Die Chronologie zum YB-Absturz So wurde Wicky innert drei Monaten vom Helden zum Buhmann

Von Jan Arnet

4.3.2024

Jan Arnet

Raphael Wicky ist nicht mehr YB-Trainer.
Raphael Wicky ist nicht mehr YB-Trainer.
Keystone

Die Zeit von Raphael Wicky bei den Young Boys ist vorbei. Dabei war der 46-Jährige vor Kurzem noch ein gefeierter Held. Wie konnte es innert kürzester Zeit zum Absturz kommen? 

Erst knapp drei Monate ist es her, als sich die Young Boys im Hoch befanden. Mit einem 2:0 gegen Roter Stern Belgrad sicherten sich die Berner Platz 3 in ihrer Champions-League-Gruppe und damit das Überwintern im Europacup. In der Super League hatte YB zu diesem Zeitpunkt – wie jetzt – auch nur einen Punkt Vorsprung. Doch es gab kaum Argumente, die dafür sprachen, Raphael Wickys im Sommer auslaufender Vertrag nicht zu verlängern.

Wicky hatte den Bernern nach der titellosen Saison 2021/22 und dem Fiasko mit Seoane-Nachfolger David Wagner den Erfolg zurückgebracht und YB gleich in seiner ersten Saison zum Double und in die Champions League geführt. Entsprechend fragte blue News am 29. November nach dem Sieg über Roter Stern: «Was spricht noch gegen eine Vertragsverlängerung von Wicky?»

Jetzt, drei Monate später, wird der Walliser entlassen. Überraschend kommt die Trennung trotz der anderthalb erfolgreichen Jahre davor nicht mehr. Denn in den letzten Wochen passte bei YB fast nichts mehr zusammen. Aus den letzten sieben Pflichtspielen konnten die Berner nur eines (gegen Schlusslicht Lausanne-Ouchy) gewinnen.

In der Europa League und im Cup ist YB ausgeschieden und jetzt droht auch der Verlust des Meistertitels. Darüber hinaus gab's immer wieder Anzeichen, die erahnen liessen, dass es auch in der Mannschaft kriselt. 

17. Dezember: Nsame teilt gegen Wicky aus

Mit einem 3:1-Sieg bei Lausanne-Ouchy beendet YB die Hinrunde mit fünf Punkten Vorsprung auf die Konkurrenz. Ausserdem steht YB im Cup-Viertelfinal und im Sechzehntelfinal der Europa League. Friede, Freude, Eierkuchen in der Hauptstadt? Von wegen. 

In einem «Le Matin»-Interview schiesst Topskorer Jean-Pierre Nsame öffentlich gegen Wicky. «Wirklich wütend» sei er über seine Rolle, die irgendwo zwischen Stammspieler und Edelreservist liegt. Nur wenige Tage später zeigt sich auch Aurèle Amenda «enttäuscht» über seine Einsatzzeiten. 

8. Februar: Kein Bekenntnis zu Wicky

Das Nsame-Problem löst sich letztlich von alleine, der Stürmer darf nicht zu Servette wechseln und geht stattdessen in die Serie B zu Como. Und bei Amenda wird klar, dass er im Sommer zu Frankfurt wechseln wird. Ein Rätsel bleibt aber auch nach der Winterpause die Situation um Wicky.

YB-Chefstratege Christoph Spycher verrät Anfang Februar im Fussball-Talk «Heimspiel» bei blue Sport, dass man sich immer noch nicht entschieden habe. «Einerseits hat YB gewisse Vorstellung und Ideen für die Zukunft. Andererseits hat Raphi auch seine eigenen Ideen, sowohl sportlich oder privat.» Am Schluss werde man sehen, ob es zusammenpasst oder nicht, so Spycher. «Wir werden kommunizieren, wenn wir so weit sind.»

15. Februar: Der Exploit gegen Sporting bleibt aus

In der Europa League erwischen die Young Boys mit Sporting Lissabon ein schweres Los. Und YB bleibt letztlich auch chancenlos. Nach der 1:3-Heimniederlage im Hinspiel ist die Sache eigentlich schon gegessen. Im Rückspiel gibt es mit einem 1:1 immerhin noch einen versöhnlichen Abschluss einer insgesamt erfolgreichen Europacup-Kampagne.

Aber auch dieser verläuft nicht ohne Nebengeräusche. Auf dem Feld kommt es in Lissabon zu Diskussionen, wer den Penalty schiessen darf. Silvère Ganvoula schnappt sich schliesslich den Ball, obwohl er nicht dafür vorgesehen ist, und trifft. Nach dem Spiel rüffelt Wicky den Stürmer: «Es ist keine schöne Sache, wenn sich ein Spieler über die Mannschaft stellt. Es gibt Regeln und es ist klar, dass ich erwarte, dass sich alle daran halten.»

25. Februar: Pleite im Spitzenspiel

YB empfängt Servette und hat die Chance, den Vorsprung auf die Genfer auf zehn Punkte auszubauen und im Meisterrennen davonzuziehen. Doch die Berner verlieren 0:1 und damit zum ersten Mal zu Hause seit März 2022 wieder ein Liga-Spiel. Der Vorsprung schmilzt auf vier Punkte.

Nach der Partie geht YB-Captain David von Ballmoos auf seine Mitspieler los. «Ich glaube, es war nicht jedem bewusst, um was es heute gegangen ist», sagt der verärgerte Goalie bei blue Sport. «Ich habe das Gefühl, der eine oder andere hatte zu wenig Motivation.»

Im Studio von blue Sport reagiert man überrascht auf die Klartext-Aussagen des YB-Keepers. «Da gehen bei mir die Alarmglocken los», sagt Ciriaco Sforza. «Mit einem solchen Interview bringst du nur Unruhe rein. So bringst du auch den Trainer in eine Situation, die nicht schön ist. Das finde ich gefährlich.»

29. Februar: Cup-Aus gegen Sion

Dann kommt der Cup-Viertelfinal gegen Challenge-League-Klub Sion – und YB scheidet alles andere als unverdient mit 1:2 aus. Nichts wird es aus der Double-Verteidigung.

«Es ist eine schwierige Phase, eine schwierige Woche. Wir müssen zusammenstehen und können da nur gemeinsam wieder rauskommen», sagt ein enttäuschter Wicky nach dem Cup-Aus.

3. März: Die eine Niederlage zu viel

YB schafft unter Wicky auch in der Liga den Turnaround nicht. Auswärts gegen den ebenfalls nicht aus einem Formhoch kommenden FC Zürich verlieren die Berner am Sonntag mit 0:1. Damit schrumpft der Vorsprung auf Servette auf ein Pünktchen.

4. März: YB zieht die Reissleine

Am Montagmorgen teilt YB mit, dass man sich per sofort von Wicky trennt. «Die Trennung schmerzt uns sehr», hält Spycher in einer Mitteilung des Klubs fest. Nach «reiflicher Überlegung» sei man zum Schluss gekommen, dass die Mannschaft frische Energie brauche, um den herausfordernden Weg zurück zum Erfolg gehen zu können.

«Die Leistungen der Mannschaft entsprachen seit einiger Zeit nicht unseren Erwartungen», wird Sportchef Steve von Bergen zitiert. Nach den jüngsten Ereignissen «wurde die Hoffnung kleiner, dass sich die Lage in dieser Konstellation verbessern wird, obwohl wir aus meiner Sicht alles versucht haben, die Wende zu schaffen».

Am Sonntagabend hätten von Bergen und Wicky nach der Niederlage in Zürich eine Auslegeordnung vorgenommen. Während des Gesprächs habe man festgestellt, «dass wir unterschiedliche Ansätze haben, wie wir aus dieser schwierigen Situation herausfinden könnten».

Der bisherige U21-Coach Joël Magnin wird die Mannschaft nun interimistisch bis zum Saisonende übernehmen.

«YB hatte wohl Angst, dass man die Meisterschaft noch hergibt»

«YB hatte wohl Angst, dass man die Meisterschaft noch hergibt»

Für Michael Wegmann, Redaktionsleiter blue Sport, ist die Reaktion von YB, Raphael Wicky zu entlassen, hart, aber verständlich.

04.03.2024