Lagebild Russland Das ist der nächste Schlag in Putins Magengrube

Philipp Dahm

19.8.2024

Faustpfand Kursk: Das nutzen Selensky die russischen Eroberungen

Faustpfand Kursk: Das nutzen Selensky die russischen Eroberungen

Der ukrainische Angriff auf die russische Region Kursk hat sowohl die Russen als auch die Verbündeten der Ukraine überrascht. Doch was bezweckt Selenskyj damit und welche Rolle spielt das kursker Kernkraftwerk?

16.08.2024

Wladimir Putin ist wütend: Seine Kettenhunde wollen westliche Journalisten töten, die aus Sudscha berichten. Derweil kündigt eine zerstörte Brücke die nächste grosse Niederlage des Kreml in Kursk an.

Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Künstlich verursachter Stau und bewaffnete Aufklärung: So konnte Kiews Armee die Russen in Kursk überraschen.
  • Nachschub und Minen sicherten die ersten ukrainischen Erfolge ab.
  • Was Kiew in Sudscha alles gewonnen hat.
  • Westliche Journalisten, die aus Sudscha berichteten, werden mit dem Tod bedroht – ein Italiener ist deshalb abgezogen.
  • Zunächst stiess die ukrainische Armee nach Westen, dann nach Osten und schliesslich im Süden vor.
  • Die Zerstörung einer dritten Brücke über den Seim hat ein 700 Quadratkilometer grosses russisches Gebiet vom Nachschub abgeschnitten.

Seit knapp zwei Wochen halten ukrainische Soldaten Territorium im russischen Oblast Kursk: Erst nach und nach wird deutlich, wie gut geplant und weitsichtig der Vorstoss ins russische Kernland ist.

Das zeigt sich bereits, bevor die ersten ukrainischen Soldaten die Grenze übertreten: Sie rufen bei der benachbarten Bevölkerung an und bescheiden ihr auf Russisch, sie müssten das Gebiet räumen.

Die Folge: Auf den Strassen, die von Kursk tiefer nach Russland führen, staut sich anschliessend der Verkehr – und behindert die eigenen Soldaten, die den umgekehrten Weg nehmen wollen. Bewaffnete Aufklärer spähen die Konvois aus, die heranrücken, und markieren sie: Noch vor der Ankunft auf dem Schlachtfeld verlieren Dutzende Russen ihr Leben.

Nachschub bildet Basis für den Erfolg

Zunächst stossen die Ukrainer entlang von vier Strassen vor und erobern Sudscha: Die Einnahme ist deshalb so wichtig, weil die Kleinstadt nun zum logistischen Herz des ukrainischen Vorstosses wird, weiss Reporting from Ukraine. Zuvor lag das Zentrum der Truppen in Junakiwka im ukrainischen Oblast Sumy.

Vor der Einnahme von Sudscha wurden die ukrainischen Truppen von Junakiwka aus versorgt.
Vor der Einnahme von Sudscha wurden die ukrainischen Truppen von Junakiwka aus versorgt.
Youtube/Reporting from Ukraine

Das verkürzt die Wege an die Front deutlich: Von Sudscha aus sind es noch höchstens 25 Kilometer. Die Stadt ist zudem bei der Eroberung kaum zerstört worden: So haben ukrainische Truppen genügend Raum, um sich versteckt zu sammeln. Von hier aus rotieren die Soldaten, Verletzte werden versorgt und der Nachschub wird organisiert.

Nach der Eroberung von Sudscha sind die Wege für Kiews Armee kürzer.
Nach der Eroberung von Sudscha sind die Wege für Kiews Armee kürzer.
Youtube/Reporting from Ukraine

Um einen Gegenangriff auf Sudscha zu unterbinden, ist das Gebiet östlich der Stadt vermint worden: Das passiert mit Artilleriegeschossen, die im Flug diverse Sprengfallen abwerfen.

Ukrainer breiten sich im Osten und Westen aus

Damit wird das Fundament für diese Attacke gelegt, bei der Kiew auf einen Bewegungskrieg setzt, für den die westlichen Waffen explizit ausgelegt sind: Mit den Schützenpanzern Marder und Stryker sowie Panzern vom Typ Challenger 2 rücken die Ukrainer schnell vor.

Ausweitung der Kampfzone nach Osten: In Giri ist für Kiews Armee vorerst Schluss.
Ausweitung der Kampfzone nach Osten: In Giri ist für Kiews Armee vorerst Schluss.
Youtube/Reporting from Ukraine

Sie versuchen vorerst, das kontrollierte Gebiet entlang des Flusses Psel auszuweiten, und stossen von Plechowo aus nach Osten vor. Sie erobern vier Siedlungen, bis sie vom Gegner in der Stadt Giri gestoppt werden können. Das ist aber nur möglich, weil anderswo Truppen abgezogen werden: So entstehen weitere Lücken in Moskaus Defensive in der Region.

Gluschkowo (Mitte) wird von Osten wie von Westen attackiert.
Gluschkowo (Mitte) wird von Osten wie von Westen attackiert.
Youtube/Reporting from Ukraine

Wegen des Widerstandes im Osten entscheidet sich Kiew für einen weiteren Vorstoss nach Westen Richtung Gluschkowo, der von Truppen unterstützt wird, die von ukrainischem Territorium her eine Zangenbewegung versuchen. Hinzu kommen ukrainische Luft- und Himars-Angriffe.

Was Kiew schon alles gewonnen hat

Bis hierhin hat Kiew schon viel erreicht. Mit der Einnahme von Sudscha wird eine Bahnlinie unterbrochen, die von Kursk und Lgow durch Sudscha in den Oblast Belgorod führt. Sie ist wichtig für den Nachschub des russischen Vorstosses in Charkiw. Zudem fällt ein Gazprom-Knotenpunkt in die Hände der Ukrainer, von dem aus Gas in den Westen gepumpt wird.

Ein Trumpf sind ausserdem die Kriegsgefangenen – weil sie für Kiew ein Tauschmittel sind, um ukrainische Gefangene freizubekommen. Bis zu 2000 Russen sollen dingfest gemacht worden sein: Der Kreml wird sich schnell auf einen Handel einlassen, weil viele blutjunge Rekruten unter den Inhaftierten sein sollen.

Zudem erbeuten ukrainische Soldaten auch Geheimnisse: So wird in einem Untergrundbunker ein geheimes Drohnenabwehrsystem der Russen entdeckt. Kiew fährt ausserdem westliche Journalisten nach Sudscha, die Moskaus Blamage öffentlich machen.

Journalist zieht nach Moskauer Drohung aus Kursk ab

Die Berichte der Reporter machen Wladimir Putin offenbar mächtig wütend: Moskau droht den Journalisten aus dem Westen mit Anklagen, aber auch mit Attentaten. Die italienische RAI zieht ihren Mann in der Folge aus Kursk ab

Unbeeindruckt vom Säbelrasseln des Kreml weiten die Ukrainer das von ihnen kontrollierte Gebiet in Kursk aus, während Russland bereits 5000 Soldaten aus der Ukraine abgezogen haben soll und wegen des Mangels an Personal angeblich sogar Mitglieder der Luft- und Weltraumkräfte in Kursk verheizt.

Um Koronewo zu schützen, mussten die Russen andere Gebiete räumen, die nun von Kiew kontrolliert werden.
Um Koronewo zu schützen, mussten die Russen andere Gebiete räumen, die nun von Kiew kontrolliert werden.
Youtube/Reporting from Ukraine

Doch das reicht nicht aus, um die Front zu stabilisieren: Um die Stadt Koronewo zu schützen, müssen andere Siedlungen unbewacht bleiben, die inzwischen von den Ukrainern eingenommen worden sind.

Riesiges russisches Gebiet wird abgeschnitten

Der heftigste Schlag in Putins Magengrube steht aber noch bevor: Kiews Kräfte sollen eine dritte Brücke zerstört haben, die über den Fluss Seim führt. Das ist deshalb relevant, weil damit ein 700 Quadratkilometer grosses Gebiet westlich des Areals, das die Ukrainer erobert haben, von Verstärkungen abgeschnitten ist.

Hinzu kommt, dass die wichtige russische Autobahn E38 nun in Reichweite ukrainischer Drohne liegt, die den wichtigen Nachschubweg angeblich permanent überwachen und russische Lastwagen immer wieder angreifen.

Die Kämpfe in Kursk halten an: Gefechte werden aus Tetkino, Koronewo und weiteren Siedlungen gemeldet. Gekämpft wird aber offenbar auch um Herzen und Mägen derjenigen, die Moskau nicht evakuieren konnte oder wollte, wie der X-Post unten zeigt.