Am Tag nach der Klatsche gegen Deutschland lässt Seraina Piubel im Gespräch mit blue Sport den Vorabend noch einmal Revue passieren. Dabei spricht sie den Fans ein grosses Dankeschön aus und ist bereits wieder zu kleinen Spässchen aufgelegt.
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- Die Schweizer Nati verliert das Testspiel am Freitagabend gegen Deutschland vor einer Rekordkulisse von über 17'000 Fans 0:6.
- Seraina Piubel, die in der Halbzeit für Alisha Lehmann eingewechselt wurde, spricht am Samstag exklusiv bei blue Sport über die bittere Pleite und gewährt einen Einblick ins Innenleben des Teams.
- Trotz des Nackenschlags bleibt Piubel positiv und hofft darauf, dass die Nati aus den Fehlern lernt und am Dienstag auswärts gegen England wieder ein anderes Gesicht zeigt.
Seraina Piubel, ist diese Niederlage vielleicht das Beste, was euch passieren konnte? Ihr wisst jetzt: An guten Tagen können wir alle schlagen, aber wenn wir auch nur ein paar Prozent nachlassen, dann kommt es gegen die Grossen nicht gut …
Es ist natürlich schwierig, uns mit Deutschland zu vergleichen. Das ist eine Weltmannschaft, das muss man einfach sagen. Sie haben schon extrem viel erreicht. Wir betrachten das jetzt auch als eine Lektion. Wir können vieles aus dem Spiel herausnehmen und gewisse Punkte analysieren. Auch Sachen, die wir trotz des brutalen Resultats gut gemacht haben. Das Wichtigste ist, dass wir gegen England die Dinge, die wir jetzt analysieren werden, besser machen.
Sie haben in der ersten Halbzeit von draussen gesehen, wie mit Alisha Lehmann und Ana-Maria Crnogorcevic zwei «Konkurrentinnen» von Ihnen alles andere als überzeugt haben. Was ging Ihnen da durch den Kopf?
Generell finde ich, dass die erste Halbzeit gut war. Wir standen kompakt, waren nahe am Gegner, konnten Druck aufbauen und waren aggressiv. Wir hatten die Konter, wir hatten die Chancen. Und wenn wir die verwerten, dann sieht das Spiel vielleicht auch anders aus in der Pause. Aber ich war zufrieden mit dem, was ich in der ersten Halbzeit von draussen gesehen habe.
Aber als Sie gesehen haben, was da für Chancen liegen gelassen werden, haben Sie da im tiefsten Inneren nicht gedacht: Oh man, ich will jetzt rein, ich kann das besser …
Gut, rein will ich immer. Aber man muss auch sagen, es war ein schwieriger Ball bei Alisha. Der kommt von oben und bis sie ihn überhaupt kontrollieren kann, können die Gegenspielerinnen schon wieder aufrücken. Ich glaube, es ist immer schwierig in so einer Situation zu sein. Und ja, alleine auf den Goalie zu laufen sowieso, das ist immer mit Druck verbunden.
Sie wurden in der zweiten Halbzeit für Alisha Lehmann eingewechselt, hatten aber einen schweren Stand. Ihr wurdet von Deutschland erdrückt und Sie haben kaum Bälle bekommen. Wie schätzen Sie ihre Leistung ein? Ist das nach dieser Partie überhaupt möglich?
Ich muss ehrlich sein. Wirklich zufrieden bin ich nicht mit mir selber. Aber klar, es war ein guter Gegner. Sie haben uns schon recht dominiert in der zweiten Hälfte. Bei Ballbesitz war es dann auch wirklich schwierig. Aber vielleicht kann man schon mit Eigeninitiative noch etwas reissen. Das ist mir jetzt gestern auch nicht gelungen. Aber man kann aus jeder Situation etwas lernen und wir werden daran arbeiten.
Man sollte ja grundsätzlich nicht zu viel über diejenigen reden, die nicht dabei sind. Aber ihr habt gerade gewichtige Ausfälle zu beklagen mit Lia Wälti, Ramona Bachmann und so weiter. Seid ihr vielleicht auch deshalb so eingebrochen und habt euch abschiessen lassen?
Klar haben erfahrene Spielerinnen gefehlt, das muss man sagen. Aber nichtsdestotrotz müssen wir auch hinsichtlich der EM 2025 bereit sein, mit den Spielerinnen die wir haben, das Beste auf den Platz zu bringen. Aber ich bin optimistisch. Wir haben jetzt noch ein halbes Jahr und wir wollen aus jedem Zusammenzug das Bestmögliche herausholen.
Die meisten wissen wohl, was sie hätten besser machen können. Das hört man dann vielleicht lieber nicht noch hundert Mal. Wäre es verkehrt, sich bei der Analyse auf die positiven Aspekte zu beschränken, um das Selbstvertrauen wieder zu stärken?
Ja, das auf jeden Fall. Wir hatten ja auch gute Aktionen in den 90 Minuten. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns auf diese Dinge konzentrieren. Das gibt Mut und Selbstvertrauen. Ich will mir jetzt nicht nochmals die sechs Gegentore anschauen. Das bringt uns wirklich nichts. Das Trainerteam wird das schon richtig machen.
Apropos positiv: Ihr habt schon wieder vor einer Rekordkulisse gespielt.
Ich muss wirklich sagen, es ist schon krass zu sehen, dass wir über 17'000 Zuschauer*innen im Letzigrund hatten. Dass trotz des kalten Wetters so viele Fans gekommen sind, ist mega schön. Da merkt man, dass die Vorfreude auf die Frauen-EM schon da ist. Klar war es jetzt von uns nicht die beste Leistung, aber vielleicht haben die Fans ja umso mehr Freude gehabt, dass sie sechs Tore gesehen haben.
Übertreiben müssen Sie jetzt aber auch nicht …
Das mit den Toren war natürlich nur Spass.
(Die Stimmlage und Gestik Piubels während ihrer Aussage hätten auch keinen anderen Schluss zugelassen; Anm.d.Red.)
Hätten Sie sich vor drei, vier Jahren vorstellen können, dass das Stadion an einem kalten Novemberabend so voll ist? Und es war ja «nur» ein Testspiel.
Ich weiss gar nicht. Aber all die Leute zu sehen, das ist mega schön. Wir sind unendlich dankbar, dass so viele Leute gekommen sind. Da freut man sich so richtig, dass die EM 2025 in der Schweiz ist.
Was man auch sagen muss: Das Publikum ist bei euren Spielen immer sehr friedlich und familiär. Gerade im Letzigrund ist man sich das ja nicht immer gewohnt … Nehmt ihr das auch so wahr?
Ich glaube, es ist auch immer etwas anderes, ob Vereine gegeneinander spielen oder Nationen. Klar sind auch viele von Deutschland gekommen, aber unsere Schweizer haben uns auch wieder wunderbar vertreten auf der Tribüne. Und wir merken das. Auch wenn es schwierig ist, dann schaust du ins Publikum oder du hörst sie und das gibt dir schon noch einmal einen Kick.
Für Sie war es ja sowieso ein Heimspiel hier in Zürich. Da waren sicher auch viele Freunde, Freundinnen und Familienmitglieder da. Wie fühlt sich das an?
In Zürich spiele ich immer gerne. Das ist so und wird auch immer so sein. Vom FCZ kamen auch viele, das ist immer schön zu sehen. Freunde und Familie sowieso. Es ist auch noch cool, dass wir sie nach dem Spiel sehen können. Lange war es so, dass wir jeweils noch zu ihnen auf die Tribüne gehen konnten, inzwischen haben wir aber einen «Family-Corner» und dann kann man sich in Ruhe noch ein bisschen mit ihnen austauschen.
Nach so einer Pleite ist man meistens ziemlich niedergeschlagen. Aber irgendwann muss man ja den Hebel wieder umschalten. Habt ihr Spielerinnen, die gut darin sind, die Stimmung wieder aufzulockern, in dem sie einen Spruch klopfen?
Ja, zum Beispiel ich. (lacht) Aber es ist klar, auf der Heimfahrt ist jede ein bisschen für sich und braucht das auch. Da hilft es auch, dass wir Einzelzimmer haben und so jede ihre Privatsphäre hat. Wiederum ist man dann am Morgen froh, wenn man aufsteht und seine Mitspielerinnen wieder sieht und den Austausch suchen kann. Von demher hatten wir jetzt alle unsere Minuten und sind wieder ready.
Am Abend spielt England gegen die USA im Wembley. Schaut ihr dieses Spiel zusammen oder steht das nicht auf dem Programm?
Es ist kein Pflichttermin. Aber so wie ich meine Mannschaft kenne, schauen wohl alle das Spiel. Ich glaube, das ist auch wichtig für uns. Abgesehen davon, dass England unser Gegner ist am Dienstag, ist es auch ein mega cooles Spiel, das man schauen kann.
(Die Partie zwischen England und den USA endete am Samstagabend vor einer eindrücklichen Kulisse von 78'346 Fans torlos.)
Es ist gut möglich, dass bei den Engländerinnen gegen euch nicht alle Stammspielerinnen auf dem Platz stehen. Aber sie sind in der Breite so stark, dass es wohl ohnehin ein sehr schwieriges Spiel wird?
Klar! Wir gehen davon aus, dass es kein einfaches Spiel wird. Aber wir spielen gegen England und wir wollen einfach für uns das Jahr gut abschliessen. Ich bin optimistisch. Ich glaube, jetzt haben wir gesehen, was Deutschland kann. Wir analysieren, was England kann und wissen es zum Teil schon. Wir werden uns bestmöglich vorbereiten auf dieses Spiel.
Für Sie ist es nach ihrem Wechsel im Sommer vom FCZ zu West Ham United wohl ziemlich speziell, mit der Schweiz in England zu spielen.
Ja klar, ich habe jetzt zwei Heimspiele. (kichert)
Wissen Sie eigentlich schon, ob Sie spielen werden?
Das wissen wir meistens erst kurz vor dem Spiel oder einen Abend vorher. Das ist auch gut so. Wir haben jetzt sicher noch zwei Trainings und dort muss jede Spielerin Vollgas geben. Inklusive mir. Das ist kein Selbstläufer. Darum: Alles geben und zeigen, dass man spielen möchte …
Und die Stimmung im Team ist immer noch ungebrochen gut? Jetzt seid ihr ja schon ein paar Tage zusammen und gestern gabs eine Klatsche …
Wir hatten ja jetzt unsere Nacht. Und wir haben es wirklich auch immer gut miteinander. Ich glaube, das sieht man auch auf dem Platz, da bauen wir uns gegenseitig auf.