Radikalisierung im US-Wahlkampf Trumps Aussagen werden immer krasser – und erreichen ihr Ziel

Von Lea Oetiker

15.10.2024

Trump über illegale Migration: Wenn Haftstrafen nicht reichen, muss es die Todesstrafe sein

Trump über illegale Migration: Wenn Haftstrafen nicht reichen, muss es die Todesstrafe sein

STORY: US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump hat angekündigt, im Falle eines Wahlsieges ein Gesetz aus dem 18. Jahrhundert anzuwenden, um gegen illegale Migranten in den USA vorzugehen. Sollten Haftstrafen dabei nicht ausreichen, müsse es eben die Todesstrafe sein, sagte der Ex-Präsident am Wochenende bei einem Wahlkampfauftritt in Kalifornien. «Ich werde mich auf den Alien Enemies Act von 1798 berufen, um jedes kriminelle Migrantennetzwerk, das auf amerikanischem Boden operiert, ins Visier zu nehmen und zu zerschlagen.» «Wir werden sie so weit aus unserem Land werfen, dass Sie es nicht glauben werden.» «Sollten sie erneut in unser Land kommen, gibt es automatisch zehn Jahre Gefängnis ohne Bewährung. Zehn Jahre. Wenn das nicht klappt, werden es 20 Jahre. Und wenn das nicht reicht, muss es wohl die Todesstrafe sein, oder?» Zuvor hatte Trump die Todesstrafe bereits für Migranten gefordert, die US-Bürger töten, und von der «grössten Abschiebeaktion in der Geschichte der Vereinigten Staaten» gesprochen. Dazu sollten 10.000 zusätzliche Grenzschützer eingestellt werden, und im Dienst stehende eine 10-prozentige Gehaltserhöhung bekommen. Trump kritisierte in Kalifornien auch Vizepräsidentin Kamala Harris, die dort Bezirksstaatsanwältin war. Sie und die «radikalen Demokraten» hätten den Bundesstaat zerstört. Kalifornien hat den mit Abstand grössten Anteil aller US-Bundesstaaten am Bruttoinlandsprodukt der USA.

15.10.2024

Der US-Wahlkampf ist in der heissen Phase angekommen. Dabei punktet Trump zunehmend mit extremer Rhetorik und Angstmache: Umfragen zeigen ein immer deutlicheres Kopf-an-Kopf-Rennen.

Lea Oetiker

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Für Kamala Harris und Donald Trump ist im Wahlkampf Endspurt angesagt. 
  • Die beiden Politiker touren vor allem durch die Swing States, um die letzten Amerikanerinnen und Amerikaner von ihrer Sache zu überzeugen.
  • Dabei fällt auf: Die Reden von Trump werden immer extremer. Und er scheint damit auch Erfolg zu haben.

Am 5. November wählen die Amerikanerinnen und Amerikaner: Wird Kamala Harris oder Donald Trump Präsident oder Präsidentin der Vereinigten Staaten?

Für die Kandidaten ist jetzt im Wahlkampf also Endspurt angesagt: Die beiden touren vor allem durch die Swing States, um die letzten unentschiedenen Amerikanerinnen und Amerikaner von ihrer Sache zu überzeugen. Swing States sind Staaten, in denen die beiden Parteien bei der letzten Wahl fast gleichauf lagen.

Dabei fällt auf: Trump wird in seinen Reden und Parolen immer radikaler. Das stellt unter anderem die «New York Times» in einer Computer-Analyse fest. Das Ergebnis: Die durchschnittliche Dauer seiner Reden bei Kundgebungen stieg von 45 Minuten (2016) auf 82 Minuten (2024).

Am 5. November wählt Amerika eine neue Präsidentin oder einen neuen Präsidenten. (Archivbild)
Am 5. November wählt Amerika eine neue Präsidentin oder einen neuen Präsidenten. (Archivbild)
Bild: Keystone

Der Gebrauch von Begriffen wie «immer» und «nie» nahm um 13 Prozent zu. Negative Wörter werden nun 32 Prozent häufiger verwendet als positive, 2016 waren es noch 21 Prozent. Die Häufigkeit von Schimpfwörtern stieg um 69 Prozent.

Trump hetzt gegen Migrantinnen und Migranten

Vor allem, wenn es um das Thema Einwanderung geht, hat sich Trumps Haltung deutlich verschärft: Immer wieder stellt er Geflüchtete als gefährlich dar und beleidigt sie als «Kriminelle» und «Vergewaltiger».

Kürzlich erst wieder: «Wissen Sie, ein Mörder, das glaube ich, hat es in den Genen», sagte Trump in einem Interview. «Und wir haben im Moment eine Menge schlechter Gene in unserem Land.» Die US-Regierung habe Hunderttausende Menschen ins Land gelassen, die kriminell seien. 

Dies sagte Trump, nachdem er in der TV-Debatte fälschlicherweise behauptet hatte, dass legal in den USA lebende Einwanderinnen und Einwanderer aus Haiti in Springfield, Ohio, Haustiere essen würden.

Donald Trump hetzt immer wieder gegen Einwanderer und bezeichnet sie als «Kriminelle» und «Vergewaltiger».
Donald Trump hetzt immer wieder gegen Einwanderer und bezeichnet sie als «Kriminelle» und «Vergewaltiger».
Bild: Keystone

Bei einer Kundgebung in Arizona am letzten Sonntag behauptete er dann, dass – sollte Harris gewählt werden – «das ganze Land in ein Migrantenlager verwandeln» würde. Und forderte im selben Auftritt die Todesstrafe für kriminelle Einwanderinnen und Einwanderer, die US-Bürger töten.

Zwei Tage zuvor hatte er in Colorado erneut geschworen, «die grösste Abschiebeaktion in der Geschichte der Vereinigten Staaten zu starten», und versprochen: «Wir werden die Grenze schliessen. Wir werden die Invasion der Illegalen in unser Land stoppen. Wir werden unser Territorium verteidigen. Wir lassen uns nicht erobern.»

Chaos durch «linksradikale Irre»

In einem Interview – welches am Sonntag bei Fox News ausgestrahlt wurde – warnte der 78-Jährige vor möglichem Chaos durch «linksradikale Irre» rund um die US-Wahl.

Er sprach zudem vom «Feind im Inneren», gegen den man allenfalls militärisch vorgehen müsste. Ob er mit Chaos am Wahltag rechne, wurde er gefragt: Von seinen Anhängern sei das nicht zu erwarten, so Trump. Auf Nachfrage zu «Agitatoren» aus dem Ausland sagte Trump: «Ich denke, das grössere Problem ist der Feind im Inneren.»

Trump klagte: «Wir haben einige sehr schlechte Menschen. Wir haben ein paar kranke Leute, linksradikale Irre. Und ich denke, dass sie das Problem sind.» Der Ex-Präsident plädierte dafür, streng gegen sie vorzugehen, «wenn nötig, durch die Nationalgarde, oder wenn wirklich nötig, durch das Militär».

US-Wahlen 2024 im Fokus

Amerika wählt am 05. November einen neuen Präsidenten. Aber nicht nur der Präsident, sondern auch 35 Senatssitze, das komplette Repräsentantenhaus sowie elf Gouverneure werden neu gewählt. blue News begleitet die heisse Phase des Duells um das Weisse Haus nicht nur mit dem Blick aus der Schweiz, sondern auch mit Berichten direkt aus den USA.

Im Weissen Haus wurde Kokain gefunden.
Patrick Semansky/AP/dpa

Als Beispiele für «Feinde im Inneren» nannte er Politiker wie den demokratischen Abgeordneten Adam Schiff, der ein ausgewiesener Kritiker Trumps ist und eine prominente Rolle im Amtsenthebungsverfahren gegen den früheren Präsidenten gespielt hatte. Trump behauptete, «Feinde im Inneren» seien gefährlicher als ausländische Feinde wie China oder Russland.

Harris kontert und kritisiert Trump

Kamala Harris übt ebenfalls Kritik an Trump. Auf einer Kundgebung in North Carolina am Sonntag warf sie dem 78-Jährigen vor, dass er seine Krankenakte nicht veröffentlichen will und sich weigert, ein zweites TV-Duell durchzuführen: «Es macht einen stutzig. Warum möchte sein Team ihn verstecken?»

Kamala Harris übt Kritik an Trump: Sie wirft ihm unter anderem vor, dass er seine Krankenakte nicht veröffentlichen will.
Kamala Harris übt Kritik an Trump: Sie wirft ihm unter anderem vor, dass er seine Krankenakte nicht veröffentlichen will.
Bild: Keystone

Weiter sagte Harris: «Man muss sich fragen, ob sie Angst haben, dass die Leute sehen, dass er zu schwach und instabil ist, um Amerika zu führen. Ist es das, was vor sich geht?»

Auch das Wahlkampfteam der Vizepräsidentin hat am Wochenende in einer Erklärung zu Trumps Aussagen reagiert. Es teilt mit, dass Trumps Aussagen «jeden Amerikaner alarmieren» sollten, «dem seine Freiheit und Sicherheit am Herzen liegen».

Kopf-an-Kopf-Rennen

Mit seiner Radikalisierung scheint Trump Erfolg zu haben. Diverse Umfragen – beispielsweise von CNN – zu den Wahlen zeigen: Zwischen Harris und Trump zeichnet sich ein äusserst knappes Kopf-an-Kopf-Rennen ab.

Von den drei grossen nationalen Umfragen, die am Sonntag veröffentlicht worden sind, behielt Harris in zwei Umfragen einen Vorsprung, während beide Kandidaten in einer anderen Umfrage gleichauf lagen.

In der jüngsten Umfrage von CBS News/YouGov hatte Harris bei den wahrscheinlichen Wählern einen Vorsprung von drei Punkten gegenüber Trump (51 Prozent zu 48 Prozent). Auch in einer neuen ABC News/Ipsos-Umfrage lag Harris bei den wahrscheinlichen Wählern um zwei Punkte vorne (50 Prozent zu 48 Prozent).

In der jüngsten Umfrage von NBC News unter den registrierten Wählern lagen Harris und Trump jedoch gleichauf (48 Prozent zu 48 Prozent), wobei der ehemalige Präsident einen Fünf-Punkte-Vorsprung der Vizepräsidentin vom letzten Monat wieder aufholte.

Der knappe Wahlkampf deutet auch darauf hin, dass es den Demokraten trotz Trumps Extremismus zum dritten Mal nicht gelungen ist, einen Kandidaten oder Kandidatin aufzustellen, die hinsichtlich des Wahlergebnisses Zuversicht geben könnte.

Eine Konstante im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur ist die Bedeutung wirtschaftlicher Fragen: Hier trauen die Wählerinnen und Wähler Trump mehr als Harris zu.

Nichtsdestotrotz verfügt Harris weiterhin über einen, wenn auch knappen Vorsprung. Und zwar bei der Frage, welcher Kandidat oder welche Kandidatin für Veränderung steht. Hier lag Harris fünf Punkte vor Trump (45 zu 40 Prozent). Dies ist ein kleiner Rückgang gegenüber ihrem Neun-Punkte-Vorsprung im September (47 Prozent zu 38 Prozent).

Wer kann afroamerikanische und hispanische Wählerinnen und Wähler besser mobilisieren?

Harris selbst bezeichnete sich als «Underdog» und kündigte an, den Wahlkampf in den kommenden Wochen zu intensivieren. Ein besonderer Schwerpunkt von Harris' Kampagne liegt auf der Mobilisierung afroamerikanischer und hispanischer Wählerinnen und Wähler.

Obwohl Umfragen zeigen, dass sie bei dieser Wählergruppe führt, bleibt sie hinter den Werten zurück, die Joe Biden 2020 erzielte. Die Unterstützung dieser Wählergruppe gilt als entscheidend für einen möglichen Wahlsieg der Demokraten.

Das Gewicht der Swing States

Die Wahl schliesslich entscheiden werden aber die Swing States. So wird Harris sich auf Pennsylvania, Michigan und Wisconsin konzentrieren, die sogenannte Blue Wall. Staaten, die traditionell für die Demokratische Partei stimmen. Wenn die «blaue Mauer» dieser drei Bundesstaaten nicht hält, wird Harris die Wahl kaum gewinnen.

Seit Donald Trump haben die Republikaner in den Swing States des Nordens ordentlich zugelegt. Arizona, Nevada und Georgia befinden sich im Süden der USA – den Sun Belt Swing States.

Umfragen zeigen, dass Trump in Arizona mit fünf Punkten vorne liegt und Harris in Pennsylvania ihren Vorsprung auf vier Punkte ausbauen konnte. Die «New York Times» merkt in ihrer Analyse jedoch an, dass sich weder Trump noch Harris in den kommenden Wochen ihres Sieges in diesen wahlentscheidenden Swing States sicher sein können. Andere Umfragen renommierter Meinungsforschungsinstitute zeigen, dass die Rennen in beiden Staaten knapper ausfallen könnten.

Trumps Erfolgsrezept

Aber warum ist Trump trotz seines Extremismus so erfolgreich?

Trump kann nach wie vor auf eine sehr loyale Anhängerschaft zählen, die seine direkte und kontroverse Art schätzt. Viele seiner Unterstützerinnen und Unterstützer sehen ihn als jemanden, der «ungefiltert sagt, was er denkt». Diese Authentizität ist ein wichtiger Teil seines Images und spricht viele Wählerinnen und Wähler an.

Ausserdem setzt er auf eine aggressive Rhetorik, die seine Anhänger mobilisiert. Er scheut sich nicht davor, kontroverse Aussagen zu machen oder seine Gegnerinnen und Gegner direkt anzugreifen, was ihm viel mediale Aufmerksamkeit beschert. 

Er konzentriert sich auf Themen wie Migration, bei denen er eine «Strategie der Angst» anwendet, um seine Anhängerschaft zu aktivieren. Diese Strategie verfängt bei vielen Wählern, die sich Sorgen um die Sicherheit und wirtschaftliche Stabilität machen.

Anzeichen für «tiefe Ängste» und «Hass»

Der Psychologie-Professor John Jost von der Universität New York sieht in Donald Trumps Äusserungen in seinen Reden und auf der Plattform Truth Social Anzeichen für «tiefe Ängste» und «Hass», die der Republikaner angesichts einer möglichen Niederlage empfinden könnte. «Trump wirkt verzweifelt und bereit, alles zu sagen oder zu tun, unabhängig vom Wahrheitsgehalt», erklärt Jost.

Im September veröffentlichte Trump laut einer AFP-Analyse etwa 1000 Beiträge auf Truth Social, also über 30 pro Tag. Mehr als ein Drittel dieser Beiträge richtete sich direkt gegen Kamala Harris.

Auf Truth Social verbreitete Trump alleine im September über 30 Beiträge am Tag.
Auf Truth Social verbreitete Trump alleine im September über 30 Beiträge am Tag.
Bild: Keystone

Über die Vizepräsidentin behauptet Trump, sie habe sich «Verbrechen» zuschulden kommen lassen und müsse ihres Amtes enthoben werden. Wahlweise bezeichnet er sie als «verrückt», «lügend» oder gar «geistig beeinträchtigt».

Boden für mögliche Wahlanfechtung

Er nutzt zunehmend rachsüchtige Kommentare, um seine radikalsten Anhänger anzusprechen, und bereitet den Boden für mögliche Wahlanfechtungen.

Beispielsweise schreibt er, dass all diejenigen, die 2020 betrogen hätten oder dies 2024 täten, «in einem Masse strafrechtlich verfolgt würden, das es in unserem Land noch nicht gegeben hat».

«Selbst für jemanden wie mich, der Trump seit neun Jahren beobachtet, ist das schockierend», beschreibt Larry Sabato von der Universität von Virginia Trumps weitere Radikalisierung. «Die meiste Zeit meines Lebens wäre ein Kandidat, der diese Art von verdrehten Kommentaren verbreitet hätte, von seiner Nominierung ausgeschlossen worden.»

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