Lagebild Russland Kiew bereitet sich in Kursk auf Moskaus Gegenschlag vor

Von Philipp Dahm

22.8.2024

Ukraine veröffentlicht Video von Einmarsch in Russland

Ukraine veröffentlicht Video von Einmarsch in Russland

Dieses Video, das die ukrainischen Militärbrigaden am Freitag veröffentlicht haben, soll den ersten Tag des ukrainischen Einmarsches in das russische Gebiet Kursk, an der Grenze zur Ukraine zeigen. Die ukrainischen Truppen hatten am 6. August die Grenze überquert und damit die Führung in Russland überrascht. Seitdem halten sie sich in der Region und haben dort sogar eine Militärkommandantur eingerichtet.

21.08.2024

Die ukrainische Armee hat sich in Kursk eingerichtet und rund 3000 Russen eingeschlossen: Wie Kiew das Gebiet filetiert, wie Wladimir Putin darauf antworten will und was das für den Rest der Front bedeutet, liest du hier.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • 3000 russische Soldaten sollen in Kursk eingeschlossen sein: Darum wird sich Kiew Zeit damit lassen, sie zu attackieren.
  • Von der Offensive in die Defensive: Wie sich die ukrainische Armee weiter ausbreitet und vorgeht.
  • Ukrainer richten sich in Kursk ein: Nach dem Aufbau einer Kommandantur soll auch die Post dort tätig werden.
  • Wie der Kreml reagiert und was er offiziell bekannt gibt.
  • So ist die Lage im Donbass und so wirkt sich die Kursk-Invasion auf andere Frontabschnitte aus.

Die ukrainischen Streitkräfte sind laut ihrem Oberkommandierenden Oleksandr Syrskyi seit Beginn der Offensive in Kursk 28 bis 35 Kilometer vorgerückt und haben dabei 1263 Quadratkilometer und 93 Siedlungen eingenommen.

Und es wird mehr russisches Territorium hinzukommen: Im Westen des eroberten Gebiets ist ein rund 700 Quadratkilometer grosses Areal, das vom Nachschub abgeschnitten ist, seit Kiew die drei Brücken beschädigt hat, die über den Seim führen. «Tausende Truppen sind wahrscheinlich eingeschlossen», staunt «The War Zone» (TWZ): 3000 sollen es sein.

Jene russischen Truppen sind nicht zu beneiden: Sie müssen mit Attacken von der ukrainischen Grenze her rechnen, aber auch mit einem Einfall durch die eigene Verteidigungslinie, die im obigen X-Post rot markiert ist. Kiew hat keine Eile, sie zu bekämpfen: Je länger sie vom Nachschub abgeschnitten sind, desto eher werden sie sich ergeben, so das Kalkül.

3000 Russen eingeschlossen: «Sie werden nicht kämpfen»

Theoretisch bleibt dem Kreml die Möglichkeit, über eine Pontonbrücke Hilfe zu schicken. In der Praxis lassen sich die Pioniere aber nicht verstecken: Drohnen entdecken etwaige Versuche umgehend und ersticken mithilfe der Artillerie diese im Keim.

Dass die Eingeschlossenen hartnäckig Widerstand leisten werden, ist nicht zu erwarten: Reporting from Ukraine berichtet von einem begrenzten ukrainischen Angriff auf Tjotkino, bei dem sich die Russen sofort hinter den Fluss zurückgezogen und kleinere Brücken zerstört hätten. Doch dort drohen nun Attacken in ihrem Rücken und von Süden her.

Ein begrenzter Vorstoss von Westen her nach Tjotkino hat zu einem sofortigen Rückzug der Russen geführt.
Ein begrenzter Vorstoss von Westen her nach Tjotkino hat zu einem sofortigen Rückzug der Russen geführt.
YouTube/Reporting from Ukraine

Die Position ist nicht zu halten – und die richtige Offensive hat noch gar nicht begonnen. Die russischen Truppen bestehen vor allem aus Rekruten und Mitgliedern der Nationalgarde. «Sie werden nicht kämpfen», sagt eine TWZ-Quelle. «Die meisten von ihnen sind unerfahren und demotiviert.»

«Ukraine geht jetzt von der Offensive in die Defensive über»

Die Ukrainer haben offenbar nicht vor, Kursk alsbald zu räumen: Die Streitkräfte haben eine Kommandantur in Sudscha eingerichtet, die von General Eduard Moskalew geleitet wird. Sie soll im besetzten Gebiet die Sicherheit aufrechterhalten und die Versorgung der Bevölkerung gewährleisten. Die Post prüft die Einrichtung einer Filiale in der Stadt.

Dass Kiews Armee weiter nach Osten vorrückt, ist unwahrscheinlich. Ein Grund sind die immer länger werdenden Wege für den Nachschub, der Grundlage einer erfolgreichen Militär-Operation ist. Allenfalls an der Grenze lohnt sich die Einnahme weiterer Gebiete.

«Die Ukraine geht jetzt von der Offensive in die Defensive über», schätzt auch Markus Reisner bei n-tv die Lage ein: Kiews Kräfte würden sich nun sammeln, um sich auf den bevorstehenden Gegenangriff des Gegners vorzubereiten, glaubt der Oberst des österreichischen Bundesheers.

Was tut Russland jetzt?

Wie könnte der Gegenangriff aussehen? Moskau braucht Männer, sagt Oberst Reisner: Um die 5000 bis 6000 ukrainischen Soldaten anzugreifen, müsse der Kreml 20'000 bis 25'000 Kombattanten aufbieten. Nur langsam werden nun Kräfte herangezogen, die aus Saporischschja, Cherson und Charkiw kommen sollen.

Moskau selbst teilt mit, man habe seit dem 6. August in Kursk 2860 Gegner getötet oder verletzt, 41 Panzer und 213 gepanzerte Fahrzeuge zerstört – und auch sechs Raketenwerfer inklusive drei Himars getroffen. In einem Fall scheint jedoch erwiesen, dass der Kreml auf einen aufblasbaren Köder aus tschechischer Produktion hereingefallen ist.

Ein Problem für die Ukrainer sind die russischen Luftangriffe: Putins Luftwaffe greift nicht nur in Kursk, sondern auch hinter der Grenze in Sumy auf breiter Front an. Kiew reagiert darauf mit verstärkten Drohnen-Attacken auf russische Militär-Flughäfen.

Auswirkungen im Norden und Süden

Die Invasion in Kursk hat inzwischen Folgen auf der ganzen Frontlinie. Wohl auf Wunsch von Wladimir Putin hat Alexander Lukaschenko ein Drittel der Belarus-Truppen an die Grenze verlegt, um Kiew zu zwingen, Truppen an die Grenze im Norden zu schicken. Gleichzeitig erhöht Moskau den Druck im Donbass und frisst sich unter hohen Verlusten weiter vor.

Nach der russischen Einnahme von New York steht Torezk vor dem Fall. Tschassiw Jar bleibt wegen seiner strategischen Bedeutung ebenso ein Brennpunkt wie Pokrowsk, das die Ukrainer räumen mussten. Hart ist für die Verteidiger, dass ihre Munition in Donezk laut «Financial Times» rationiert worden ist, um Granaten für Kursk vorzuhalten.

Eine Donbass-Karte zur Orientierung. A: Donezk, B: Awdijwka, C: Porkowsk, D: New York, E: Toretsk, F: Tschassiw Jar, G: Bachmut.
Eine Donbass-Karte zur Orientierung. A: Donezk, B: Awdijwka, C: Porkowsk, D: New York, E: Toretsk, F: Tschassiw Jar, G: Bachmut.
DeepStateMap/phi

Während die Russen im Donbass weiter Erfolge feiern dürften, könnte sich an der Front im Süden das Blatt drehen, nachdem jeweils zwei Regimenter Cherson und Saporischschja verlassen haben sollen. Angeblich nutzt die ukrainische Armee das bereits aus und rückt nun ihrerseits im Süden vor. Eine Betätigung dafür steht allerdings noch aus.