Nach fast sechs Jahren ohne Aufgebot steht Karim Benzema wieder in Frankreichs Nationalteam. Der Routinier soll den Weltmeister etwas aufwühlen, aber nicht zu sehr.
Die Meldung, dass Benzema in Frankreichs Nationalteam zurückkehren würde, verbreitete sich in den Stunden, bevor das EM-Kader bekannt gegeben wurde. Mindestens so überraschend wie die bevorstehende Rückkehr des Verbannten waren die Reaktionen darauf. Sie waren fast einstimmig euphorisch. Fast sechs Jahre nach seinem Rausschmiss wurde Benzema mit offenen Armen empfangen.
Als Nationaltrainer Didier Deschamps Mitte Mai zur Prime Time auf dem grössten französischen TV-Sender die Namen seiner EM-Teilnehmer verlass, war die Geschichte, die Benzema sechs Jahre seiner Nationalmannschafts-Karriere gekostet hatte, nur noch Nebensache. Im Oktober wird der 33-jährige Stürmer nochmals damit konfrontiert werden. Dann muss er erneut vor Gericht aussagen im Fall um das Sextape von Mathieu Valbuena und der Erpressung, an der er 2015 beteiligt gewesen sein soll.
Derzeit interessiert in Frankreich aber viel mehr, wie Benzema in die Mannschaft und ins taktische Konzept integriert wird. Dass der Goalgetter von Real Madrid nicht als Ersatzspieler nominiert wurde, sondern als feste Grösse in der Startformation, war von Beginn weg klar. Er hat in der abgelaufenen Saison für Real Madrid 30 Tore erzielt, in der Nationalmannschaft steht er trotz der langen Zwangspause bei 83 Länderspielen (und 27 Toren).
Deschamps' Antrieb
Mit bewusst leisen Tönen ist Benzema zurückgekehrt. «Karim ist intelligent. Er weiss, dass er in eine Mannschaft stösst, die ohne ihn Weltmeister wurde», betonte Deschamps. Der Nationaltrainer hat das Comeback von Benzema in kleinen Schritten aufgegleist. Es gab das eine oder andere zu klären zwischen ihm und dem Stürmer. Im Verlauf der letzten Jahre wurden verbal einige Angriffe geführt. Einer hatte zur Folge, dass auf Deschamps Haus in der Bretagne «Rassist» gesprayt wurde.
Ende April trafen sich Deschamps und Benzema zum mehrstündigen Gespräch. Dass der Stürmer in die Nationalmannschaft zurückkehren wollte, war kein Geheimnis. Der Antrieb für den Coach war der Zusammenzug seines Teams im März mit den WM-Qualifikationsspielen gegen die Ukraine, Kasachstan und Bosnien-Herzegowina. Was er in jenen Spielen sah, beunruhigt ihn. Eine gewisse Routine hatte sich bei den Weltmeistern eingeschlichen, zudem war die Situation unter den Angreifern unklar. Antoine Griezmann war im Formtief, Olivier Giroud im Klub nur Ersatz und Anthony Martial verletzt.
Währenddessen brillierte Benzema mit Real Madrid und drängte sich noch mehr auf, als er es schon in den Saisons zuvor gemacht hatte. Die gezeigten Qualitäten machten Deschamps den Entscheid leichter. Ohne Risiken ist er aber nicht. Der grosse Verlierer von Benzemas Rückkehr ist Giroud, der wohl seinen Platz in der Sturmspitze verloren hat. Besonders brisant ist diese neue Konstellation, weil der Rückkehrer vor gut einem Jahr sich selber als Formel-1-Auto betitelt hatte – im Vergleich zu Giroud, dem Go-Kart.
Benzema ohne Schonfrist
Dass bei Giroud die Nerven etwas angespannt sind, zeigte sich nach dem letzten Testspiel. Der Stürmer von Champions-League-Sieger Chelsea traf in der Schlussphase gegen Bulgarien zwar zweimal, meinte aber im Interview danach: Er habe zu wenig brauchbare Pässe bekommen. Kylian Mbappé fühlte sich angesprochen und wollte gleich am nächsten Tag in einer Medienkonferenz den Konter lancieren, was Deschamps verhinderte. Am Sonntag durfte sich der 22-Jährige doch noch (gemässigt) zum Fall äussern.
Während sich Mbappé und Giroud in die Haare kamen, musste Benzema in den letzten Tagen eine leichte Verletzung auskurieren. Für den Match gegen Deutschland meldete er sich einsatzbereit. Er wird sofort liefern müssen. In den beiden EM-Testspielen überzeugte er mit Mbappé und Griezmann an seiner Seite zwar spielerisch, aber nicht als Torschütze. Er verschoss sogar einen Penalty. Mit Giroud, Kingsley Coman und Ousmane Dembélé stehen drei hochkarätige Angreifer bereit, um Benzema wieder aus dem Team zu drängen.
sda