da bin. Ich finde es so schade, wenn ehemalige Topspieler aufhören, und man sieht sie nicht mehr. Wie bei Borg während 25 Jahren. Jedem das Seine, aber das bin nicht ich. Ich habe diesen Sport so gerne, ich will ihm weiterhin nahe sein. Ich habe auch mit Exhibitions die Möglichkeit, Stadien zu füllen. Es muss ja nicht immer das grösste sein, man kann auch mit 10'000 eine gute Zeit haben. Ein grosser Wunsch ist noch ein Match in den nächsten 6 bis 9 Monaten, zu dem ich alle meine ehemaligen Coaches und Freunde einlade, um Adieu und Danke zu sagen.
Haben Sie weitere konkrete Pläne zur Zukunft?
Noch nicht. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sage (lacht). Never! Vor ein paar Monaten dachte ich aber: Warum nicht kommentieren? Ab und zu, in Wimbledon zum Beispiel. Das würde helfen, Kontakt mit Spielern und der Tour zu halten. Gross darüber nachgedacht habe ich aber noch nicht. Ich habe den grossen Vorteil, dass ich nicht muss. Ich darf wollen.
Wie hat Ihre Familie den Rücktritt aufgenommen?
Es war auch für (Ehefrau) Mirka ein rechter Prozess. Die letzten Jahre waren wahrscheinlich hart, sie hat es wohl nicht mehr genossen zuzuschauen. Für sie ist es, glaube ich, eine grosse Erleichterung. Den Kindern hab ich's erst am Tag vor der öffentlichen Videobotschaft gesagt. Sie wurden doch sehr emotional und fragten dann: Dürfen wir dann nicht mehr nach Wimbledon, Halle oder Indian Wells? Sie sind etwas traurig, aber haben ja auch immer den Wunsch geäussert: Hör auf mit dem Tennis, wir wollen Ski fahren.
War es auch für Sie selber eine Art Trauerprozess?
Ja, das kann man so sagen. Am Anfang war ich traurig, dann habe ich es verdrängt, dann eine Art Trauerprozess durchgemacht. Das hat mir sicher gutgetan, deshalb kann ich jetzt Interviews geben. Vor sechs Wochen hätte ich kein Wort rausgebracht. Es soll ja mehr nach Party als nach Beerdigung aussehen. Ich hab Tony (Godsick, der Manager) gesagt, wenn ihr am Laver Cup etwas organisiert, dann lieber ohne Reden. Nicht, dass ich dann im Rampenlicht nichts rausbringe.
Wie haben Sie sich für die Art der Bekanntgabe entschieden?
Erst wollte ich einen Brief schreiben und posten. Dann habe ich gemerkt, das ist ja ein Riesenbrief, viel zu lang, vielleicht können die Leute dann meine Schrift nicht lesen. Warum nicht eine Audiobotschaft? Jetzt bin ich sehr zufrieden. Insgesamt habe ich etwa 20 Versionen geschrieben, bin jedes Wort x Mal durchgegangen.
Wie haben Sie Reaktionen aufgenommen?
Als es online ging, habe ich gewartet und geschaut. Und merkte dann, dass es ja noch einen Moment dauert, bis sie gehört haben, was ich de ‹schwätze› (lacht). Also kam erstmal viereinhalb Minuten nichts. Besonders gefreut haben mich vor allem die Reaktionen auf mich als Mensch, die nichts mit Rekorden zu tun haben.
sda