Auf «Satu, Dua, Tiga» («Eins, zwei, drei») wuchten die Crews ihre Boote über ausgelegte Holzstämme direkt in die Brandung. Routinemässig werden sie am späten Nachmittag mit einer Ladung Mantarochen, Marlin und fliegenden Fischen heimkehren.
Falls aber ein Pottwal gesichtet wird, eilen alle zurück ins Dorf und rollen ihre Paledang (Walfänger-Boote) ins Wasser. Die Motorboote ziehen diese dann so nah wie möglich zur potentiellen Beute, und die Hatz beginnt. Überraschenderweise fangen sie aufgrund der Motorisierung nicht mehr Wale als früher, es sei lediglich «etwas gemütlicher», erklärt der Dorfchef.
Nach Stunden der Ruderei ist die Crew an ihrem Ziel angekommen. Papa Petro nimmt Anlauf und hechtet mit seiner Bambus-Harpune in Richtung Wal. Trotz Verletzung kann der Wal entkommen.
Erfahrene Lamafa geniessen enorme Wertschätzung, da sie eine Verantwortung für die gesamte Gemeinschaft schultern. Die Tradition wird innerhalb der Clans weitergegeben. Routinemässig arbeitet sich ein junger Fischer vom Posten des Spähers oder Köder-Meisters über die Jahre in die ehrenhafte Position des Harpuniers.
Heute wird der Pottwal, den Papa Petro eine Woche zuvor verletzt hatte, tot auf dem Meer treibend aufgefunden. Lamafa Goris hat das tonnenschwere Geschenk der Ahnen zurückerobert und ins Dorf gebracht. Ein gutes Dutzend Männer wird benötigt, um die gewaltige Beute ans Ufer zu ziehen.
Wer wie viel von der Beute bekommt, entscheidet traditionell der Bootsbauer. Den grössten Anteil des Walspecks geht an den Lamafa, dann folgen der Harpunenbauer und der Rest des Clans. Die Witwen und Waisenkinder bekommen den Teil nahe der Schwanzflosse.
Die Zerlegung eines Wals nimmt mehrere Tage in Anspruch. Alle helfen mit, von der Grossmutter bis zu den Kleinkindern. Einige Pottwale enthalten mehr als 30 Gallonen Öl, was die Dorfbewohner für Feuer-Kickstarter, altmodisches Lampenöl oder auch Speiseöl verwenden.
Obwohl von den Knochen bis zu den Innereien alle Teile eines Pottwals verwendet werden, ist das Fleisch am wichtigsten – die Lamaleraner trocknen es an der Sonne, um es länger haltbar zu machen. So kann die ganze Gemeinschaft mehrere Wochen überleben.
Ein ungeschriebenes Gesetz besagt: Walfleisch darf nur gegen andere Lebensmittel getauscht werden, aber niemals gegen Geld. Auf dem lokalen Markt tauschen die Lamaleraner nebst sonnengetrocknetem Fisch auch hin und wieder ihr Walfleisch gegen Mais, Gemüse, Früchte und andere Produkte der Bergbewohner ein.
Jeden Morgen segnen die Walfänger ihre Boote mit heiligem Wasser. Es soll sie vor Unheil bewahren. Vor der Ankunft katholischer Missionare verehrten die Lamaleraner Lara Wulan, den Gott des Himmels, Tana Ekan, den Gott der Erde, und Ina Leva, die Mutter des Meeres. Die alten Götter wurden dann mit dem neuen Glauben vereint, Ina Leva zum Beispiel wurde zur Jungfrau Maria.
An diesem Abend wird die Leva-Saison (Walfangsaison) offiziell eröffnet. Neben Kreuz und Kerzen schmücken auch Walschädel und Skelette die kleine Kapelle der Walfänger. Der Bischof erinnert die Dorfbewohner daran, dass schlechte Taten die Ahnen verärgern, dazu huldigt er den verstorbenen und verunglückten Walfängern.
Seit mindestens sechs Jahrhunderten jagen die Lamaleraner nach den Giganten der Meere. Mit Genehmigung der indonesischen Regierung dürfen sie weiter auf Walfang gehen, solange er nur dem Eigenbedarf dient. In den Nordpolargebieten bestehen ähnliche Regelungen für die Inuit. Kommerziellen Walfang betreiben nur noch Japan, Norwegen und Island.
Sonntags laden die Waljäger ihre Energiebarometer auf. Trotzdem scheuen manche Lamafa die Ruhe und restaurieren stattdessen lieber ihre Boote. Ignasius Blikololong (Papa Ignasius) hängt gerade Fischhappen zum Trocknen auf, er kennt am meisten Wallieder in Lamalera. Für alle Gelegenheiten gibt es ein traditionelles Lied.
Selbst Lamalera wird je länger, je mehr von der einsickernden Geldökonomie geprägt, die erst vor zirka 20 Jahren mit dem Bau einer kleinen Strasse begann. Sie verbindet das 4000-Seelen-Dorf seither mit der Hafenstadt Lewoleba und den verheissungsvollen Möglichkeiten der Aussenwelt.
Auf Jagd mit den letzten Walfängern der Welt
Auf «Satu, Dua, Tiga» («Eins, zwei, drei») wuchten die Crews ihre Boote über ausgelegte Holzstämme direkt in die Brandung. Routinemässig werden sie am späten Nachmittag mit einer Ladung Mantarochen, Marlin und fliegenden Fischen heimkehren.
Falls aber ein Pottwal gesichtet wird, eilen alle zurück ins Dorf und rollen ihre Paledang (Walfänger-Boote) ins Wasser. Die Motorboote ziehen diese dann so nah wie möglich zur potentiellen Beute, und die Hatz beginnt. Überraschenderweise fangen sie aufgrund der Motorisierung nicht mehr Wale als früher, es sei lediglich «etwas gemütlicher», erklärt der Dorfchef.
Nach Stunden der Ruderei ist die Crew an ihrem Ziel angekommen. Papa Petro nimmt Anlauf und hechtet mit seiner Bambus-Harpune in Richtung Wal. Trotz Verletzung kann der Wal entkommen.
Erfahrene Lamafa geniessen enorme Wertschätzung, da sie eine Verantwortung für die gesamte Gemeinschaft schultern. Die Tradition wird innerhalb der Clans weitergegeben. Routinemässig arbeitet sich ein junger Fischer vom Posten des Spähers oder Köder-Meisters über die Jahre in die ehrenhafte Position des Harpuniers.
Heute wird der Pottwal, den Papa Petro eine Woche zuvor verletzt hatte, tot auf dem Meer treibend aufgefunden. Lamafa Goris hat das tonnenschwere Geschenk der Ahnen zurückerobert und ins Dorf gebracht. Ein gutes Dutzend Männer wird benötigt, um die gewaltige Beute ans Ufer zu ziehen.
Wer wie viel von der Beute bekommt, entscheidet traditionell der Bootsbauer. Den grössten Anteil des Walspecks geht an den Lamafa, dann folgen der Harpunenbauer und der Rest des Clans. Die Witwen und Waisenkinder bekommen den Teil nahe der Schwanzflosse.
Die Zerlegung eines Wals nimmt mehrere Tage in Anspruch. Alle helfen mit, von der Grossmutter bis zu den Kleinkindern. Einige Pottwale enthalten mehr als 30 Gallonen Öl, was die Dorfbewohner für Feuer-Kickstarter, altmodisches Lampenöl oder auch Speiseöl verwenden.
Obwohl von den Knochen bis zu den Innereien alle Teile eines Pottwals verwendet werden, ist das Fleisch am wichtigsten – die Lamaleraner trocknen es an der Sonne, um es länger haltbar zu machen. So kann die ganze Gemeinschaft mehrere Wochen überleben.
Ein ungeschriebenes Gesetz besagt: Walfleisch darf nur gegen andere Lebensmittel getauscht werden, aber niemals gegen Geld. Auf dem lokalen Markt tauschen die Lamaleraner nebst sonnengetrocknetem Fisch auch hin und wieder ihr Walfleisch gegen Mais, Gemüse, Früchte und andere Produkte der Bergbewohner ein.
Jeden Morgen segnen die Walfänger ihre Boote mit heiligem Wasser. Es soll sie vor Unheil bewahren. Vor der Ankunft katholischer Missionare verehrten die Lamaleraner Lara Wulan, den Gott des Himmels, Tana Ekan, den Gott der Erde, und Ina Leva, die Mutter des Meeres. Die alten Götter wurden dann mit dem neuen Glauben vereint, Ina Leva zum Beispiel wurde zur Jungfrau Maria.
An diesem Abend wird die Leva-Saison (Walfangsaison) offiziell eröffnet. Neben Kreuz und Kerzen schmücken auch Walschädel und Skelette die kleine Kapelle der Walfänger. Der Bischof erinnert die Dorfbewohner daran, dass schlechte Taten die Ahnen verärgern, dazu huldigt er den verstorbenen und verunglückten Walfängern.
Seit mindestens sechs Jahrhunderten jagen die Lamaleraner nach den Giganten der Meere. Mit Genehmigung der indonesischen Regierung dürfen sie weiter auf Walfang gehen, solange er nur dem Eigenbedarf dient. In den Nordpolargebieten bestehen ähnliche Regelungen für die Inuit. Kommerziellen Walfang betreiben nur noch Japan, Norwegen und Island.
Sonntags laden die Waljäger ihre Energiebarometer auf. Trotzdem scheuen manche Lamafa die Ruhe und restaurieren stattdessen lieber ihre Boote. Ignasius Blikololong (Papa Ignasius) hängt gerade Fischhappen zum Trocknen auf, er kennt am meisten Wallieder in Lamalera. Für alle Gelegenheiten gibt es ein traditionelles Lied.
Selbst Lamalera wird je länger, je mehr von der einsickernden Geldökonomie geprägt, die erst vor zirka 20 Jahren mit dem Bau einer kleinen Strasse begann. Sie verbindet das 4000-Seelen-Dorf seither mit der Hafenstadt Lewoleba und den verheissungsvollen Möglichkeiten der Aussenwelt.
Für einen kleinen Volksstamm in Indonesien sind Pottwale bis heute überlebenswichtig. Bewaffnet mit Bambus-Harpunen stechen sie in See, um den Geschenken ihrer Vorfahren nachzustellen.
In Lamalera fantasieren die Buben seit Generationen kaum von westlichen Traumberufen wie Rennfahrer oder Feuerwehrmann. Ihr Wunsch ist es, eines Tages ein angesehener Lamafa, ein Harpunist, zu werden.
Seit über sechs Jahrhunderten gehören Pottwale zu den Hauptnahrungsquellen des indonesischen Fischerdörfchens. Ihre Jagdtradition wird bis heute durch Erziehung und Vorbildfunktionen innerhalb des Clans und der Gemeinde an den Nachwuchs weitergegeben.
Aufgrund der bescheidenen Ausrüstung, mit der die Harpunisten und ihre Crews Jagd auf die Giganten machen, riskieren sie mit jeder Hatz ihr Leben. Dafür winkt den erfolgreichen Walfängern die Anerkennung des ganzen Dorfes.
Hier liegt Lamalera
Das idyllische Fischerdörfchen Lamalera befindet sich auf der indonesischen Vulkaninsel Lembata, östlich von Bali und Lombok. Eine kaum zugängliche und abgeschiedene Gegend.
Die Ahnenverehrung spielt in der Kultur der Lamaleraner eine zentrale Rolle. Sind die Vorfahren zufrieden, kommen die Wale – die Geschenke der Vorfahren und Ina Leva (die Mutter des Meeres). Sie sind für den kleinen Volksstamm bis heute überlebenswichtig.
«Im Durchschnitt müssen wir drei Pottwale pro Jahr erlegen, um alle unsere Familien zu ernähren», sagt der Dorfchef Yosef Bataona. «Unsere Leute hier mühen sich ab für einen Löffel Reis oder ein Stück Mais. Es gibt keinen fruchtbaren Boden und die gesamte Topografie ist steinig, was den Anbau von Getreide unmöglich macht. Deshalb haben wir keine andere Wahl, als das anzunehmen, was das Meer uns bietet.»
Das Internationale Übereinkommen zur Regelung des Walfangs erlaubt einigen indigenen Völkern, Wale zu jagen, da sie das Fleisch nicht verkaufen, sondern selber gebrauchen. Der kommerzielle Walfang wurde hingegen 1986 verboten.
Kulturerbe in Gefahr
Dank der Abgeschiedenheit ihrer Heimat hat der indigene Subsistenzwalfang den starken missionarischen Einfluss, die japanische Besetzung während des Zweiten Weltkriegs sowie ein gut etabliertes katholisches Bildungssystem überwunden.
Seit der Fertigstellung eines Verbindungssträsschens zur anderen Seite der Insel weht aber auch ein Hauch Moderne durchs Dorf. Trotz der vitalen Verbundenheit zu altbewährten Traditionen investieren viele Lamaleraner in die Weiterbildung ihrer Kinder – und die wandern zunehmend in die Städte aus. Mit dem Schwund potenzieller Nachfolger steht auch das Kulturerbe der Lamafa auf dem Spiel.
Zum Autor
zVg
Der Multimedia-Journalist Claudio Sieber aus St. Gallen reist seit mehreren Jahren durch Asien, wo er über die Traditionen fremder Völker, Popkultur und den sozialen Wandel im Orient und Ozeanien berichtet.