Staat greift einStromkunden bezahlen 90 Millionen mehr – ohne Nutzen
Lea Oetiker
7.1.2025
Schweizer Stromkunden mussten 2024 mindestens 90 Millionen Franken mehr bezahlen als erwartet. Mit diesen vier Massnahmen sollen die Kosten gedämpft werden.
Lea Oetiker
07.01.2025, 12:42
Lea Oetiker
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Falsche Wettervorhersagen können hierzulande zu einem Blackout der Netzstabilität führen.
Weil dadurch Strom fehlt, muss die Swissgrid Regelenergie beschaffen. Mit Regelenergie lässt sich ein Ungleichgewicht im Stromnetz ausbalancieren.
Das führt zu hohen Kosten bei Stromkundinnen und -kunden.
Mit vier Massnahmen sollen die Kosten gedämpft werden.
Im Jahr 2024 erzeugten Solaranlagen in der Schweiz ungefähr so viel Strom wie das Atomkraftwerk Beznau. Also so viel wie noch nie.
Mit dem zunehmenden Anteil an Solarenergie im Schweizer Stromnetz gewinnen präzise Wettervorhersagen an Bedeutung für die Netzstabilität. Ein Beispiel dafür ist der 22. April 2024. Die Prognosen waren an diesem Tag so falsch, dass hierzulande ein Blackout drohte. Wegen unerwarteten Schneefall lieferten zahlreiche Fotovoltaikanlagen null Energie.
Da so viel Strom fehlte, musste die Swissgrid, die nationale Netzgesellschaft, Regelenergie beschaffen, um das Stromnetz zu stabilisieren. Mit Regelenergie lässt sich ein Ungleichgewicht im Stromnetz ausbalancieren.
Am Ende zahlen die Stromkundinnen und -kunden
Und dafür bezahlte die Swissgrid an diesem 22. April 2024, von 14 Uhr bis 15 Uhr, drei Millionen Franken, um das Netz stabil zu halten. Der Preis lag bei über 2000 Franken pro Megawattstunde, schreibt der «Beobachter». Zum Vergleich: Der kurzfristige Normalpreis lag in jener Stunde bei rund 70 Franken pro Megawattstunde. Zahlen müssen das am Ende die Stromkundinnen und Stromkunden.
Regelenergie ist ein lukratives Geschäft für Stromkonzerne wie Axpo, Alpiq und BKW. Das lukrative Geschäft wird auch immer grösser. Und das System stosse immer mehr an seine Belastungsgrenze, warnte ein Kadermann der Swissgrid im November 2024.
Acht Vorfälle soll es alleine im Sommer 2024 gegeben haben, bei denen das Netz nur mit grosser Mühe im Gleichgewicht gehalten werden konnte. Die Kosten für Regelenergie sind deshalb im letzten Jahr explodiert. Das zeigt eine umfassende Präsentation, die dem Magazin vorliegt.
Mit vier Massnahmen sollen die Kosten gesenkt werden
Deswegen kommt es auch zu Gegenmassnahmen, die nun in Kraft treten. Weil niemand will, dass Solarstrom-Ausbau unbezahlbar wird, werden der Strombranche die Profite gekürzt und die falschen finanziellen Anreize gesprochen. Mit vier Massnahmen:
Massnahme 1: Verbesserte Wetterprognosen. Stromunternehmen sind nun verpflichtet, täglich aktualisierte Vorhersagen zu verwenden. Damit hofft Swissgrid, das Problem zu lösen.
Massnahme 2: Die Aufsichtsbehörde Elcom führt im März 2025 eine Preisobergrenze ein. Für eine bestimmte Sorte von Regelenergie, die sogenannte Sekundärregelenergie. Diese darf nur noch 1000 Euro pro Megawattstunde kosten. Die Sekundärregelenergie muss spätestens fünf Minuten nach Abruf im Netz sein.
Die Elcom sieht die hohen Preise als «mögliche Folge von mangelndem Wettbewerb». Mit nur 14 Anbietern ist der Markt begrenzt. Und laut einem Experten ist es relativ einfach, die Preise mit legalen Mitteln hochzuhalten, schreibt der «Beobachter».
Schuld ist auch das neue Beschaffungsregime «Picasso». In den letzten neun Monaten 2024 führte dies zu Mehrkosten von etwa 90 Millionen Franken. Insgesamt zahlten Stromkunden rund 100 Millionen Franken mehr als im alten System, ohne Zusatznutzen.
Massnahme 3: In der Schweiz steigen die Kosten für Netzenergie stark an, während sie in Deutschland sinken. Eine Studie zeigt, dass Deutschland trotz Ausbau des Solarstroms weniger Ausgleichsenergie benötigt. In der Schweiz führen falsche Anreize für Stromunternehmen zu höheren Kosten. Swissgrid plant ab 2026 ein neues Preismodell, das laut Analysen die benötigte Ausgleichsenergie reduzieren und somit Verbraucher entlasten könnte.
Massnahme 4: In der brancheninternen Präsentation von Swissgrid heisst es, dass die Schweiz in den Sommermonaten künftig eine «erhebliche Überproduktion» von Sonnenstrahlen erleben werde. Es gebe grosse Herausforderungen bei der Integration von Fotovoltaikanlagen ins Stromnetz.
Deshalb wird der Bundesrat im Frühling eine neue Verordnung verabschieden, wie das Bundesamt für Energie dem «Beobachter» bestätigt. Voraussichtlich ab dem 1. Januar 2026 sollen die Netzbetreiber drei Prozent der Jahresproduktion einer Solaranlage abregeln dürfen.
Das heisst: Netzbetreiber dürfen den Anlagen ferngesteuert jederzeit den Stecker ziehen, wenn das Stromnetz an sonnigen Sommertagen überlastet ist. Die neuen Zwangsabschaltungen benötigen keine Zustimmung der Fotovoltaikbesitzer und werden nicht entschädigt.