15 Tage Einzelhaft auf engstem RaumOlympia-Reporter Patrick Rohr gefangen im Land der fehlenden Sonne
Von Patrick Rohr, Tokio
1.7.2021
Japan, das Land der aufgehenden Sonne. Dass es dort zurzeit eher düster ist, erlebt Journalist Patrick Rohr gerade mit aller Härte. Bevor er für das SRF über Olympia berichten darf, muss er 15 Tage in Quarantäne. Auf knapp sieben Quadratmetern, ohne Sonnenlicht.
Von Patrick Rohr, Tokio
01.07.2021, 11:08
01.07.2021, 11:32
Patrick Rohr, Tokio
Schon der Empfang in Tokio ist eher frostig: Kaum aus dem Flugzeug ausgestiegen, erwarten mich zwei Damen mit einem Schild, auf dem mein Name steht. Sie sind von Kopf bis Fuss auf Corona eingestellt, mit Arztkittel, Mundschutz und Gesichtsschild. Grusslos geheissen sie mir, ihnen zu folgen.
Damit ich ihnen nicht entkommen kann, läuft eine vor, die andere hinter mir. Gemeinsam begeben wir uns auf einen zweistündigen Parcours durch die endlosen Gänge am Flughafen Narita, während dem ich sicher fünfmal den Stapel Dokumente zeigen muss, die ich vor meiner Abreise auszufüllen und auszudrucken hatte – und auf Corona getestet werde, das dritte Mal in den letzten fünf Tagen.
Neben mir gibt es noch einen anderen Ausländer, der das gleiche Einreise-Prozedere durchläuft, die Japanerinnen und Japaner von unserem Flug sehe ich nicht mehr.
Absagen ist keine Option
Als mein – negatives – Resultat bekannt ist, werde ich in ein Auto verfrachtet. Mit dem ÖV, einem Taxi oder mit Uber darf ich nicht in die Stadt fahren, nur mit diesem behördlich abgesegneten Unternehmen. Den Preis von knapp 300 Franken musste ich vorgängig selber über Kreditkarte bezahlen.
Zur Person: Patrick Rohr
Patrick Rohr ist Journalist, Fotograf, Moderator und Kommunikationsberater. 2017 hat er eine SRF-DOK-Serie über Japan mitgestaltet und das Buch «Japan - Abseits von Kirschblüten und Kimono» veröffentlicht. Jetzt ist er zurück im Land der aufgehenden Sonne, um für SRF während den Olympischen Spielen täglich über das Leben in Tokio zu berichten.
Eine Stunde später bin ich im Hotel Toyoko-Inn Kanda im Vergnügungsviertel Akihabara, das die nächsten zwei Wochen zu so etwas wie meinem Gefängnis werden soll.
In etwas mehr als drei Wochen, am 23. Juli, werden in Tokio die Olympischen Sommerspiele eröffnet. Eigentlich hätten sie schon vergangenes Jahr stattfinden sollen, doch wegen der Pandemie wurden sie auf dieses Jahr verschoben – in der Hoffnung, 2021 den «Sieg der Menschheit über das Virus» zu feiern, wie Premierminister Yoshihide Suga kurz nach seinem Amtsantritt verkündete. Doch so weit sollte es nicht kommen.
Noch immer wütet das Coronavirus in vielen Ländern auf dieser Welt, und in einigen dominiert unterdessen die leicht übertragbare Delta-Variante. Und das ausgerechnet jetzt, wo über 80’000 Menschen aus der ganzen Welt – Athlet*innen, Betreuer*innen, Funktionär*innen, Medienleute – nach Tokio kommen sollen.
Die Spiele jetzt noch abzusagen, scheint keine Option mehr zu sein. Es geht um zu viel Geld. Japan sitzt in der Olympia-Falle. Und ich mit drin.
Im Gefängnis hätte ich wenigstens eine Stunde Hofgang
Statt Festfreude, wie sie Europa gerade mit der Fussball-EM erlebt, herrscht hier im Land Panik. 86 Prozent der Bevölkerung sind laut neusten Umfragen davon überzeugt, dass sich das Virus als Folge der Olympischen Spiele im Land wieder stärker ausbreiten wird. 80 Prozent der Menschen sind deshalb auch dagegen, dass man die Spiele dieses Jahr austrägt. Das setzt die Regierung unter grossen Druck.
Dass japanische Hotelzimmer sehr klein sein können, wusste ich.
Dass man uns ausländischen Gäste für unsere 15-tägige Zwangsquarantäne aber ausgerechnet in die allerkleinsten stecken würde, hätte ich nicht erwartet. 6,9 Quadratmeter gross sind sie. Zieht man Bett und Schreibtisch ab, bleibt eine Netto-Verkehrsfläche von knapp drei Quadratmetern – die einzige Fläche, auf der ich mich während 15 Tagen bewegen darf.
Denn es ist strengstens verboten, das Zimmer zu verlassen. Das Essen muss man sich über Uber Eats bestellen, die Lieferungen werden gecheckt, bevor sie von einem Hotelmitarbeiter vors Zimmer gestellt werden, denn Alkohol ist in der Quarantäne verboten.
Und sollte man auch nur mit einer Regel brechen, werde man «asked to go home», also nach Hause geschickt, wie mir mehrfach beschieden wurde. Zu Gast bei Fremden. Ich fühle mich wie im Knast, wobei ich dort wenigstens eine Stunde Hofgang pro Tag hätte.
Treten an Ort
Ich will mich arrangieren, probiere herauszufinden, wie ich mich auf dieser winzigen Fläche bewegen kann. Meine Yogamatte hat knapp Platz, Übungen, bei denen ich mich seitlich ausstrecken muss, gehen allerdings nicht. Ich fange an zu rennen, dreimal zwanzig Minuten täglich. Wobei es eigentlich mehr ein Treten an Ort ist, aber immerhin komme ich so auf meine 10'000 Schritte am Tag. Meine Unterschenkel schmerzen.
Sonnenlicht gibt es in meinem Zimmer keines, durch das verdrahtete Fenster, das sich einen Spaltbreit aufklappen lässt, sehe ich die nächste Hausmauer, die etwa 50 Zentimeter entfernt ist. Ins Zimmer kommt niemand, auch nicht zum Putzen. Wenn man es sauber haben möchte, kann man Putzmittel und einen Staubsauger bestellen, der einem vors Zimmer gestellt wird.
Um wenigstens einmal am Tag einen zwischenmenschlichen Kontakt zu haben, verlange ich regelmässig an der Rezeption nach einer der beiden Betreuerinnen, die für uns Insassen zuständig sind. Diese frage ich dann, ob ich das Zimmer wechseln dürfe, weil ich mir ohne Tageslicht langsam Sorgen um meine Gesundheit machen würde. Die Antwort ist immer die gleiche: «Nein.»
Dieselbe Antwort erhalte ich, wenn ich frage, ob ich als Covid-Genesener und -Geimpfter die Quarantäne nach dem inzwischen fünften negativen Test in einer Woche eventuell verkürzen dürfte. Nein, nein und noch einmal nein. Trotzdem frage ich weiter, vermutlich einfach, um das Gefühl zu haben, dass ich der Situation nicht völlig ausgeliefert bin.
Mein Flehen wird endlich erhört
Ich weiss, dass ich das nicht tun sollte, denn in Japan werden Regeln nicht hinterfragt, man akzeptiert sie – ob sie sinnvoll sind oder nicht. Regeln infrage zu stellen, könnte als Kritik ausgelegt werden, und das vermeidet man in der japanischen Kultur tunlichst. Ich habe gerade keine Lust, darauf Rücksicht zu nehmen.
Auf Social Media habe ich gesehen, dass einen Stock unter mir eine ARD-Kollegin täglich von der Quarantäne berichtet. Und einer Gruppe mexikanischer Blogger, die auch hier im Hotel sind, hat man offenbar versucht zu verbieten, weiter aus dem Hotel heraus Posts abzusetzen. Kurz bevor in Kürze mit viel Pomp und Farbe die Gesundheit und der Sport zelebriert werden, sollen keine Berichte über die harte, beinahe unmenschliche Seite Japans nach aussen gelangen.
Nun, vielleicht war es dann doch keine so gute Idee, Journalistinnen und Journalisten aus der ganzen Welt hier unter fragwürdigsten Bedingungen einzusperren.
Übrigens: Nach zehn Tagen wird mein Flehen endlich erhört – und ich darf in einen oberen Stock ziehen, in ein identisches Kämmerchen, aber immerhin eines mit Tageslicht.