Philippinische Taucher Die Suche nach Gold führt sie auf den Grund des Meeres

Von Claudio Sieber, Pinut-an, Philippinen

24.4.2022

Auf der Insel Leyte tauchen kreative Filipinos mit Kokosnussschalen und improvisierten Taucherbrillen nach Gold. Das versunkene Edelmetall macht nicht reich, aber es reicht fürs Überleben.

Von Claudio Sieber, Pinut-an, Philippinen


Mit Goldabbau assoziiert man gemeinhin kolossale Walzen, die Erzbrocken abtransportieren oder dunkle Stollen, in denen schmutzige Männer im Lichtkegel ihrer Stirnlampen auf Gestein einhacken. Am westlichen Tor zum Pazifik sieht die Realität jedoch ganz anders aus.

Sobald sich das Meer morgens beruhigt hat, herrscht reger Betrieb an den Ufern von Pinut-an im Süden der Insel Leyte auf den Philippinen. Mit den ersten Sonnenstrahlen schwärmen die Frühaufsteher aus ihren Bretterverschlägen, um Waschrinnen aufzubauen und ihr Material zu kontrollieren.

Das gängige Equipment besteht aus einem Helm, einem improvisierten Gewichtsgürtel, einer Kokosnussschale zum Schürfen und einer gebastelten Antipara-Taucherbrille aus Teakholz. Ein paar Exoten tragen behelfsmässig zusammengeflickte Flossen, um der Nachmittagsflut standzuhalten.

Sogar gegessen wird unter Wasser

Angefeuert von einem stöhnenden Kompressor, prüft Goldschürfer Saber den Druck seines Schlauchs. Jede seiner intuitiven Bewegungen eine Routine, die von neun Jahren Goldtauchen erzählt.

Auf seiner Stirn prangt ein Jesus-Tattoo, von dem er hofft, dass es ihn unter Wasser vor Unheil bewahrt. Saber sinnt das Vaterunser und ahmt das christliche Kreuz auf seiner Brust nach – er ist bereit für seine Schicht.

Während der 61-Jährige taucht, beisst er mit einer Mundseite auf das Ende des Schlauches und verschiebt den Unterkiefer mit asketischer Grazie, wann immer er ein paar Milliliter Sauerstoff einatmen will. Ist die lebensspendende Luft in seinen Lungenflügeln zirkuliert, blubbert er den unnötigen Stickstoff durch die andere Mundseite.

Versierte Goldtaucher wie Saber haben sich über die Jahre angewöhnt, unter Wasser zu essen, um länger am Stück arbeiten zu können. Auf der Speisekarte stehen Meeresfrüchte wie Seeigel, frische Venusmuscheln oder jegliches Kinilaw, was von Tagalog übersetzt «roh gegessen» bedeutet.

Ein offenes Geheimnis

Die illegale Goldgräberei ist ein ziemlich offenes Geheimnis in der Gegend und hat bereits Generationen überdauert. Stets auf der Suche nach einem Stückchen Glück haben viele Kumpel schon ein Drittel ihres Lebens auf dem Meeresgrund verbracht, leidend an aquatischem Goldfieber, das schlussendlich zur täglichen Routine verkam.

Solche Strapazen zehren auf, die meisten vermachen die zwecksmässige Tauchausrüstung im Alter von 40 Jahren an ihre Söhne. Pinut-ans Schürfer sind sich der weniger goldigen Zukunft durchaus bewusst, denn das hochgradige Erz neigt sich dem Ende.


Zum Autor: Claudio Sieber
Bild: zVg

Der Multimedia-Journalist Claudio Sieber aus St. Gallen reist seit mehreren Jahren durch Asien, wo er über die Traditionen fremder Völker, Popkultur und den sozialen Wandel im Orient und Ozeanien berichtet.