Wimbledon dürfte der nächste Sport-Grossanlass sein, der dem Coronavirus zum Opfer fällt. Diese Woche wollen die Verantwortlichen entscheiden. Die Zeichen stehen auf Absage.
Seit 1877 fiel das älteste Tennisturnier der Welt nur zweimal aus – von 1915 bis 1918 sowie von 1940 bis 1945 wegen der beiden Weltkriege. Nun droht aber für dieses Jahr das Aus. Zwar bleiben noch genau vier Monate, bis Titelverteidiger Novak Djokovic auf dem berühmten Centre Court das Turnier eröffnen soll. Doch bereits diese Woche soll nach einer Krisensitzung der Entscheid über die Durchführung fallen.
Optionen bleiben nicht viele, nachdem der organisierende All England Club letzte Woche in einer Medienmitteilung eine Austragung ohne Zuschauer ausgeschlossen hat. Am Datum festzuhalten dürfte angesichts des sich in England rasant ausbreitenden Virus kaum möglich sein. Aktuell ist die Anlage geschlossen, spätestens Anfang Mai müssten aber die Vorbereitungen für den Grossanlass mit rund einer halben Million Besuchern in Angriff genommen werden.
Was bleibt, ist eine Verschiebung nach hinten – so wie das French Open, das vom 20. September bis 4. Oktober (statt des üblichen Termins Ende Mai/Anfang Juni) stattfinden soll. In Wimbledon gestaltet sich diese Option allerdings wesentlich komplizierter. «Eine Verschiebung ist nicht ohne beträchtliche Risiken und Schwierigkeiten», erklärte der All England Club letzte Woche.
Tage werden zu kurz
Dank der Verschiebung der Olympischen Spiele um ein Jahr ist zwar ein neues Zeitfenster aufgegangen, so dass Wimbledon allenfalls bis Anfang August hinausgeschoben werden kann. Ob drei oder vier Wochen mehr Zeit tatsächlich einen Unterschied machen, muss aber bezweifelt werden. Im Moment geht kaum jemand davon aus, dass die britischen Behörden Ende Mai ihr Einverständnis zur Aufnahme von Arbeiten mit vielen Leuten auf der Anlage geben würden.
Weiter nach hinten kann das Turnier nicht geschoben werden. Wegen der Rasenplätze, die bei tieferen Temperaturen und Schatten sehr schnell rutschig werden. Und wegen der kürzeren Tage. Ausser den beiden grössten Plätzen mit schliessbaren Dächern verfügen die Courts in Wimbledon über kein Flutlicht. So kommt der stets gut informierte öffentlich-rechtliche Sender BBC zur ernüchternden Schlussfolgerung: «Wenn der All England Club zusammenkommt, wird er fast sicher zum Schluss kommen, dass Wimbledon 2020 nicht machbar ist.»
Ein unschönes Ende für den Rekordsieger?
Eine Absage wäre ein harter Schlag für die Tenniswelt, nicht nur für die Zuschauer, sondern vor allem für die Spielerinnen und Spieler der zweiten Garde. Wer den Top 100 angehört und damit für das Hauptfeld qualifiziert ist, hat gut 53'000 Franken (Preisgeld für Erstrunden-Verlierer) auf sicher. Ohne dieses Geld, geht die Rechnung für viele nicht mehr auf – vor allem, da bereits jetzt feststeht, dass sie mindestens im März, April und Mai über kein Einkommen verfügen. Und findet Wimbledon nicht statt, steht auch die Austragung der Rasen-Vorbereitungsturniere im Juni in den Sternen.
Und dann sind da noch die Fragen um Roger Federer. Wäre der Rekordsieger (8 Titel) mit dannzumal fast 40 Jahren auch im nächsten Jahr noch dabei? Könnte die Absage der halben Saison sogar ein Grund sein, seine illustre Karriere zu verlängern? Oder war der Final vom letzten Jahr, als Federer gegen Novak Djokovic nach zwei Matchbällen bei eigenem Aufschlag noch verlor, sein letzter Auftritt an der legendären Church Road? Es wäre ein schmerzhafter und irgendwie unbefriedigender Schlusspunkt, aber wohl dennoch ein besserer als ihn der siebenfache Champion Pete Sampras hatte. Der Amerikaner verlor 2002 bei seinem letzten Wimbledon in fünf Sätzen gegen einen gewissen George Bastl, die Nummer 145 der Welt.