«Tatort» im Check Gab es Geiselnahmen durch Rechtsextreme in der Schweiz?

Julian Weinberger

19.1.2025

Im «Tatort: Verblendung» mit Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) besetzen rechte Terroristen einen Stuttgarter Kinosaal, um Kameraden freizupressen. Gab's das schon mal – eine Geiselnahme durch Rechtsradikale?

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  • Geiseldrama statt netter Kinoabend: Der Stuttgarter Kommissar Bootz (Felix Klare) wird im neuen «Tatort» Opfer rechtsradikaler Geiselnehmer.
  • Währenddessen versucht Kollege Lannert (Richy Müller) alles, um die brenzlige Situation ohne eine Eskalation zu lösen.
  • Gab es vergleichbare Fälle rechtsradikaler Geiselnahmen auch in der Schweiz?

Split-Screen im deutschen «Tatort», also ein geteilter Bildschirm mit zwei gleichzeitigen Handlungen: So etwas sieht man selten. Vielleicht war es im «Tatort: Verblendung» eine Hommage an die 70er-Jahre, als das Thriller-Kino gern mit diesem Stilmittel arbeitete.

Der Fall einer Geiselnahme im Stuttgarter Kino erinnerte ein wenig an das Genrekino jener Tage. Darüber hinaus war Split-Screen die einzige Möglichkeit, Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) gemeinsam in Szene zu setzen.

Der eine Kommissar war nämlich eine Geisel, der andere Teil des Krisenstabes ausserhalb des Kinos. Diesmal also keine Buddy-Ermittlung für die sympathisch verschmitzten Stuttgarter.

Interessant war die Forderung der rechten Geiselnehmer im Film: Sie fürchteten, dass Kameraden im Knast vom Staat getötet werden sollen. Doch «arbeiten» deutsche Rechtsterroristen überhaupt mit Geiselnahmen? Gibt es einen echten Fall als Vorlage? Und wer spielte die ebenso stressige wie gestresste Geiselnehmerin?

Worum geht es?

Lannert (Richy Müller) bat seinen Partner Bootz (Felix Klare) darum, für ihn zu einer Filmvorführung zu gehen. Staat und Polizei hatten zu einem Event geladen.

Kaum hatte die Vorstellung mit prominenten Gästen angefangen, bedrohten zwei Geiselnehmer die Kinobesucher mit ihren Waffen. Es kam zum Schusswechsel, ein Sicherheitsbeamter starb – etliche Menschen konnten aus dem Kinosaal fliehen.

Beim Gefecht hatte Bootz einen der Geiselnehmer erwischt: Steffen Lippert (Christoph Franken) war schwer verletzt. Er und seine Komplizin Karin Urbanski (Anna Schimrigk) dachten jedoch nicht daran aufzugeben. Ihre Forderung lautete: Rechtsradikale Gesinnungsgenossen sollen aus dem Gefängnis in Stuttgart-Stammheim freigelassen werden, weil sie auf einer geheimen Todesliste des Staates stehen.

Während die Situation im Kino eskalierte, versuchte Lannert als Teil der SOKO ausserhalb des Kinos herauszufinden, ob etwas am Vorwurf der Rechtsterroristen dran ist – und wie man sie austricksen könnte.

Worum geht es wirklich?

Das erfahrene «Tatort»-Autorenduo Katharina Adler und Rudi Gaul (auch Regie), das fürs Stuttgarter Revier unter anderem die starke Folge «Videobeweis» kreierte und zuletzt für den KI-Ökothriller «Tatort: Borowski und das ewige Meer» verantwortlich zeichnete, erzählt von zwei Dingen: zum einen von der emotionalen Dynamik einer Geiselnahme und zum anderen vom Vorwurf der Rechten, der Staat würde ihre inhaftierten Kameraden heimlich töten.

Letzteres eine klassische Verschwörungstheorie? Lannert, ganz nüchterner Ermittler, geht ihr trotzdem nach – was der interessantere Teil der Handlung ist.

Die Theorie der Terroristen folgt dem aktuellen Trend, den Staat zu delegitimieren: Politiker sind demnach Verbrecher und Drahtzieher eines Unrechtsstaates, Polizei und andere Behörden ihre willfährigen Gehilfen. Eine gefährliche, aber populäre Verschwörungstheorie, die beim eigenen Radikalisieren hilft.

Gab es Geiselnahmen durch Rechtsextreme in Deutschland?

Geiselnahmen verbindet man eher mit dem Links-Terrorismus der RAF in den 70-ern. Damals gab es die Geiselnahme in der deutschen Botschaft von Stockholm (1975) sowie die eng miteinander verbundenen Entführungsfälle Hanns Martin Schleyers und die von arabischen Verbündeten durchgeführte Entführung der Lufthansa-Maschine «Landshut» (beides 1977). Ziel der RAF war es jeweils, in Haft sitzende Kampfgenossen freizupressen. 

Tatsächlich kennt der Terrorismus heute kaum noch Geiselnahmen. Vielleicht, weil die Forderungen der Täter nur selten erfüllt werden (der Staat will sich nicht erpressbar zeigen). Und weil es nicht darum geht, Gleichgesinnte freizupressen.

Der Terror der letzten Jahrzehnte ist einer der Anschläge und Morde. In Deutschland waren dies islamistische Anschläge und die rechten Morde des NSU. Prominente Geiselnahmen durch Rechtsextreme in Deutschland gibt es kaum.

Gab es rechtsradikale Geiselnahmen in der Schweiz?

Zwar veröffentlichten auch Schweizer Behörden geplante rechte Terrorakte, vorwiegend von jungen Tätern, die sich im Internet zusammenfanden, aber es kam bisher nicht zu bedeutenden Anschlägen oder gar Geiselnahmen.

Viel Aufmerksamkeit erregte im Februar 2024 eine Geiselnahme in einem Regionalzug bei Yverdon: Ein 32-jähriger iranischer Asylbewerber nahm zwölf Passagiere und den Lokführer als Geiseln. Der Täter wurde erschossen, die Geiseln blieben unverletzt. Generell sind Geiselnahmen in der Schweiz aber zum Glück äusserst selten. Statistisch kommt es etwa zu drei Fällen pro Jahr.

Wer spielte die Terroristin?

Schauspielerin Anna Schimrigk, Jahrgang 1992, spielte interessanterweise schon zweimal zuvor eine Rechtsradikale: In einer «SOKO Leipzig»-Folge von 2017 verkörperte sie eine gewaltbereite Islamgegnerin. Weil das bei den Machern offenbar gut ankam, castete man Schimrigk auch für die im Februar 2021 ausgestrahlte Folge «Colonia Germania», wo sie die Anführerin der Leipziger identitären Bewegung spielt.

Zur Ehrenrettung der blonden Berlinerin sei jedoch gesagt: Sie spielte auch zahlreiche andere Rollen. Zum Beispiel verkörpert sie in der Serie «Big Dating» (2020) die gerade Mutter werdende beste Freundin der Hauptfigur, eines App-Entwicklers, oder in der wohl 2025 fortgesetzten ARD-Serie «Die Notärztin» eine Feuerwehrfrau.

Wie geht es beim Stuttgarter «Tatort» weiter?

Im Herbst 2024 wurde in Stuttgart eine «Tatort»-Folge mit dem Arbeitstitel «Ex-It» gedreht. Es geht um den tragischen Tod eines Kleinkindes und die mögliche Entführung des Geschwisterkindes. Lannert und Bootz lernen ein Paar kennen, das in einer speziellen Ehehölle gefangen ist – ein ehemaliges Glamour-Girl und ein Influencer-Manager. Kim Riedle und Hans Löw heissen die Gaststars. Wolfgang Stauch schrieb das Drehbuch, Friederike Jehn führte Regie.

Zuvor dürfte noch die Folge mit dem Arbeitstitel «Überlebe wenigstens bis morgen» (Buch: Katrin Bühlig, Regie: Milena Aboyan) laufen, die schon vor längerer Zeit abgedreht wurde. Es geht um eine junge Frau, die offensichtlich bereits seit Wochen tot in ihrer Wohnung lag. Warum hat sie niemand vermisst?


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