Lagebild Russland Es läuft nicht für Putin

Philipp Dahm

26.8.2024

Nach Alarm an Nato-Basis: Hinweis auf Russen-Sabotage

Nach Alarm an Nato-Basis: Hinweis auf Russen-Sabotage

Knapp einen Tag lang galt auf dem Nato-Stützpunkt Geilenkirchen bei Aachen die zweithöchste Sicherheitsstufe des Bündnisses. Hinter der vorübergehenden Anhebung der Sicherheitsstufe steckten Geheimdiensterkenntnisse zu einer möglichen Bedrohung durch einen russischen Sabotageakt.

26.08.2024

Der Druck auf Wladimir Putin steigt: Die Invasion in Kursk bedroht nicht nur seine Soldaten, sondern auch seine Finanzen – und stärkt die Moral der Ukrainer*innen. Nur aus Donezk gibt es für den Kreml gute Nachrichten.

Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Verhängnisvolle Drohnenattacken in Russland: Ein Öldepot brennt seit acht Tagen, ein Munitionsdepot fliegt in die Luft.
  • Bei letzterer Attacke könnte neue Drohne Paljanyzja zum Einsatz gekommen sein, die ein Strahltriebwerk hat.
  • Angeblich liegen mindestens 21 russische Militärflugplätze in ihrer Reichweite.
  • Update Kursk: Koronewo steht anscheinend vor dem Fall.
  • Die Invasion stärkt die Moral der ukrainischen Bevölkerung, des Militärs und auch der Helfer im Westen.
  • In Sudscha hat Kiew den «Fuss auf dem Hals von Gazprom», das viel zu Moskaus Haushalt beisteuert.
  • In Charkiw erobert Kiews Armee Gelände zurück.
  • Die einzigen guten Nachrichten für Wladimir Putin kommen aus dem Donbass.

Der heutige massive russische Drohnen- und Raketenangriff auf Kiew und weitere Ziele in der Ukraine war eigentlich schon für das vergangene Wochenende erwartet worden, weil das Land am 24. August seinen Unabhängigkeitstag gefeiert hat.

Angeblich wurden über 1000 Drohnen und 60 Raketen abgefeuert. Berichte über Tote, Verletzte und Schäden sind bisher rar: Die Ukrainer tun Moskau nicht den Gefallen, die Treffer via Social Media zu melden – und so der russischen Armee die Arbeit zu erleichtern, was die Auswertung ihres Angriffs betrifft.

In der Regel erreicht das Gros der Kremlraketen nicht ihr Ziel, wie die drei folgenden X-Posts zeigen: Mal kommen die Flugkörper vom Kurs ab und rauschen in ein Gewässer, mal wird eine Drohne von einem Mi-8-MG runtergeholt und mal gelingt es einer Flugabwehrkanone, eine Cruise-Missile zu treffen.

Wladimir Putins Attacke kommt also zu spät und wird wohl nicht das erreichen, was sich der Kreml erträumt. Es sind nicht die einzigen schlechten Nachrichten für den 71-Jährigen.

Öldepot brennt seit acht Tagen, Munitionsdepot explodiert

Ein grosses Problem sind die ukrainischen Drohnenangriffe auf russische Ziele. So brennt beispielsweise das Öldepot von Proletarsk im Oblast Rostow nun schon den achten Tag in Folge: Es gelingt der Feuerwehr einfach nicht, den Brand unter Kontrolle zu bringen. 

Im Bezirk Ostrogoschski im Oblast Woronesch hat Kiews Armee ebenfalls zugeschlagen: Dort wurde am 24. August ein Munitionsdepot getroffen – mit verheerenden Folgen, wie Satellitenbilder zeigen: 5000 Tonnen sollen dabei in die Luft geflogen sein. Dabei könnte eine neue Waffe zum Einsatz geklommen sein.

Ein ukrainischer Minister hat am Unabhängigkeitstag gesagt, die neue Drohne namens Paljanyzja sei bereits eingesetzt worden. Paljanyzja bezeichnet eigentlich ein bestimmtes ukrainisches Brot. Was die neue Waffe so unangenehm macht: Sie hat ein Strahltriebwerk.

21 Militärflughäfen in Reichweite der neuen Drohne

Dadurch ist die Paljanyzja sehr viel schwerer abzufangen. Und während die Reichweite der neuen Waffe geheim ist, zeigen ukrainische Medien nicht weniger als 21 russische Militärflughäfen, die in Schlagdistanz der neuen Drohne liegen sollen – siehe unten stehenden X-Post.

Putin hingegen kann seine «beste Waffe» kaum gegen den Gegner in Kursk einsetzen, hält «Business Insider» fest: Es geht um die Gleitbomben, von denen Russland pro Monat angeblich 30'000 produziert. Mark Cancian vom Center for Strategic and International Studies erklärt das damit, dass die russische Luftraumkontrolle so schlecht ist: Putins Luftwaffe laufe Gefahr, die eigenen Leute zu treffen.

Auch andere Experten bestätigen «Business Insider», dass Moskau sich in Kursk zurückhält. In der Ukraine sei der Einsatz dagegen unproblematisch, weil die Front dort so statisch sei und Ungenauigkeiten nicht so grosse Auswirkungen hätten. Allein in der vergangenen Woche seien in der Ukraine 750 Gleitbomben gefallen, meldet Kiew.

«Es schien, als würde die Ukraine fallen»

Die Invasion in Kursk dürfte Putin weiterhin schlaflose Nächste bereiten. Ganz unabhängig von ihrem Ausgang hat sie bereits einige Ziele erreicht. «Es schien, als würde die Ukraine fallen», blickt Oleksandr Lytvynenko auf die Zeit vor Kursk zurück. Russland habe «100 bis 200 Meter pro Tag» erobert – «sehr langsam, aber offenbar unaufhaltsam».

«Doch nun ist der Sekretär des Nationalen Verteidigungs- und Sicherheitsrat wieder optimistisch», schreibt das Royal United Services Institute (RUSI): Nicht nur das Militär, sondern auch die Bevölkerung sei durch die Erfolge in Kursk wieder motiviert, analysiert die Londoner Denkfabrik. Gleichzeitig würde auch dem Westen bedeutet, dass seine Militärhilfe gut investiert ist.

Erobertes Gebiet und Hauptstossrichtungen der ukrainischen Armee in Kursk.
Erobertes Gebiet und Hauptstossrichtungen der ukrainischen Armee in Kursk.
Youtube/Reporting from Ukraine

«Mit dem Einmarsch in Kursk sollen Russlands erbarmungslose Vorteile in Sachen Wirtschaft und Grösse durch Überraschung, Manöver und die taktische Raffinesse der Ukraine ausgeglichen werden», fasst RUSI zusammen. Und ganz nebenbei zeigt Kiew mit der Attacke auf das Kernland der ganzen Welt, dass Putins rote Linien nicht in Stein gemeisselt sind.

Kursk: Moskaus Armee und auch Gazprom im Hintertreffen

Putin drückt den roten Atomknopf also nicht, auch wenn das Mutterland attackiert wird. Und der Gegner rückt weiter vor: Um die Stadt Koronewo einzunehmen, hat die Ukraine östlich der Stadt einen Brückenkopf bei der Siedlung Schurawli eingerichtet, der hinter den dortigen Seen und dem Flüsschen Reka Krepna liegt.

Vom Brückenkopf in Schurawli aus kann die ukrainische Armee Koronewo in die Flanke fallen.
Vom Brückenkopf in Schurawli aus kann die ukrainische Armee Koronewo in die Flanke fallen.
Youtube/Reporting from Ukraine

Der Brückenkopf hat Kiew einen Angriffsvektor von Osten her eröffnet, doch gleichzeitig sind die Streitkräfte auch im Westen von Koronewo vorgerückt – und auch unmittelbar davor. Weil die Russen kaum Kräfte in dem Gebiet haben, wurden diese aus Koronewo abgezogen, um andere Gebiete zu schützen. Das war ein Fehler, berichtet Reporting from Ukraine: Koronewo steht nun angeblich kurz vor dem Fall.

Zu wenig Kräfte: Moskau hat seine Truppen aus Koronewo abgezogen, um andere Siedlungen zu schützen. Das rächt sich nun offenbar.
Zu wenig Kräfte: Moskau hat seine Truppen aus Koronewo abgezogen, um andere Siedlungen zu schützen. Das rächt sich nun offenbar.
Youtube/Reporting from Ukraine

Durch die Einnahme von Sudscha in Kursk kontrolliert Kiew nun ausserdem den Zugangspunkt zur letzten Pipeline, die direkt Gas nach Europa pumpt. Noch wurde der Gashahn aber nicht zugedreht: «Die Ukraine hat ihren Fuss auf dem Hals von Gazprom», staunt das Brüsseler Center for European Policy Analysis. Die Gewinne des Konzerns sind für den Haushalt des Kreml essenziell – und das potenzielle Ungemach für Putin gross.

Putins einziger Lichtblick

Weil Moskau Truppen aus Charkiw abgezogen hat, um sie nach Kursk zu schicken, hat Kiews Armee in dem ukrainischen Oblast Gelände zurückgewonnen. Es ist allerdings Selenskyjs einziger Erfolg auf ukrainischem Boden: Die wiederum derzeit einzigen guten Nachrichten für Putin kommen aus dem Donbass.

«Russland ignoriert die Kursk-Invasion. Russische Regimenter konzentrieren sich auf einen grossen ukrainischen Preis: Pokrowsk», fasst es «Forbes» zusammen. Die Stadt sei sehr wichtig, weil in ihrer Nähe bedeutende Nachschubrouten des Gegners verlaufen: Pokrowsk zu halten, sei kritisch.

Doch trotz des Einsatzes westlicher Waffen sollen die Russen keine elf Kilometer mehr von Pokrowsk entfernt sein. Auch in Toretsk toben heftige Kämpfe, die die Stadt selbst längst erreicht haben.