Gäbe es das Coronavirus nicht, wäre die Fecht-Karriere von Benjamin Steffen seit knapp einem Jahr zu Ende. Nun nimmt der 39-jährige Basler einen weiteren Anlauf, eine Olympia-Medaille zu gewinnen.
Nach dem Beginn der Pandemie vor gut einem Jahr hoffte Steffen, dass die Olympischen Spiele nicht verschoben werden. Ihm war klar, wie hart es werden würde, eine weitere Saison anzuhängen. «Ich spürte Zeichen, dass es immer schwieriger wird», blickt Steffen zurück. Beispielsweise bekundete er mehr Mühe, alleine in den Kraftraum zu gehen, obwohl «ich jemand war, der gerne an der Kondition gearbeitet hat.»
Dennoch entschied er sich nach der Verschiebung relativ rasch für eine Fortsetzung der Karriere, da er den Weg mit dem Team noch weiterführen wollte. «Es hätte mir das Herz zerrissen, nun zu Hause vor dem Fernseher zu sitzen, den anderen zuzuschauen und zu denken, dass ich den grössten Teil der Qualifikationsphase ein Element der Equipe gewesen bin», sagt Steffen.
Ausserdem kann er mit dem Team noch die letzte Lücke schliessen. Sechsmal stand er in diesem Wettbewerb an einer Weltmeisterschaft schon auf dem Podest, 2018 gar zuoberst. An Europameisterschaften gewann er mit der Mannschaft ebenfalls sechs Medaillen, wovon vier goldene. Bei seiner bislang einzigen Olympia-Teilnahme 2016 in Rio de Janeiro scheiterten die Schweizer allerdings im Viertelfinal an Italien.
Das Verpasste soll nun in Tokio nachgeholt werden, die erste Hürde auf dem Weg dorthin ist Südkorea. Die Asiaten stuft er nach einem Umbruch im Team als «nicht mehr ganz so konstant wie vorher» ein. «Wenn sie jedoch in einen Lauf kommen, dann sind sie unglaublich stark.»
«Hatte lange zu nagen»
Das ist allerdings Zukunftsmusik. Zunächst steht am Sonntag der Einzel-Wettkampf auf dem Programm. Zwar stand Steffen schon achtmal im Weltcup alleine auf dem Podest, an einem Grossanlass blieb ihm eine Einzel-Medaille bislang jedoch verwehrt.
Einer solchen am nächsten kam er vor fünf Jahren in Rio, als er Vierter wurde. «An diesem 4. Platz hatte ich lange zu nagen», gibt Steffen zu. «Es ist aber nicht so, dass ich hier noch eine Rechnung offen habe. Wenn ich nun zurückschaue, war es damals ein schönes Erlebnis im Einzel. Auch wenn es mit einer Medaille nicht geklappt hat, lieferte ich das ab, was ich von mir erwartet hatte.»
Dass Steffen topfit nach Japan reisen konnte, ist nicht selbstverständlich. Im März beim Weltcup in Kasan zog er sich unter anderem einen Teilriss der Achillessehne zu, worauf er gut zwei Monate nicht fechten konnte. Stattdessen absolvierte er in einem speziellen Schuh, so gut es ging, Techniktrainings in der Fechtstellung – vor allem für die Hand. «Dadurch konnte ich mein technisches Repertoire noch etwas aufstocken», erzählt Steffen.
Eine komplizierte Sprache
Wo er steht, ist insofern schwierig einzuschätzen, als Kasan der einzige internationale Wettkampf seit dem Weltcup in Budapest Anfang März 2020 war. Einen gewissen Referenzwert geben die internationalen Trainingspartner. Ausserdem vertraut Steffen auf seine immense Erfahrung, «aus der ich schon etwas schöpfen kann.»
Dass er aufgrund der Corona-Einschränkungen nicht viel von der japanischen Kultur erleben kann, bedauert er. Denn er ist einer, der über den Tellerrand hinaus schaut. Er hat gar angefangen, Japanisch zu lernen.
Am Donnerstag teilte ihm die App mit, dass er seit 267 Tagen dran ist. «Es ist ziemlich kompliziert», sagt Steffen dazu. Ein paar wichtige Ausdrücke beherrscht er aber, und wenn er diese anwendet, haben die freiwilligen Helfer «mega Freude, was schön ist.» Er hat sich vorgenommen, die Sprache auch nach den Spielen weiterzulernen und zu einem späteren Zeitpunkt erneut nach Japan zu reisen.
Vorerst aber gilt der ganze Fokus dem Sonntag. Um dann optimal vorbereitet zu sein, verbringen die Schweizer Fechter die beiden letzte Nächte davor in einem Hotel in der Nähe der Halle. «Dort haben wir keine Ablenkung», begründet Steffen. Schliesslich will er nicht umsonst den Effort einer weiteren Saison auf sich genommen haben.
sda