US-Wahlleiterin bedroht, bedrängt und gefeuert«Ich sollte mich schämen, in ein Loch kriechen und sterben»
Christina A. Cassidy, AP / tafi
28.10.2024
US-Präsident Biden hat schon gewählt
STORY: Joe Biden hat gewählt. Der US-Präsident machte am Montag im US-Bundesstaat Delaware vom Recht der vorzeitigen Stimmabgabe Gebrauch. Auf die Frage nach den Chancen für seine Vizepräsidentin Kamala Harris sagte der Demokrat, der seine eigene Kandidatur für die Wahl am 5. November im Juli aufgegeben hatte: «Wir werden gewinnen.» Deutliche Kritik übte der Amtsinhaber an einer Wahlkampfveranstaltung des republikanischen Kandidaten Donald Trump im New Yorker Madison Square Garden am Sonntag, bei deren einige Redner durch rassistische und frauenfeindliche Äusserungen aufgefallen waren. «Es ist einfach peinlich. Das ist unter der Würde eines Präsidenten. Aber genau daran haben wir uns gewöhnt. Deshalb ist diese Wahl auch so wichtig. Wissen Sie, die meisten Gelehrten, mit denen ich gesprochen habe, sagen, dass das Wichtigste bei einem Präsidenten der Charakter ist, der Charakter. Und er stellt das jedes Mal in Frage, wenn er den Mund aufmacht.» Zu einer umstrittenen Kampagne des Tesla-Chefs Elon Musk, der jeden Tag eine Million Dollar unter Bürgern verlost, die seine Online-Petition zur Unterstützung der US-Verfassung unterzeichnet, scherzte Biden. «Sagen Sie ihm, ich habe unterschrieben! Eine Million Dollar! – Ich denke das ist total unangemessen.» Musks Werbeaktion drohen unterdessen juristische Konsequenzen. Die Staatsanwaltschaft von Philadelphia reichte am Montag Klage gegen den Milliardär ein. Die Aktion sei eine «illegale Lotterie», die Einwohner zur Weitergabe persönlicher Daten verleite.
28.10.2024
Sie wollte als Wahlleiterin ihrem Land dienen. Dann versank Cari-Ann Burgess in einem Sumpf aus Verschwörungstheorien, wurde angefeindet – und gefeuert. Ihr Beispiel zeigt, wie gespalten die USA vor der Wahl sind.
Andreas Fischer
28.10.2024, 23:24
29.10.2024, 14:28
Andreas Fischer
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Im Sumpf von Verschwörungstheorien: Eine US-Wahlleiterin berichtet, wie sie in ihrer Funktion zum Scheitern gezwungen wurde.
Cari-Ann Burgess hat im Job 110 Prozent gegeben, wurde aber im Coffeeshop angepöbelt und musste extra Sicherheitsvorkehrungen treffen.
Ihr Beispiel zeigt, wie verunsichert und radikalisiert die USA nach vier Jahren mit falschen Behauptungen sind.
An einem Morgen im vergangenen September tat die Amerikanerin Cari-Ann Burgess das, was viele Menschen tun: Sie machte auf ihrem Weg zur Arbeit kurz in einem Coffeeshop Halt. Aber für die Wahlleiterin in einem nördlichen Bezirk in Nevada wurde dieser Stopp zu einer schlechten Erfahrung.
Als sie auf ihren Tee und ihr Frühstückssandwich wartete, wurde sie von einer älteren Frau angesprochen. «Sie sagte mir, dass ich mich schämen sollte – dass ich eine Schande sei. Ich sei eine Schande für Washoe County und ich sollte in ein Loch kriechen und sterben», schilderte Burgess der Nachrichtenagentur AP einen Tag später den Vorfall.
Es war Schluss für sie mit den morgendlichen Stopps in der Kaffeestube, sie landeten auf einer zusehends längeren Liste von Dingen, die sich Burgess nicht mehr erlaubte – wegen ihres Jobs. Sie hatte schon damit aufgehört, in den Lebensmittelladen zu gehen oder in Restaurants. «Ich gehe zur Arbeit, ich gehe nach Hause, und ich gehe in die Kirche – das ist es ungefähr», sagte sie.
Dennoch, so fügte Burgess hinzu, freue sie sich darauf, zusammen mit ihrem Team im November die Präsidentschaftswahlen in dem zweitbevölkerungsreichsten Bezirk Nevadas zu beaufsichtigen. Aber auch das kam im späten September zu einem jähen Ende, als sie zu einem Treffen mit Behördenvertretern des Bezirks gerufen wurde.
Der Bezirk teilte anschliessend mit, sie habe um eine Beurlaubung aus gesundheitlichen Gründen gebeten, um mit ihrem Stress fertig zu werden, und er bezeichnete ihren Abgang als eine persönliche Angelegenheit. Man konzentriere sich darauf, «eine reibungslose und faire Wahl durchzuführen».
Burgess sagt dagegen, sie sei zum Ausscheiden gezwungen worden, nachdem sie sich geweigert habe, von Washoe Countys Bezirksverwaltung gewünschten personellen Veränderungen nachzukommen. Sie habe wiederholt darum gebeten, bleiben zu können und sogar eine ärztliche Gesundheitsbescheinigung vorgelegt. Mittlerweile hat sie sich einen Anwalt genommen.
«Und dann bin ich plötzlich raus ...»
Das Büro wird derzeit von Burgess' Stellvertreter geleitet – die fünfte Person innerhalb von vier Jahren auf diesem Posten. Der gesamte Mitarbeiterstab ist neu im Vergleich zu 2020. Diese Personalwechsel sind symptomatisch für einen Bezirk, der politisch in fast zwei gleich grosse Teile gespalten und massenhaft mit Verschwörungstheorien konfrontiert ist, seit der Republikaner Donald Trump bei der Wahl 2020 in diesem Bundesstaat – und insgesamt – gegen den Demokraten Joe Biden verlor.
Burgess sagte der AP vergangene Woche, dass sie sich Sorgen um ihr Team mache und nicht wisse, was sie als Nächstes tun sollte. «Ich habe 110 Prozent von dem, was ich bin, in diesen Job gesteckt», schilderte sie. «Und dann bin ich plötzlich raus ... Ich verstehe nicht, wie wir an diesen Punkt gelangt sind.»
AP-Journalisten hatten sich im September – eine Woche vor Burgess' Ausscheiden – in Reno aufgehalten und mehrere Tage mit ihr verbracht, im Bezirkswahlbüro und daheim. Wie sie miterleben konnten, hatten Burgess und ihre Mitarbeiter – wie schon ihre Vorgänger – unter enormem Druck gestanden.
Sie waren ätzender Kritik bei öffentlichen Versammlungen ausgesetzt und mussten immer wieder durch Verschwörungstheorien genährten falschen Behauptungen entgegentreten, sei es in Sachen Wahlautomaten, Wählerlisten oder Wahlzettel-Einwurfkästen. Dass sie es dabei mit einer Bezirksregierung zu tun zu hatten, die den Wahlabläufen misstraut, machte den Job nicht einfacher.
Viele Wahlhelfer geben aus Erschöpfung und Angst auf
Burgess ist keineswegs ein Einzelfall, wenngleich ihre Erfahrungen besonders extrem sind. Vier Jahre mit falschen Behauptungen haben das öffentliche Vertrauen in Wahlen untergraben – und in jene, die sie abwickeln. In allen Teilen der USA berichten Wahlhelfer und Wahlvorsteher von Belästigungen und sogar Todesdrohungen. Die Konsequenz: In diesem Jahr müssen sie besondere Schutzmassnahmen ergreifen. Kugelsicheres Glas und Panikknöpfe inbegriffen.
In den drei Tagen, die AP mit Burgess verbrachte, gab es keinerlei Hinweise auf etwaige Pläne, den Job aufzugeben. Vielmehr sagte sie, dass sie dankbar für die Gelegenheit sei, ihrem Land wieder auf diese Weise zu dienen.
Das «Wieder» bezieht sich darauf, dass sie zuvor einen Wahljob in einem Bezirk in Minnesota hatte und dann eine Zeitlang ausstieg, nachdem sie nach der Wahl 2020 von wütenden Trump-Anhängern gemobbt worden war. Insgesamt gibt es viele örtlichen Wahlbeamte, die angesichts von Belästigungen und Stress erschöpft ihren Job gänzlich an den Nagel gehängt haben.
Burgess wechselte nach Washoe County, hatte dort ihr Büro mit US-Flaggen, einer Kopie der Verfassung und Sternen in den Nationalfarben Rot, Weiss und Blau dekoriert. Aber sie fand schnell heraus, dass sie es mit einem Bezirk zu tun hatte, der im Sumpf von Verschwörungstheorien steckte und stetig Anfeindungen brachte.
Kugelhemmende Folie am Fenster: «So sollte es nicht sein»
In einem Wahlbüro zu arbeiten bedeute, an der Frontlinie der Demokratie tätig zu sein, sagt sie. Aber die Art, wie dieser Landkreis gespalten sei, vermittele das Gefühl, an einer Frontlinie eines Kampfes eingesetzt zu sein: «Jeden Tag kämpfst du gegen irgendeine Fehlinformation».
US-Wahlen 2024 im Fokus
Amerika wählt am 05. November einen neuen Präsidenten. Aber nicht nur der Präsident, sondern auch 35 Senatssitze, das komplette Repräsentantenhaus sowie elf Gouverneure werden neu gewählt. blue News begleitet die heisse Phase des Duells um das Weisse Haus nicht nur mit dem Blick aus der Schweiz, sondern auch mit Berichten direkt aus den USA.
Patrick Semansky/AP/dpa
Ein paar Tage vor ihrem Ausscheiden hatte Burgess eigens einen Berater angeheuert, der ihren Mitarbeitenden bei der Stressbewältigung helfen sollte. Noch unerledigt auf ihrer To-do-Liste waren Sicherheitsverbesserungen am Büro.
Empfohlen wurde unter anderem, die Fensterscheiben mit einer Folie zu versehen, die Kugeln zwar nicht stoppen, aber verlangsamen kann. Das habe ihr vor Augen geführt, «dass ich einen viel gefährlicheren Job habe, als ich wirklich erwartet hatte», sagt Burgess. «So sollte es nie und nimmer sein.»
Michelle Obama warnt vor Trump
STORY: Gut eine Woche vor der US-Präsidentschaftswahl hat die ehemalige First Lady Michelle Obama vor den möglichen Konsequenzen eines Wahlsiegs von Donald Trump gewarnt. Obama trat bei einer Wahlkampfveranstaltung an der Seite der demokratischen Kandidatin Kamala Harris im US-Bundesstaat Michigan auf und fand deutliche Worte: «Ich hoffe, ihr verzeiht mir, wenn ich ein wenig frustriert bin, dass einige von uns Donald Trumps grobe Inkompetenz ignorieren, während sie von Kamala verlangen, auf Schritt und Tritt zu strahlen. Ich hoffe, ihr verzeiht mir, wenn ich ein wenig wütend bin, dass uns sein sprunghaftes Verhalten, sein offensichtlicher geistiger Verfall, seine Vergangenheit als verurteilter Verbrecher, als Raubtier, das für sexuellen Missbrauch verantwortlich gemacht wird, gleichgültig ist. All das, während wir zahllose Antworten aus ihren Interviews zerpflücken, die er sich nicht einmal zu geben traut.» In ihrer kämpferischen Rede, appellierte sie insbesondere an die Männer, Trump nicht zu wählen. «Lasst mich euch warnen: Eure Wut existiert nicht in einem Vakuum. Wenn wir diese Wahl nicht richtig hinbekommen, werden Deine Frau, Deine Tochter, Deine Mutter, wir als Frauen zu Kollateralschäden Deiner Wut.» Umfragen sehen Harris und den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump weiterhin fast gleichauf. Der US-Bundesstaat Michigan gehört zu den sieben sogenannten Swing States, die für den Sieg am 5. November entscheidend sein dürften. Bereits bei den beiden vergangenen Abstimmungen fiel die Entscheidung zwischen Demokraten und Republikanern vergleichsweise knapp aus.