«Perception Hacks» So gezielt wird der Wahlbetrug-Mythos in den USA verbreitet

Von David Klepper und Christina A. Cassidy, AP/tpfi

2.11.2024 - 20:18

Unterstützer feuern den republikanischen Präsidentschaftskandidaten und ehemaligen Präsidenten Donald Trump an. 
Unterstützer feuern den republikanischen Präsidentschaftskandidaten und ehemaligen Präsidenten Donald Trump an. 
Archivbild: Julia Demaree Nikhinson/AP

Wer Vertrauen in das Wahlsystem erschüttern will, muss nicht tatsächlich Stimmen fälschen. Vor der US-Präsidentschaftswahl brauchten Übeltäter dem Publikum nur ein paar Sachen einzureden, sagen Experten.

Von David Klepper und Christina A. Cassidy, AP/tpfi

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Verwirrung, Misstrauen und Angst: das Vertrauen in das US-Wahlsystem kann leicht manipuliert werden.
  • Ausländische oder antidemokratische Kräfte im Inland könnten so versuchen, die Präsidentschaftswahl in der kommenden Woche ins Trudeln zu bringen.
  • Ein knappes Wahlergebnis oder Verzögerungen bei der Auszählung der Stimmen könnten die Gefahr erhöhen, dass sich eine schliesslich beträchtliche Gruppe von Wählerinnen und Wählern täuschen lässt.

Es ist ein Szenario, das die Wahlbehörden in den USA ebenso umtreibt wie Geheimdienstler und Regierung: Mit technischen und öffentlichkeitswirksamen Mitteln könnte der Eindruck einer Wahlfälschung erweckt werden, obwohl es gar keine gab. Ausländische oder antidemokratische Kräfte im Inland könnten so versuchen, die Präsidentschaftswahl in der kommenden Woche ins Trudeln zu bringen. Beispielsweise mit einem Video, das zeigt, wie jemand angeblich gerade eine Wahlmaschine oder ein Registriersystem hackt.

Solche Aktionen werden als «Perception Hacks» bezeichnet, weil dabei in erster Linie die menschlichen Wahrnehmung manipuliert wird, indem ihr vermeintliche oder ungefährliche Zugriffe als Gefahr dargestellt werden. Das kann die Wählerschaft prägen. Wer Vertrauen in die Demokratie untergraben will, muss also nicht wirklich Stimmen manipulieren. Er muss nur genügend Wählerinnen und Wählern weiss machen, dass dem Ergebnis nicht zu trauen sei.

Gefälschtes Filmmaterial

In manchen Fällen könnten zwar tatsächlich geringfügige Informationen aus dem Wahlsystem gestohlen worden sein, sagen Behörden und Experten, betonen jedoch, das verändere nicht die Stimmabgabe. Allerdings könne es dazu beitragen, die Aussage von Videos mit Fälschungsvorwürfen als berechtigt erscheinen zu lassen.

Ähnlich manipulativ wirkt gefälschtes Filmmaterial, das vermeintlich zeigt, wie Wahlhelfer abgegebene Stimmzettel vernichten. Das Ziel ist dasselbe: Verwirrung, Misstrauen und Angst zu stiften.

«Ich denke, dass dies fast sicher passieren wird», lautet die Erwartung des Sicherheitsexperten Adam Darrah mit Blick auf die Wirkung von «Perception Hacks». Es sei viel einfacher, Menschen mit Hilfe von Täuschungen von einer Verwundbarkeit der Wahlsysteme zu überzeugen, als die Systeme tatsächlich zu hacken, erklärt der Fachmann von der Cybersicherheitsfirma ZeroFox und ehemaliger CIA-Analyst.

«Es ist ein Weg, Panik zu schüren», sagt Darrah. Technisch sei das Wahlsystem sehr widerstandsfähig, die emotionale Widerstandsfähigkeit der Wählerschaft sei dagegen eine ganz andere Herausforderung.

US-Geheimdienst warnt vor Einmischung

Ein knappes Wahlergebnis oder Verzögerungen bei der Auszählung der Stimmen könnten die Gefahr erhöhen, dass sich eine schliesslich beträchtliche Gruppe von Wählerinnen und Wählern täuschen lässt. Die Folgen wären eine weitere Polarisierung der Gesellschaft und ein steigendes Risiko politischer Gewalt.

Aus dem US-Geheimdienst kam in der vergangenen Woche die Warnung, dass etwa Russland oder der Iran möglicherweise planten, nach der Abstimmung gewaltsame Proteste in den USA anzuzetteln. Beide Staaten haben Mutmassungen über eine mögliche Beeinflussung der US-Wahl zurückgewiesen. «Wir haben uns nie eingemischt, wir mischen uns nicht ein und wir haben auch nicht die Absicht, uns einzumischen», versicherte die russischen Botschaft in Washington in einer E-Mail an die Nachrichtenagentur AP.

Trump stachelt auf

Auch ohne Einflüsse aus dem Ausland bergen falsche Manipulationsvorwürfe eine beträchtliche Gefahr. Bei den vergangenen Wahlen stachelte Donald Trumps Behauptung, ihm sei der Wahlsieg gestohlen worden, gewaltbereite Anhänger und Anhängerinnen zu Protesten bis hin zum Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 an. Ein Mob drang damals in das Parlamentsgebäude ein, verwüstete Büros, trieb Abgeordnete in die Enge. Fünf Menschen verloren ihr Leben.

US-Wahlen 2024 im Fokus

Amerika wählt am 05. November einen neuen Präsidenten. Aber nicht nur der Präsident, sondern auch 35 Senatssitze, das komplette Repräsentantenhaus sowie elf Gouverneure werden neu gewählt. blue News begleitet die heisse Phase des Duells um das Weisse Haus nicht nur mit dem Blick aus der Schweiz, sondern auch mit Berichten direkt aus den USA.

Im Weissen Haus wurde Kokain gefunden.
Patrick Semansky/AP/dpa

Auch diesmal hat der republikanische Präsidentschaftskandidat seiner Anhängerschaft bereits lang und breit verkündet, dass er die Wahl ja nur verlieren könne, wenn es nicht mit rechten Dingen zugehe. «Sie betrügen», sagte Trump etwa im vergangenen Monat auf einer Kundgebung in Michigan. «Das ist die einzige Möglichkeit, wie wir verlieren können, weil sie betrügen. Sie betrügen wie die Hölle.» Man könne am Dienstag mit einem klaren Sieg rechnen, eine Niederlage käme nur infrage, «wenn es eine korrupte Wahl wäre», behauptete Trump.

Desinformationen entlarven

In den Tagen unmittelbar nach der Abstimmung würden feindlich gesonnene Staaten oder antidemokratische Kräfte im Inland am wahrscheinlichsten versuchen, Misstrauen zu schüren und die Menschen aufzustacheln, sagt der Rechtsprofessor Paul Barrett von der Universität New York. «Sie freuen sich, wenn Amerikaner anderen Amerikanern an die Gurgel gehen», erklärt er. «Wir haben das im Jahr 2021 gesehen, und ich habe grosse Sorge, dass wir eine Wiederholung davon sehen.»

Die Sicherheits- und Wahlbehörden setzen unterdessen alles daran, Desinformationen umgehend zu entlarven und Gerüchten schnell entgegenzutreten. So geschehen auch bei einem Video, das sich in der vergangenen Woche in den sozialen Medien verbreitete und angeblich die Zerstörung von Briefwahlunterlagen in Pennsylvania zeigte. Das Video sei schnell als falsch entlarvt worden, die Behörden hätten sofort reagiert und der Wählerschaft plausibel erklärt, warum es eine Fälschung war, sagt die Sicherheitsexpertin Kim Wyman, ehemalige Staatsekretärin im US-Staat Washington.

«Aber das Problem ist – jetzt ist es da draussen», räumt sie ein. «Und wir wissen, dass es wahrscheinlich bis zum Tag der Amtseinführung weiter in Umlauf sein wird.»

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