Stimme ist nicht gleich Stimme Wie funktioniert das Wahlsystem der USA?

Helene Laube

8.10.2020

Der Weg ins Weisse Haus: So funktioniert das Wahlsystem in den USA

Der Weg ins Weisse Haus: So funktioniert das Wahlsystem in den USA

In den USA wird der Präsident nicht direkt, sondern indirekt vom Volk gewählt. Die Stimmen der Wähler bestimmen, wie das Wahlkollegium zusammengesetzt wird. Dieses Gremium wählt dann im Dezember den Präsidenten. Jeder Bundesstaat hat eine festgelegte Anzahl an Stimmen.

05.11.2024

Al Gore holte bei den US-Präsidentschaftswahlen 2000 die meisten Stimmen, genauso wie 16 Jahre später Hillary Clinton. Ins Weisse Haus zogen aber George W. Bush respektive Donald Trump ein. Grund ist ein kompliziertes Wahlsystem, das die Ergebnisse verzerrt. blue News erklärt dir, wie es funktioniert.

Wie wird der amerikanische Präsident gewählt?

Die Besonderheit des US-Wahlsystems ist, dass die Präsidentschaftswahlen nicht national stattfinden, sondern in den einzelnen Teilstaaten. Zudem wird der amerikanische Präsident nicht direkt bei den Wahlen vom Volk gewählt, sondern über den Umweg des sogenannten Electoral College – eines Gremiums aus Wahlleuten. Das heisst: Es kommt nicht auf die Mehrheit der Stimmen an, sondern auf die Mehrheit im Electoral College.

Was ist das Electoral College?

Das Electoral College (auch «Wahlmänner, oder «Wahlleute» genannt) setzt sich aus 538 Stimmen zusammen: 

Die Wahlmänner

  • 100 für die jeweils zwei Senatoren aus den 50 Teilstaaten
  • 435 für die Abgeordneten des Repräsentantenhauses
  • 3 für den District of Columbia (DC), der kein Teilstaat ist
  • Jeder Teilstaat erhält, unabhängig von der Bevölkerungszahl, mindestens drei Elektorenstimmen (Electoral Votes).

Der mit knapp 40 Millionen Menschen bevölkerungsreichste Teilstaat Kalifornien hat 55 Elektoren (für zwei Senatoren und 53 Abgeordnete des Repräsentantenhauses), der bevölkerungsärmste Gliedstaat Wyoming mit seinen 579'000 Einwohner*innen hat drei Elektoren.

Für den Sieg benötigt ein Präsidentschaftskandidat die Hälfte der 538 Stimmen im Electoral College plus 1, also 270 Stimmen.

Wie wählen die Elektoren?

Die politischen Parteien in jedem Teilstaat erstellen vor der alle vier Jahre im November stattfindenden Präsidentschaftswahl eine Liste ihrer potenziellen Elektoren und ernennen diese dann in unterschiedlichen Selektionsverfahren. Bei der Abstimmung wählen die Wählenden in jedem Teilstaat die Elektoren ihres Teilstaats automatisch durch die Abgabe ihres Wahlzettels. Dieses Wahlleutegremium wählt einige Wochen später den Präsidenten.

Wer kann Elektor werden?

Die amerikanische Verfassung macht kaum Vorgaben zu den Qualifikationen, über die eine Wahlperson verfügen muss. Hingegen verbietet sie die Ernennung eines Kongressabgeordneten oder Senators oder von bestimmten Personen, die ein Amt in der US-Regierung bekleiden.

Was ist das «Winner takes it all»-Prinzip?

Bis auf Maine und Nebraska werden in allen Teilstaaten die Stimmen der Wahlleute nach dem Mehrheitsprinzip vergeben. Das heisst, derjenige Kandidat, der die meisten Wählerstimmen in einem Bundesstaat auf sich vereint, bekommt alle Stimmen der Wahlleute zugesprochen.

Bei diesem «Winner take all»-Prinzip kann ein Kandidierender 49,9 Prozent der Wählerstimmen in einem Teilstaat holen, und dennoch werden ihm 0 Prozent der Wahlleute-Stimmen zugesprochen.



Warum sind die Swing States so wichtig?

Das Wahlsystem produziert somit immer wieder demokratietheoretisch problematische Resultate und spielt eine wichtige, manchmal den Wählerwillen verfälschende Rolle. Es führt in den Wahlkampagnen zu einer Konzentration auf Teilstaaten mit knappen Mehrheitsverhältnissen, den sogenannten Swing States, und erzeugt oft künstliche Mehrheiten. Denn als Folge der «Winner take all»-Satzung sind die eindeutig einer Partei zustrebenden Staaten im Wahlkampf praktisch irrelevant.

Die Kandidaten betreiben denn auch vor allem in den Swing States Wahlkampf. In Teilstaaten mit einer deutlichen Mehrheit für den Kandidaten der republikanischen oder demokratischen Partei tauchen die Kandidaten meist höchstens zum Einsammeln von Spenden auf.

Welche Staaten Swing States sind, ändert sich von Wahl zu Wahl und hängt stark mit dem demografischen Wandel zusammen. 

Welche Staaten sind diesmal Swing States?

  • Pennsylvania (19 Wahlleute)
  • Arizona (11 Wahlleute)
  • Georgia (16 Wahlleute)
  • Wisconsin (10 Wahlleute)
  • Nevada (6 Wahlleute)
  • Michigan (15 Wahlleute)
  • North Carolina (16 Wahlleute)


Immer wieder reicht eine relative Mehrheit zum Wahlsieg, und in den vergangenen 20 Jahren kürten die Wahlleute sogar zweimal Kandidierende zu Präsidenten, die in der Volkswahl verloren hatten: Bei den Wahlen 2000 gewann der amtierende Vizepräsident Al Gore das Volksmehr, aber George W. Bush holte 271 Wahlleute und damit auch die Macht.

16 Jahre später erhielt Hillary Clinton fast 3 Millionen Stimmen mehr als Donald Trump, aber Trump wurden deutlich mehr Wahlleute zugeschlagen:

US-Wahl 2016 Clinton vs Trump
US-Wahl 2016 Clinton vs Trump
Keystone/SDA

Wer darf in den USA wählen?

Anders als in der Schweiz und vielen anderen Demokratien sind Bürger*innen über 18 Jahren in den USA nicht automatisch Wähler und bekommen die Wahlunterlagen nicht automatisch zugeschickt. Es liegt in der Eigenverantwortung der Bürger, sich registrieren zu lassen, damit sie wählen können.

Dabei kann jeder Bundesstaat den Registrierungsvorgang nach eigenem Belieben gestalten. Das hat zur Folge, dass durch Willkür der Behörden bestimmte Bevölkerungsgruppen von der Wahl ausgeschlossen werden können. Wer umzieht oder die Partei wechselt, muss sich zudem neu registrieren. All diese Hindernisse führen Kritikern zufolge zu einer verzerrten Repräsentation des amerikanischen Volkes bei den Wahlen.

Komplexes System: So funktioniert die US-Wahl
Komplexes System: So funktioniert die US-Wahl
dpa/Grafik S. Stein; Redaktion S. Tanke

Die wichtigsten Termine der US-Wahl 2024

  • Dienstag 5. November 2024: Wahltag in den USA. Heute wählen die US-Bürger*innen das Electoral College (Wahlleute). In einzelnen Bundesstaaten gab es auch die Möglichkeit, schon früher abzustimmen. Auch die Stimmen via Briefwahl aus dem In- und Ausland sind jetzt bereits eingetroffen.
    Neben dem Präsidenten werden auch Kandidaten für den Kongress gewählt, sowohl für das Repräsentantenhaus als auch für den Senat.
  • 5. November 2024 abends: Ab 18 Uhr Ortszeit schliessen die ersten Bundesstaaten ihre Wahllokale. Das Auszählen der Stimmen beginnt.
  • 17. Dezember: Das Electoral College wählt den nächsten US-Präsidenten.
  • 6. Januar 2025: An diesem Tag zählt der US-Kongress die Stimm­zettel des Electoral College aus und die beiden Gewinner werden offiziell bekannt gegeben.
  • 20. Januar 2025: Inauguration Day (Amtseinführung des neuen Präsidenten in Washington, D.C.) Der Gewinner wird ab heute für die nächsten vier Jahre im Weissen Haus regieren.

Warum gibt es das Electoral College überhaupt?

Das 200 Jahre alte Electoral College ist ein Relikt aus der Sklavenzeit. Es wurde 1787 geschaffen – auch, um die politische Macht der bevölkerungsärmeren Teilstaaten und der Sklavenstaaten zu stärken. Die Südstaaten, wo damals fast 40 Prozent der Bevölkerung versklavt waren, fürchteten, dass ihre wahlberechtigten (weissen) Männer gegenüber den bevölkerungsreicheren Teilstaaten im Norden im Nachteil sein würden, wo die Sklaverei zunehmend bekämpft wurde.

So kam die sogenannte Drei-Fünftel-Klausel in die Verfassung, der zufolge ein Sklave bei demografischen Erhebungen nur zu drei Fünfteln zählte und nicht als «ganzer Mensch» wie ein Weisser – ein Kompromiss, durch den die Südstaaten unter anderem verhältnismässig mehr Abgeordnete in den Kongress entsenden durften, obwohl die Sklaven gar nicht wahlberechtigt waren, auch nicht mit drei Fünfteln einer Stimme.

US-Wahlen 2024 im Fokus

Amerika wählt am 05. November einen neuen Präsidenten. Aber nicht nur der Präsident, sondern auch 35 Senatssitze, das komplette Repräsentantenhaus sowie elf Gouverneure werden neu gewählt. blue News begleitet die heisse Phase des Duells um das Weisse Haus nicht nur mit dem Blick aus der Schweiz, sondern auch mit Berichten direkt aus den USA.

Im Weissen Haus wurde Kokain gefunden.
Patrick Semansky/AP/dpa

Das Instrument räumte den Sklavenhalterstaaten nicht nur eine überproportional grosse Vertretung im Kongress ein, sondern vergrösserte auch ihre Stimmenzahl im Wahlmännergremium, das den Präsidenten wählte. Virginia und Pennsylvania beispielsweise hatten eine etwa gleich grosse Zahl an freien Bürgern, aber Virginia erhielt aufgrund der Sklavenbevölkerung des Staates drei Sitze mehr im Repräsentantenhaus zugesprochen und entsandte deshalb auch sechs Wahlmänner mehr. Ein weiterer Kompromiss stellte sicher, dass jeder Teilstaat zwei Senatoren nach Washington schicken konnte, unabhängig von der Bevölkerungszahl.

Wie sieht es mit einer Modernisierung des US-Wahlsystems aus?

In Meinungsumfragen hat sich die Mehrheit der befragten amerikanischen Bevölkerung in den vergangenen Jahren immer wieder für eine Direktwahl des Präsidenten ausgesprochen. Die Befürworter versprechen sich von der Direktwahl eine höhere Wahlbeteiligung, aber eine konsensfähige Modernisierung des Wahlsystems zeichnet sich nicht ab.

Einen Ausweg, der weder eine Verfassungsänderung noch ein Eingreifen des Kongresses erfordern würde, hat die Organisation National Popular Vote bereits vor mehreren Jahren angeschoben: Sie fordert Teilstaaten zur Verabschiedung eines Gesetzes auf, mit dem Teilstaaten die Summe der Stimmen aus ihrem Wahlleutegremium jenem Kandidaten zuschlagen, der die landesweite Mehrheit der Stimmen gewonnen hat. Dieser «National Popular Vote Interstate Compact» würde garantieren, dass der Kandidat Präsident wird, der die Mehrheit der Stimmen in allen 50 Teilstaaten und dem District of Columbia erhält, heisst es bei der Organisation.

Bisher haben Staaten mit insgesamt 187 Elektorenstimmen entsprechende Gesetzesvorlagen verabschiedet. Es fehlen noch 83 Stimmen, um das Wahlleutesystem auszuhebeln. Sollte es so weit kommen, dürften die Republikaner dies auf dem Gerichtsweg zu verhindern versuchen.

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