Rückblick am Wahltag War das der verrückteste US-Wahlkampf aller Zeiten?

Von Chris Megerian, AP

5.11.2024 - 20:16

Der US-Wahlkampf hatte Einiges zu bieten.
Der US-Wahlkampf hatte Einiges zu bieten.
Morry Gash/AP/dpa (Archivbild)

Ein wendungsreicher Wahlkampf in den USA geht zu Ende – nun haben die Wähler das Wort. Ein Rückblick auf beispiellose Monate.

Von Chris Megerian, AP

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Der zurückliegende US-Wahlkampf war geprägt von beispiellosen und überraschenden Ereignissen.
  • Es ist das letzte Kapitel in einer der verwirrendsten, unvorhersehbarsten und folgenreichsten Wahlkämpfe der politischen Geschichte der USA.
  • Kamala Harris wurde unverhofft zur Präsidentschaftskandidatin ihrer Partei.
  • Trump überlebte nicht nur einen, sondern zwei Attentatsversuche.
  • In dem Jahr nach Trumps Bekanntgabe seiner erneuten Kandidatur wurde er vier Mal strafrechtlich belangt.

Es ist die Wahl, die niemand vorhersehen konnte. Vor gar nicht so langer Zeit schäumte Donald Trump in seinem Privatanwesen Mar-a-Lago vor Wut, nachdem er sich zwei Amtsenthebungsverfahren hatte stellen müssen und bei der Wahl 2020 dem Demokraten Joe Biden unterlag. Selbst einige seiner engsten Verbündeten freuten sich auf eine Zukunft ohne den charismatischen, aber unberechenbaren Mann an der Spitze der Republikanischen Partei, vor allem nachdem sein gescheiterter Versuch, eine Wahl zu kippen, in Gewalt und Schmach endete.

Als Trump vor zwei Jahren sein Comeback ankündigte, vergrub die «New York Post» den Artikel auf Seite 26. Zur gleichen Zeit fristete Kamala Harris ein Dasein als unauffällige Vizepräsidentin unter Präsident Biden. Einst als Shootingstar in der Demokratischen Partei gehandelt, rang sie sowohl mit ihrem Profil als auch mit ihrem Portfolio, enttäuschte ihre Anhänger und verschaffte ihren Kritikern Genugtuung. Niemand sprach davon, dass Harris für das Spitzenamt kandidieren würde – man fragte sich eher, ob Biden sie als Vize ablösen sollte, wenn er eine zweite Amtszeit anstrebt.

Doch nun werden die Amerikaner, so unwahrscheinlich es auch erscheinen mag, entweder Trump oder Harris zum nächsten Staatsoberhaupt wählen. Es ist das letzte Kapitel in einer der verwirrendsten, unvorhersehbarsten und folgenreichsten Sagen der politischen Geschichte.

«Niemand hätte es geglaubt»

Ausnahmsweise ist das Schlagwort «beispiellos» hier nicht überstrapaziert worden. «Wenn Ihnen jemand im voraus gesagt hätte, was bei dieser Wahl passieren würde, und Sie versucht hätten, es als Buch zu verkaufen, hätte es niemand geglaubt», sagte Neil Newhouse, ein republikanischer Meinungsforscher mit mehr als vier Jahrzehnten Erfahrung. «Es hat das Land in Wallung gebracht und es hat das Land polarisiert. Und wir können nur hoffen, dass wir am Ende besser aus der Sache herauskommen.»

Es wurde und wird Geschichte geschrieben. Die Vereinigten Staaten haben noch nie einen Präsidenten gewählt, der wegen eines Verbrechens verurteilt worden ist. Trump überlebte nicht nur einen, sondern zwei Attentatsversuche.

Biden ist mitten im Wahljahr zurückgetreten und Harris könnte die erste Präsidentin werden. Grundlegende Prinzipien der Demokratie in der mächtigsten Nation der Welt werden auf die Probe gestellt wie nie zuvor seit dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Ganz zu schweigen von den parallel ablaufenden Konflikten in Europa und im Nahen Osten, den Hackerangriffen ausländischer Regierungen, der zunehmend üblichen Flut von Falschinformationen und der Einmischung des reichsten Mannes der Welt, Elon Musk.

Das Einzige, worauf sich das Land im Moment einigen kann, ist, dass niemand weiss, wie die Geschichte ausgehen wird.

Trump hat sich trotz seiner Schmach die Präsidentschaftsnominierung der Republikaner gesichert. Die Partei hätte Trump nach dem 6. Januar 2021 abschreiben können. An jenem Tag stachelte er seine Anhänger mit falschen Behauptungen über vermeintlichen Wahlbetrug auf und wies sie an, zum US-Kapitol zu marschieren, während der Kongress feierlich Bidens Wahlsieg bestätigte. Dann sah Trump zu, wie Abgeordnete und sein eigener Vizepräsident Mike Pence von den Randalierern bedroht wurden.

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Vier Verfahren gegen Trump

Doch nicht genug Republikaner schlossen sich den Demokraten an, um Trump in einem Amtsenthebungsverfahren zu verurteilen. So ebneten sie ihm den Weg zur erneuten Kandidatur. Und Trump machte sich an die Planung seines Comebacks, obwohl einige führende Politiker seiner Partei hofften, dass er von Ron DeSantis, dem Gouverneur von Florida, oder Nikki Haley, der ehemaligen Gouverneurin von South Carolina, in den Schatten gestellt werden würde.

In dem Jahr nach Trumps Bekanntgabe seiner erneuten Kandidatur wurde er vier Mal strafrechtlich belangt. Zwei der Anklagen standen im Zusammenhang mit seinen Versuchen, seine Wahlniederlage ungeschehen zu machen. Eine weitere betraf seine Weigerung, nach seinem Abschied aus dem Weissen Haus Geheimdokumente an die Regierung zurückzugeben. Trump hat in allen Fällen auf nicht schuldig plädiert.

Eine vierte Anklage in New York führte jedoch dazu, dass Trump der erste frühere Präsident in der Geschichte der USA wurde, der strafrechtlich verurteilt wurde. Ein Geschworenengericht befand ihn am 30. Mai für schuldig, Geschäftsunterlagen zu Schweigegeldzahlungen an einen Pornodarstellerin gefälscht zu haben, die behauptete, sie hätten eine Affäre gehabt.

Nichts davon bremste Trump, der seine Gegner während der Vorwahlen praktisch ignorierte. Unaufhaltsam steuerte er auf die Nominierung zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten zu. Ein Polizeifoto von einer seiner Festnahmen wurde von seinen Anhängern als Symbol des Widerstands gegen ein korruptes System übernommen.

Trumps Kampagne machte sich die Wut über die Inflation und den Frust über den Andrang von Migranten an der Südgrenze zunutze. Immer wieder ätzte er zudem, dass der 81-jährige Biden zu alt für das Amt sei, obwohl er selbst nur vier Jahre jünger ist als der Präsident. Aber auch die Demokraten waren der Meinung, dass Biden lieber in den Ruhestand gehen sollte, als eine zweite Amtszeit anzustreben.

Attentat auf Trump

Als Biden bei einer Präsidentschaftsdebatte am 27. Juni in Bedrängnis geriet, den Faden verlor, verwirrt wirkte und und stammelte, wuchs der Druck innerhalb seiner Partei, das Rennen aufzugeben.

Während Biden mit einer politischen Krise konfrontiert war, ging Trump am 13. Juli zu einer Kundgebung unter freiem Himmel in Butler im Staat Pennsylvania. Einem jungen Mann gelang es, trotz des Polizeiaufgebots auf das Dach eines nahe gelegenen Gebäudes zu klettern. Er feuerte mehrere Schüsse mit einem halbautomatischen Gewehr ab. Trump griff sich an sein Ohr und ging auf der Bühne zu Boden. Während sich die Agenten des Secret Service um ihn drängten, richtete er sich mit einer Blutspur im Gesicht auf, reckte die Faust in die Luft und rief: «Kämpfen, kämpfen, kämpfen!» Eine amerikanische Flagge wehte über ihm.

Unerwartete Chance

Es war ein Moment, der sofort Kultstatus erlangte. Trumps Weg ins Weisse Haus schien klarer denn je – vielleicht sogar unausweichlich.

Harris erhält eine unerwartete Chance auf Wiedergutmachung. Die Vizepräsidentin wollte sich am Morgen des 21. Juli mit ihren Nichten über ein Puzzle beugen, als Biden anrief. Er hatte beschlossen, seine Kandidatur zu beenden und Harris als Nachfolgerin zu unterstützen. Den Rest des Tages verbrachte sie damit, Dutzende von Anrufen zu tätigen, um sich Rückhalt zu sichern. Innerhalb von zwei Tagen hatte sie genug Unterstützung, um sich die Nominierung zu sichern.

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Amerika wählt am 05. November einen neuen Präsidenten. Aber nicht nur der Präsident, sondern auch 35 Senatssitze, das komplette Repräsentantenhaus sowie elf Gouverneure werden neu gewählt. blue News begleitet die heisse Phase des Duells um das Weisse Haus nicht nur mit dem Blick aus der Schweiz, sondern auch mit Berichten direkt aus den USA.

Im Weissen Haus wurde Kokain gefunden.
Patrick Semansky/AP/dpa

Es war eine verblüffende Wendung des Schicksals. Harris hatte sich vier Jahre zuvor bei der Präsidentschaftskandidatur verausgabt und war noch vor der ersten Vorwahl der Demokraten ausgestiegen. Biden belebte ihre politische Karriere wieder, indem er sie als seine Vizekandidatin auswählte.

Sie wurde die erste Frau, die erste Schwarze und die erste Person südasiatischer Abstammung, die als Vizepräsidentin diente. Doch Harris' Kämpfe endeten damit nicht. Sie mühte sich mit der Migrationspolitik ab, stand einem Büro mit vielen Personalwechseln vor und trat eher in den Hintergrund, als dass sie ihren historischen Status als Plattform nutzte.

All das begann sich am 24. Juni 2022 zu ändern, als der Oberste Gerichtshof der USA das Recht auf Abtreibung aufhob. Harris wurde zur wichtigsten Fürsprecherin des Weissen Hauses in einer Frage, die die amerikanische Politik veränderte. Sie erwies sich auch als wendiger als zuvor. Kurz nach ihrer Rückkehr von einer einwöchigen Afrikareise organisierte ihr Team eine spontane Reise nach Nashville, damit Harris ihre Unterstützung für zwei Abgeordnete aus Tennessee zeigen konnte, die wegen ihres Eintretens für mehr Waffenkontrolle aus dem Parlament des Südstaats ausgeschlossen werden sollten.

In der Zwischenzeit knüpfte Harris Kontakte zu Lokalpolitikern, Managern und Kulturschaffenden, um Ideen zu sammeln und ein Netzwerk zu schmieden. Als Biden seine Kandidatur aufgab, war sie in einer besseren Position als viele dachten, um die Gunst der Stunde zu nutzen.

Einen Tag nachdem sie zur Kandidatin gekürt worden war, flog Harris nach Wilmington im Staat Delaware, um die Wahlkampfzentrale zu besuchen. Mitarbeiter hatten den Vormittag damit verbracht, «Kamala»- und «Harris for President»-Transparente zu drucken, um sie neben den veralteten Biden-Harris-Plakaten aufzuhängen. Es waren noch 106 Tage bis zum Ende des Wahlkampfes.

So gut wie nichts gemeinsam

In einer Rede vor Wahlkampfmitarbeitern in Wilmington sagte Harris einen Satz, der zu einem Mantra geworden ist, das von Anhängern bei Kundgebungen im ganzen Land gesungen wird. «Wir werden nicht zurückgehen», erklärte sie. Es ist ein passender Kontrapunkt zu Trumps Slogan «Make America great again», den er seit seinem ersten Wahlkampf vor mehr als acht Jahren verwendet hat.

Die beiden Kandidaten haben so gut wie nichts gemeinsam, was am 10. September deutlich wurde, als Harris und Trump zum ersten Mal für ihre einzige Fernsehdebatte aufeinandertrafen. Harris versprach, das Recht auf Abtreibung wiederherzustellen und Steuererleichterungen zur Unterstützung von Kleinunternehmen und Familien einzusetzen. Sie sagte, sie werde eine Präsidentin für alle Amerikaner sein.

Falschbehauptungen über Migranten

Trump erntete die Lorbeeren für die Nominierung der Richter, die dazu beigetragen haben, das Abtreibungsrecht zu kippen, und versprach, die Wirtschaft mit Zöllen zu schützen. Er griff auch Falschbehauptungen über Migranten auf, die angeblich Haustiere essen. Er nannte Harris «die schlechteste Vizepräsidentin in der Geschichte unseres Landes».

Es wurde weithin angenommen, dass Harris im TV-Duell die Oberhand gewinnen würde, und so deuteten dann auch viele Beobachter den Verlauf der Debatte. Trump beharrte auf seinem Sieg, lehnte aber eine zweite Debatte ab. Das Rennen blieb bemerkenswert knapp. Experten und Meinungsforscher haben die letzten Wochen damit verbracht, jede Veränderung in den Chancen der Kandidaten zu erkennen. Mikroskopisch kleine Veränderungen in der öffentlichen Meinung könnten den Ausgang der Wahl beeinflussen. Es könnte Tage dauern, bis genügend Stimmen ausgezählt sind, um den Sieger zu ermitteln. Das Ergebnis, sobald es feststeht, könnte eine weitere Überraschung in einem Wahlkampf sein, der vor Überraschungen nur so strotzt.

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