Ost-Neubritannien im Bismarck-Archipel Hier kannst du noch mit Muscheln bezahlen

Von Claudio Sieber, Ost-Neubritannien

19.6.2021

Beim Volk der Tolai auf der Insel Ost-Neubritannien im Westpazifik sind Nassariidae-Schneckengehäuse ein anerkanntes Zahlungsmittel für Gebrauchsgüter. Die Alternativwährung Tabu bildet bis heute das Rückgrat ihrer Gemeinschaft.

Von Claudio Sieber, Ost-Neubritannien

Was dem abendländischen Gemüt mittels Wettbewerbsdruck und Durst nach Fortschritt über Jahrhunderte hinweg eingebläut wurde, blieb den Tiefen des Bismarck-Archipels bis vor Kurzem vorbehalten.

2020, Dekaden nach dem Einsickern der Globalisierung, der Einführung des Geldsystems samt Bancomaten und Kreditfirmen, aufkeimenden Cash-&-Carry-Outlets und Telekom-Antennen sind die indigenen Tolai nach wie vor innig mit ihrer Komplementär-Währung verbunden.

Gerade in den Dörfern hat das landesübliche Zahlungsmittel Kina kaum eine Bedeutung, da sich die Landbevölkerung hauptsächlich von dem ernährt, was im Garten wächst.

Muscheln gegen Güter

Was aber, wenn ein Tolai die Ananas vom Nachbarn haben möchte, dieser jedoch nicht die dafür angebotene Kokosnuss akzeptieren will?

Zum Autor: Claudio Sieber
Bild: zVg

Der Multimedia-Journalist Claudio Sieber aus St. Gallen reist seit mehreren Jahren durch Asien, wo er über die Traditionen fremder Völker, Popkultur und den sozialen Wandel im Orient und Ozeanien berichtet.

Eingetauscht wird Tabu tagein, tagaus für Güter des täglichen Gebrauchs, beispielsweise für Obst, Gemüse, Reis, Fisch, Tabak, Betelnüsse, Datenpakete für Mobiltelefone, und vermehrt auch indirekt für Schulgebühren oder Krankenhausbehandlungen.

Dazu ist Tabu en masse vertreten bei wichtigen Zeremonien wie Hochzeiten und Trauerfeiern, wo sich vor allem der kulturelle Wert des Muschelgeldes offenbart.

Infolge von Bewegungseinschränkungen und einer Corona-geschüttelten Konjunktur blüht der Tauschhandel in Ost-Neubritannien erneut auf. Getrost berufen sich die Tolai auf ihren Modus Operandi: «Muscheln gegen Güter» – ein Prinzip, das schon seit über 4000 Jahren funktioniert.

Stabiler Anlagewert

Gehandelt wird Tabu vorwiegend bei den Märkten und Tauschbörsen in den grösseren Ansiedlungen Kokopo oder Rabaul. Zusätzlich zu den privat geführten Wechselstuben setzt sich neu auch Gouverneur Nakikus Konga mit einem Subunternehmen der Provinzregierung für offizielle Muschelbanken ein, diese sollen die Handhabung mit Tabu weiter erleichtern und den Qualitätsstandard gewährleisten.

Drei Filialen hat er schon aufgebaut, mindestens fünf sollen es werden. Nun können seine Landsleute ihr Muschelgeld-Vermögen, das wie Gold einen stabilen Anlagewert behält, kurzfristig gegen Kina wechseln und jederzeit wieder zurückkaufen, falls sie es dringend für ein Ritual benötigen.

Parallel zum Bevölkerungswachstum der Tolai steigt auch die Nachfrage nach neuem Muschelgeld. Obwohl in der Region aufgrund exzessiver Ernten nur noch wenige Schneckengehäuse auffindbar sind, ist bereits für Nachschub gesorgt, dank Importen von den Salomonen-Inseln.