Vorstoss auf russisches Gebiet Der plötzliche Kurswechsel der Ukraine überrascht die Welt

Von Sven Ziegler

8.8.2024

Russland: Lage in Kursk nach ukrainischem Vorstoss «unter Kontrolle»

Russland: Lage in Kursk nach ukrainischem Vorstoss «unter Kontrolle»

Die russischen Streitkräfte haben sich in der Oblast Kursk den dritten Tag in Folge Gefechte mit eingedrungenen ukrainischen Truppen geliefert. Hier Videomaterial, das am Donnerstag vom russischen Verteidungsministerium veröffentlicht wurde. Die Lage sei «stabil und unter Kontrolle», erklärte der Vize-Gouverneur der Grenzregion ebenfalls am Donnerstag der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti zufolge.

08.08.2024

Die Ukraine wagt einen Angriff auf russisches Territorium – doch mit welchem Hintergrund? Ein Experte erklärt. 

Sven Ziegler

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Ukraine wagt einen Vorstoss auf russisches Territorium.
  • Der Angriff kam überraschend, analysiert Experte Mick Ryan.
  • Er erklärt zudem, was die Hintergründe sein könnten.

Seit Anfang Woche befindet sich die russische Armee in der Region Kursk unter Druck. Ukrainische Truppen attackieren immer wieder russisches Territorium, Tausende Russen wurden bereits evakuiert. 

Ukrainische Soldaten sollen bereits zehn Kilometer weit auf russisches Gebiet vorgedrungen sein. Mehrere Orte wurden erobert und viele russische Soldaten haben sich ergeben.

Doch was steckt hinter dem Vorstoss? Laut dem amerikanischen Militär-Experten Mick Ryan gibt es dazu verschiedene Theorien. Klar sei: Der Angriff auf die Region sei überraschend gekommen.

«Die Überraschung ist eine wichtige Kontinuität im menschlichen Wettbewerb und in der Kriegsführung. Ziel ist es, den Gegner zu schockieren und ihn zu überwältigen, wenn er am schwächsten ist oder am wenigsten damit rechnet», schreibt er in einem Thread auf der Plattform X.

«Dieser Schock und der damit einhergehende Zusammenbruch des gegnerischen Zusammenhalts und der Fähigkeit, wirksam zu reagieren, kann dann genutzt werden, um Boden zu erobern und feindliche Verbände zu zerstören.»

Ukraine besser aufgestellt – aber mit welchem Ziel?

Zwar habe es schon in der Vergangenheit Angriffe auf russisches Territorium gegeben, so Ryan. Dieses Mal gebe es aber deutliche Unterschiede. «Es handelt sich dieses Mal um eine Operation mit mehreren Brigaden.»

So sei unter anderem klar, dass die 22. und die 82. Brigade im Einsatz stünden, so Experte Ryan. «Beides sind hochgerüstete Elite-Brigaden. Die Ukrainer haben also erfahrene Kräfte eingesetzt.»

Zudem, so Ryan, hätte die Ukraine auch Luftabwehr-Geschütze an die Front gezogen. Russland habe zwar versucht, mit Helikoptern und Kampfjets zu reagieren – bislang allerdings erfolglos. «Das deutet darauf hin, dass die ukrainische Luftverteidigung erfolgreicher funktioniert als noch 2023.»

Die Ukraine sei nun auf mindestens zwei Achsen nach Russland vorgedrungen. Das stelle Russlands Armee vor Probleme, analysiert Mick Ryan. Die Lage sei allerdings unklar. Wie tief die Ukraine tatsächlich vorgestossen sei, wisse man nicht. Aber: «Der Angriff zeigt, dass auch in diesem Krieg noch Überraschungen möglich sind.»

Verschiedene Optionen denkbar

Doch welche Ziele verfolgt die Ukraine mit ihrem Angriff auf russisches Territorium? Für eine definitive Analyse ist es laut Ryan zwar noch deutlich zu früh. Dennoch gebe es verschiedene Theorien.

So könnte die Ukraine darauf spekulieren, dass Russland seine Truppen von anderen Abschnitten der Front verschieben muss. «Die Russen werden darauf reagieren müssen, und selbst sie verfügen nicht über ein Fass ohne Boden, um dies zu tun. Um auf den ukrainischen Angriff auf die Region Kursk zu reagieren, müssen sie ihre Verteidigung an anderer Stelle einstellen.» Die Ukraine könnte dann an den geschwächten Frontabschnitten vorstossen. 

Ein weiteres Ziel der Ukraine könnte sein, wichtige Strassen- und Eisenbahnlinien zu blockieren und so Russland vom Nachschub abzuschneiden. Auch das Kernkraftwerk Kursk sei eine Möglichkeit. «Aber hiervon befindet sich die Ukraine noch sehr weit entfernt.»

Ein drittes strategisches Ziel könnte die Stärkung der Moral in der ukrainischen Bevölkerung sein. «In Anbetracht der vergangenen acht Monate der Verteidigungsoperationen, der ständigen Luftangriffe auf die Infrastruktur und der anhaltenden Energieknappheit wird der Wille des Volkes bei den Überlegungen der ukrainischen Regierung über den weiteren Verlauf des Krieges im Vordergrund stehen.» Es brauche Erfolgsmeldungen, so Ryan, und ein Eindringen auf russisches Territorium könnte einen moralischen Boost auslösen.

Die genauen Ziele werde man erst mit der Zeit erkennen, so Mick Ryan zum Schluss der Analyse. Auch wisse man derzeit noch nicht, ob der Vorstoss richtig sei oder sich vielleicht doch als Fehler entpuppen könnte.

Die Russen stehen unter Druck – die Ukraine greift gegnerisches Territorium an. (Archivbild)
Die Russen stehen unter Druck – die Ukraine greift gegnerisches Territorium an. (Archivbild)
Bild: Keystone