Erbitterte Gefechte in Kursk«Aufhören würde unseren Tod bedeuten»
toko
15.1.2025
Die Gefechte in der russischen Region Kursk toben immer heftiger. Putin will das Gebiet mit Hilfe aus Nordkorea so schnell wie möglich zurückerobern – auch mit Blick auf mögliche Verhandlungen.
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15.01.2025, 04:30
15.01.2025, 04:50
Oliver Kohlmaier
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
In der russischen Region Kursk kämpfen die Ukraine und Russland um jeden Quadratmeter Land.
Russland wird dabei von geschätzt 12'000 nordkoreanischen Soldaten unterstützt.
Auch deshalb haben sich die Kämpfe in den vergangen Wochen deutlich intensiviert. Ukrainische Soldaten berichten von brutalen Kämpfen am Rande der Erträglichkeit.
Kursk könnte in möglicherweise bald anstehenden Waffenstillstandsverhandlungen noch eine wichtige Rolle spielen.
Als ukrainische Kampfverbände im Sommer in der russischen Region Kursk einfielen, staunte die ganze Welt. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg befanden sich wieder feindliche Soldaten auf russischem Territorium – eine Blamage für Präsident Wladimir Putin.
Ukrainische und russische Truppen kämpfen auch vier Monate später um jeden Quadratmeter Land in Kursk. Denn setzen sich Kiews Truppen weiterhin auf russischem Territorium fest, könnte dies in möglichen Waffenstillstandsverhandlungen noch eine wichtige Rolle spielen.
Angesichts der Aussicht auf einen unberechenbaren neuen US-Präsidenten – der versprochen hat, den Krieg «in einem Tag» zu beenden, ohne die Bedingungen zu klären – hofft die Ukraine, russisches Territorium als Verhandlungsmasse nutzen zu können, schreibt die «New York Times».
Putin will Kursk aus denselben Gründen so schnell wie möglich zurückerobern – und holt sich dafür auch Hilfe aus Nordkorea. «Die Russen müssen dieses Gebiet um jeden Preis einnehmen und stecken all ihre Kräfte hinein, während wir alles tun, um es zu halten», sagt der Anführer eines ukrainischen Infanteriezugs der Zeitung.
Zahlreiche ukrainische Soldaten berichten von heftigen und erbitterten Kämpfen im Feindesland. Mit Eintreffen der nordkoreanischen Truppen hätten sich die Gefechte abermals intensiviert.
«Die Situation hat sich deutlich verschlechtert, als die Nordkoreaner eintrafen», sagt der 30-jährige Oleksiir. «Sie üben massenhaft Druck auf unsere Fronten aus, finden Schwachstellen und brechen durch sie hindurch.»
Ukraine nimmt zwei nordkoreanische Soldaten in Kursk gefangen
STORY: Die ukrainischen Truppen in der russischen Oblast Kursk haben nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zwei nordkoreanische Soldaten gefangengenommen. Sie seien verletzt und nach Kiew gebracht worden, teilte Selenskyj am Samstag auf der Plattform X mit. Er schrieb unter anderem, dass die beiden nordkoreanischen Soldaten wie alle Kriegsgefangenen die notwendige medizinische Hilfe erhalten würden. Und der Presse werde die Möglichkeit gegeben, mit ihnen zu sprechen. Die Gefangenen kommunizierten zudem mit dem ukrainischen Inlandsgeheimdienst SBU, fügte Selenskyj hinzu, nannte aber keine weiteren Details. Es ist das erste Mal, dass die Ukraine die Gefangennahme nordkoreanischer Soldaten bekanntgibt, die überlebt haben. Zuvor waren nordkoreanische Soldaten zwar gefangengenommen worden, die aber so schwer verletzt waren, dass sie kurz darauf starben. Nordkorea hat mindestens 10.000 reguläre Soldaten nach Russland geschickt. Im Oktober waren sie an der Seite des russischen Militärs in den Krieg eingetreten. Der Ukraine zufolge sind sie in in dem Gebiet von Kursk im Einsatz.
13.01.2025
Mit Schrotflinten gegen Drohnen
Mit der Hilfe von rund 12'000 Nordkoreanern ist es Russland nunmehr gelungen, etwa die Hälfte des im Sommer verlorenen Territoriums zurückzuerobern.
Die heftigen Kämpfe sind in dem Gebiet deutlich sichtbar: Ein stetiger Strom von Panzern, gepanzerten Mannschaftstransportern und anderen Fahrzeugen rollt an kaputtem und gesprengtem Kriegsmaterial vorbei.
Indessen explodieren in den Grenzdörfern mit gewaltiger Wucht russische Bomben. In die andere Richtung fliegen ukrainische Raketen. Russland hat das Kriegsgebiet mit Drohnen regelrecht übersät. Die beste Verteidigung gegen sie sei derzeit eine Schrotflinte, sagen die ukrainischen Soldaten.
Seit über einem Jahr sind die russischen Streitkräfte in der Ostukraine in der Offensive und erzielen trotz erschreckend hoher Verluste stetige Vorstösse. Mit dem Einmarsch in Kursk will die Ukraine eine Pufferzone schaffen, um Hunderttausende Zivilisten in der Stadt Sumy zu schützen, die weniger als 30 Kilometer von der Grenze zu Russland entfernt liegt. Zudem will Kiew den Druck an der Ostfront verringern, indem sie die Russen auf ihr eigenes Land zurückdrängt.
Während Selenskyj den Einfall in Kursk als grossen Erfolg darstellt, warnen Militärexperten bereits, dass die ukrainischen Streitkräfte durch die Kursk-Kampagne zunehmend überfordert und in der östlichen Donbass-Region an Boden verlieren könnten.
«Wir geraten in Rückstand»
Indessen sind die ukrainischen Soldaten in Kursk überzeugt, dass die schmerzlichen Verluste in der Ostukraine ohne ihren Einsatz noch schlimmer ausgefallen wären. Man müsse verstehen, dass Russland in diesem Gebiet ihre besten Elitesoldaten und Reservesoldaten einsetze, sagt Hauptmann Oleksandr Shyrshyn, Bataillonskommandant der 47. Mechanisierten Brigade.
Shyrshyn ist noch immer gezeichnet von den schweren Kämpfen der vergangenen Tage. Nach dessen Angaben griffen russische Truppen ihre Stellungen in sechs Wellen an und setzten dabei mehr als 50 Panzer, gepanzerte Mannschaftstransportwagen und andere Fahrzeuge ein. «Wenn die erste Welle kommt, konzentrieren wir uns darauf, kümmern uns darum, und dann kommt die nächste», sagt der Kommandant und fügt hinzu: «Wir geraten in Rückstand.»
Es sei nach wie vor schwer zu ertragen, sagte er, dass so viele Menschen im Westen den Krieg in der Ukraine wie ein Videospiel betrachteten und sich weigerten, die Bedrohung zu erkennen, die Russland für die Welt darstelle.
Er räumte zwar ein, dass die Moral der Ukrainer in den fast drei Jahren des Krieges gesunken sei, betont aber auch, dass die meisten Soldaten immer noch wüssten, warum sie kämpfen müssten. «Aufhören würde unseren Tod bedeuten, das ist alles», sagt er.
Maschinengewehrschützen müssen ausgewechselt werden
«Man schaut hin und kann gar nicht begreifen, wo man ist, wenn man jeden Tag sieht, wie viele Menschen wir zerstören», sagt Zugführer Oleksandr und vergleicht die Gefechte in Kursk mit der Schlacht um Bachmut.
Dort mussten Maschinengewehrschützen regelmässig ausgewechselt werden, weil sie mit dem Tempo der Tötungen nicht zurechtkamen. «Nachdem sie zwei Stunden lang so viele Menschen niedergestreckt hatten, konnten sie es psychisch nicht mehr ertragen.»
«Hier ist es jetzt genauso», sagt er und zeigt ein Handyvideo: Das Feld übersät mit Leichen, zerrissen und verdreht und so aufgestapelt, dass es schwer war, die Toten zu zählen.
Am schlimmsten sei es für die Infanterie, sagt Oleksandr. «Wenn du da sitzt und sie auf dich zukommen und alles auf dich zufliegt.»