Wimbledon Missgunst für den Champion – warum ist Djokovic so unbeliebt?

Jan Arnet

15.7.2019

Novak Djokovic gewann am Sonntag zum fünften Mal Wimbledon. Die Herzen der Fans gehören ihm aber immer noch nicht.
Novak Djokovic gewann am Sonntag zum fünften Mal Wimbledon. Die Herzen der Fans gehören ihm aber immer noch nicht.
Bild: Getty

Als Novak Djokovic am Sonntag Roger Federer nach fünf Stunden in die Knie zwingt, herrscht auf dem Centre Court eine seltsame Stimmung. Den fünften Wimbledon-Titel scheinen dem Serben nur wenige so richtig zu gönnen. Weshalb nur?

Hätte Roger Federer einen seiner beiden Matchbälle verwertet, wäre im Stadion wahrscheinlich die Hölle los gewesen. Federer hätte sich wohl auf den Boden gelegt, die Zuschauer wären aus dem Häuschen gewesen und in der Box hätte man die eine oder andere Freudeträne gesehen. Doch es kam bekanntlich anders. Djokovic gewinnt den Fünfsätzer nach vier Stunden und 57 Minuten und holt sich seinen 16. Grand-Slam-Titel, seinen fünften in Wimbledon.

Die Weltnummer eins feiert im ersten Moment alles andere als ausgelassen. Mit einem müden Lächeln im Gesicht, den Blick zum Boden gerichtet, schlendert der Serbe zum Netz, um die Gratulationen des Gegners abzuholen. Es wirkt, als wäre es ihm irgendwie unangenehm, dieses Turnier soeben gewonnen zu haben, obwohl er hier schon im Vorjahr triumphiert hatte. Ebenso wie 2011, 2014 und 2015.

Sekunden zuvor, als Federer den Ball mit einer missglückten Vorhand beinahe aus dem Stadion schlägt, ist die Reaktion des Publikums mehr als Aufschrei des Schreckens denn als Jubel zu interpretieren. Höflichen Applaus gibt es dann zwar schon, doch dass die Zuschauer lieber einen anderen Sieger gesehen hätten, ist offensichtlich. Das zeigen sie im Verlaufe der Partie mehrfach.

Djokovic nur Sekunden nach seinem grossen Triumph: Er geniesst den Sieg auf seine Art.
Djokovic nur Sekunden nach seinem grossen Triumph: Er geniesst den Sieg auf seine Art.
Bild: Getty

Gewiss ist Federer der grosse Sympathieträger im Männertennis und das hat er sich mit seiner bescheidenen Art, seiner Eleganz auf dem Platz und dank seiner unzähligen Erfolge auch verdient. Doch das Wimbledon-Publikum feiert selbst unerzwungene Djokovic-Fehler – ein «No-Go» im Tennis. Zumal auf Federers Gegenseite nicht irgendein Qualifikant steht, sondern die aktuelle Weltnummer 1, einer der besten Spieler der Geschichte. Als der 32-Jährige kurz vor Schluss mit dem Schiedsrichter eine Entscheidung diskutiert, erntet er vom Publikum Buhrufe und Pfiffe. Trotz des heroischen Kampfs, den er sich mit Federer liefert.

Djokovic: «Als sie ‹Roger› schrien, hörte ich ‹Novak›»

Boris Becker, ehemaliger Trainer von Djokovic, kritisiert die Zuschauer des Finals öffentlich. Als Co-Kommentator des britischen TV-Senders «BBC» sagt er nach dem epischen Kampf: «Einen viermaligen Champion musst du ein kleines bisschen mehr respektieren. Die Leute müssen endlich begreifen, wer dieser Novak Djokovic ist.»

Becker glaubt, die Stimmung gegen Novak habe diesem noch mehr Motivation verliehen, das Spiel zu gewinnen. «Er wurde ein bisschen wütend und warf den Zuschauern einige böse Blicke zu. So tickt er nun mal. Er war frustriert, aber ich glaube, dass er damit gut umgegangen ist und mental gut darauf vorbereitet war», so der dreifache Wimbledon-Sieger.



Djokovic selbst spricht nach seinem Triumph vom «wahrscheinlich mental anspruchsvollsten Match meiner Karriere». Und er verrät, wie er es schaffte, cool zu bleiben, obwohl er einen Grossteil der Zuschauer gegen sich hatte. Djokovic: «Wenn die Leute ‹Roger› schrien, hörte ich einfach ‹Novak›. Das klingt verrückt, aber so war es. Ich versuchte mich davon zu überzeugen, dass sie meinen Namen riefen.»

Verzweifelte Suche nach der Gunst der Fans

Doch warum geniesst Djokovic nicht annähernd so viele Sympathien wie Federer oder auch Rafael Nadal? Schliesslich gibt er sich seit Jahren grosse Mühe, sich in die Herzen der Fans zu spielen. Im wahrsten Sinne des Wortes: Nach seinen Siegen «verschenkt» er sein Herz dem Publikum oder malt bei Sandturnieren das Zeichen der Liebe in die Asche. 

Djokovic und die Sehnsucht nach Liebe.
Djokovic und die Sehnsucht nach Liebe.
Bilder: Keystone / Getty

«Nole», wie Djokovic genannt wird, leistet sich auch keine Skandale und zeigt gegenüber seinen Kontrahenten stets grossen Respekt. Und den Journalisten bringt er an seiner letzten Pressekonferenz des Jahres jeweils Süssigkeiten mit. Doch irgendwie will der Funken einfach nicht überspringen. Das zeigte sich beim Wimbledon-Final am Sonntag einmal mehr. Was fehlt Djokovic, was Federer und Nadal haben?

Vielleicht ist es die Coolness bei umstrittenen Schiedsrichter-Entscheiden. Federer etwa hakt solche oft mit einem Kopfschütteln ab, Djokovic diskutiert schon gerne mal mit dem Unparteiischen – oder schlägt sogar an ein Mikrofon, wie er dies am Sonntag beim Final tat. Auch Roger Federer hatte in jungen Jahren mit seiner Unbeherrschtheit zu kämpfen, diese im Verlauf seiner Karriere aber komplett in den Griff gekriegt. Der frischgebackene Wimbledon-Sieger hingegen zerschmettert auch heute noch gerne einmal ein Racket. Solche Aktionen stehen seinem Drang nach Liebe und dem Herzchen-Verteilen dann diametral entgegen. Es fehlt die Authentizität.



Ausserdem hat Djokovic wohl das Pech, dass er als Dritter und damit letzter der «Big Three» in den Tennis-Zirkus kam. Federer und Nadal lieferten sich schon zuvor zahlreiche packende Duelle, dominierten die Tour und wurden zu den zwei wohl grössten Rivalen, die der Tennissport je gesehen hat. Entsprechend beanspruchten die beiden Spieler auch so gut wie alle Sympathien der Fans. Wer das elegante Spiel liebt, ist im Team Federer, wer es lieber kraftvoll und kämpferisch mag, ist im Team Nadal. 

Der Serbe, der weder Federers Eleganz, noch Nadals Kämpferherz besitzt, stattdessen mit unglaublicher Akrobatik und Brillanz von der Grundlinie auftrumpft und damit für weniger Spektakel sorgt, war für Tennis-Fans etwas wie der Bösewicht, der ihnen die Final-Duelle zwischen Federer und Nadal vermieste. Oder um es mit den Worten von Boris Becker zu sagen: «Novak kam zu einer Party, welche die Roger-und-Rafa-Party war – und er wurde zum Spielverderber.»

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