Partystadt mit Kater Berlin tanzt heimlich weiter

Von Julian Heun, Berlin

8.5.2021

Kaum eine Branche leidet in Berlin so sehr unter der Coronapandemie wie die Clubs. Sie waren die ersten, die schliessen mussten und sind bis heute nach wie vor geschlossen.
Kaum eine Branche leidet in Berlin so sehr unter der Coronapandemie wie die Clubs. Sie waren die ersten, die schliessen mussten und sind bis heute nach wie vor geschlossen.
Bild: Getty Images/Maskot

Berlin, der zappelige Riese, schläft seit über einem Jahr. Die Clubtüren sind zu, die Subwoofer abgekabelt. Was macht die selbsternannte Techno-Hauptstadt ohne Techno-Partys? Slam-Poet Julian Heun über eine Stadt, die sich seit einem Jahr wie tot anfühlt.

Von Julian Heun, Berlin

Am Berliner Alexanderplatz kann man von einer Seite des Platzes zur anderen sehen — eine Aussicht, die niemand braucht. Umgekippte E-Scooter warten vergeblich darauf, dass ein Junggesellenabschied sie mietet, um gemeinsam Verkehrsregeln zu misachten.

Ein Pfandsammler schaut auf seine Ausbeute, die heute nicht viel mehr werden wird. Nur die Spree hat einen Spritzer mehr Blau in ihrem Blaugraubraun.

Durchhalten.

Ich bin auf dem Weg in den Techno Club Ritter Butzke, um meinen Freund Robert zu besuchen, der den Club mit betreibt. Im Ritter Butzke habe ich viele Poetry Slam Shows veranstaltet, ab und an selber aufgelegt und meine Lieblings-DJs gehört. Ich will wissen, wie es ihm geht und einfach mal wieder in diesen Club schauen, den ich wirklich sehr vermisse.

Mein Weg zum führt mich durch zwei Parks, die alle inzwischen auswendig kennen vom ständigen Spazierengehen. Für viele ist der Park der Clubersatz, aber auf unterschiedliche Weise.

Zum Autor: Julian Heun
Bild: zVg

Julian Heun ist Autor, Moderator und Poetry Slammer aus Berlin. Der mehrfache deutschsprachige Meister im Poetry Slam macht eine Radiosendung und eine Comedyreihe bei Radio Fritz (rbb) und schreibt gerade an seinem zweiten Roman. In seiner Freizeit legt er gerne als «Bunga & Bunga» melodischen Techno auf.

Es gibt die mit der Funktionskleidung, denen der Schweiss nie vom Gesicht gewichen ist. Sie sind vom Dancefloor direkt in die Kniebeuge gesprungen, aber mit Extragewichten am Körper. Sie trinken nicht mehr, weil sie nicht mehr ausgehen. Sie entdecken den Rausch des Wohlbefindens und ihre Smartwatch sagt ihnen, dass sie ganz weit vorne sind. Sie überholen die anderen, die mit dem Sekt im Becher und den Eiswürfeln aus der Thermoskanne.

Die anderen trinken genauso viel wie vorher oder sogar mehr, in Parks, in Decken auf Balkonen, auf der Couch. Wie viele Sektflaschen misst ein Lockdown? Vor den Glasmüllcontainern stehen die Massen bunter Flaschen und klimpern, wenn ein Stadtfuchs sie beim Vorbeigehen streift.

Umsatteln.

Am Kotti tritt jemand eine leere Bierflasche nach mir. Aber das hat nichts mit irgendwas zu tun, das ist immer so. Als ich den Kreuzberger Innenhof betrete, steht eine kleine Schlange vor den roten Klinkermauern.

Fast wie früher. Nur führt die Schlange in den Teil des Clubs, in dem nun ein Corona-Schnelltest-Zentrum betrieben wird. Drei weitere betreibt das Ritter Butzke zurzeit und zusätzlich eine mobile Teststelle für Firmen.

Bild aus alten Tagen: Damals, als noch Party gefeiert wurde im Ritter Butzke.
Bild aus alten Tagen: Damals, als noch Party gefeiert wurde im Ritter Butzke.
Bild: Itsnotanothershot.

Wir begrüssen uns mit der Faust – noch immer ungewohnt. «Ein Testzentrum ist gar nicht so anders als ein Club», sagt er und das leuchtet mir ein. Na, klar. Man muss Einsatzpläne machen, es gibt eine «Gästeliste», kontrollierten Einlass und man braucht natürlich immer genug Nachschub – seien es Test-Kits oder Bier. Gute Idee, aber den Rave ersetzt nichts.

Trotzdem wirkt Robert glücklich, als er den Club aufschliesst. Man muss ihn sich vorstellen wie einen Partybär mit zwei Metern geballter Feierfreude, dem der Spass hinter den Rehaugen lodert. Er macht alles mit vollem Einsatz und hat immer ein Lachen auf den Lippen, das ganz manchmal eine Spur Wahnsinn in sich hat.

Umbauen und vorbereiten.

«Weisst du noch, wie der Raum früher aussah?», Robert zeigt mir die Umbauten im Club im sirrenden Putzlicht. An allen Floors und den Räumen dahinter wurde gebastelt. Da ist eine neue, wuchtige Anlage und strukturelle Umbauten, die man sich sonst sehr genau überlegen müsste. Aber jetzt war die Zeit da.

Wir gehen die knarrenden Holztreppe hoch in den neuen, verwaisten Backstage, das Hinterzimmer des Wahnsinns, den Raum hinter der Party, die nicht da ist, und öffnen mit dem Feuerzeug eine Mate. «Die ist abgelaufen, aber sollte noch gut sein», sagt Robert.

Corona-Testzentrum statt Filmpalast: Kino Neue Kammerspiele in Kleinmachnow, unweit vom Berliner Wannsee.
Corona-Testzentrum statt Filmpalast: Kino Neue Kammerspiele in Kleinmachnow, unweit vom Berliner Wannsee.
Bild: Keystone

Es ist komisch für mich, hier zu sitzen. Ganz leicht riecht man nur noch alten Rauch und ich werde wirklich wehmütig. So gern würde ich auf dem Saunafloor wieder Texte lesen vor einem gedrängelten, albern aufgedrehten Publikum, in der Mitte des Dancefloors einen soundsovielten Sekt auf Eis trinken, das nicht aus einer Thermoskanne kommt, und tun, was man in einem Club eben so tut. Ihr wisst.

Stattdessen noch eine abgelaufene Mate. Wir stellen fest, dass es uns Text- und Bühnenkünstlern ähnlich geht wie den DJs: Die ökonomischen Gefälle haben sich verfestigt. Wem es vorher gut ging, geht es jetzt auch gut. Wer in einer Übergangsphase war, hat es sehr schwer.

Die DJs, die kurz vor dem Durchbruch waren, die vielleicht die ersten Bookings auf den grösseren Bühnen der Festivals an den Seen im Brandenburger Umland in der Tasche hatten, die natürlich nichts gespart hatten und alles auf die eine, verheissungsvolle Karte gesetzt hatten, stehen jetzt vor dem Nichts.

Für Berlin ist die Pandemie ein mächtiger Einschnitt. Die starke Ausrichtung auf Party und Tourismus rächt sich jetzt. Doch totzukriegen ist der kreative Geist der deutschen Metropole wohl nicht.
Für Berlin ist die Pandemie ein mächtiger Einschnitt. Die starke Ausrichtung auf Party und Tourismus rächt sich jetzt. Doch totzukriegen ist der kreative Geist der deutschen Metropole wohl nicht.
Bild: Keystone

Viele haben sich inzwischen einen «richtigen Beruf» gesucht. Einer arbeitet wieder als Schreiner, eine hilft im Betrieb der Familie aus und einer packt Pakete und ganz viele jobben in den Testzentren. Statt vor feiernden Massen den Bass reinzudrehen, drehen sie jetzt Stäbchen durch Nasen und Applaus gibt es dafür keinen.

Das Ritter Butzke läuft schon über ein Jahr nicht mehr als Club, aber ruhig ist es hinter den Klinkermauern der ehemaligen Badarmaturen-Fabrik nie geworden.

Im Sommer mit den niedrigen Fallzahlen gab es den Kulturgarten im grossen Innenhof: Elektronische Musik mit Konzertcharakter, Poetry Slams und queere Bühnenshows. Viel Personalaufwand, eine über Nacht konstruierte App und das Gefühl zumindest irgendwie stattzufinden. Aber mit den Lockdowns und Notbremsen verschwanden auch die gut durchdachten Gastrokonzepte der Clubs.



Wie viele Clubs blieb dem Ritter Butzke nur noch der Livestream, den sie in allen Varianten und Locations ausspielen, ob in der Oper, im Naturkundemusem vor angestrahlten Dinosaurierskeltten oder in der Staatsoper oder vor dem irritierten Hai im Aquarium. Die Livestreams sind Lebenssignale, Leuchtfeuer, und natürlich eine gute Publikumsbindung, aber das Live-Erlebnis können sie eben nicht im Ansatz ersetzen, auf das niemand verzichten mag.

Gegenballern.

Einige Leute in Berlin können so wenig auf Party verzichten, dass sie sich über Regeln hinwegsetzen, von nachvollziehbaren Ausmassen bis komplett unverantwortlich. Man kriegt die Party aus den Clubs, aber die Party nicht aus Berlin.

Es gibt sie, die brechend vollen WGs mit professioneller Lichttechnik, die Airbnbs mit Nebelmaschinen und ausgebildeten Lichttechnikern, die geheimen Sexparties mit Gästeliste. Das gibt es und es gibt auch keinen Weg, das zu verhindern. Es wird sich immer nur verlagern. Grossfamilien, Kartelle und Hobbyticker betreiben gerade in der Pandemie florierende Drogenlieferdienste über den Messengerdienst Telegram. Manche ballern noch durch bis Montag Mittag und das sogar noch härter als sonst.

Während in Berlin die Clubs seit über einem Jahr wegen Corona geschlossen sind, finden in der Stadt immer wieder illegale Partys im Freien statt.
Während in Berlin die Clubs seit über einem Jahr wegen Corona geschlossen sind, finden in der Stadt immer wieder illegale Partys im Freien statt.
Bild: Keystone

Robert und ich gehen uns ein Bier holen an der Tankstelle. Im Ritter Butzke gibt es keins mehr. Das haben sie verschenkt, bevor es abgelaufen wäre. Wir gehen noch ein Stück und Robert wird skeptisch: «Manchmal denke ich schon: Was passiert, wenn das nicht endet? Was ist, wenn wir hier einen Gaul reiten, der schon längst tot ist?» Ich könnte da etwas gegen sagen, aber ich kenne den Gedanken nach 13 Monaten Pandemie zu gut.

Und dann bin ich kurz irritiert. Moment. Was ist das da hinten? Rotierende Lichter in Rottönen in einem Fenster in einem Sozialbau. Der Vorhang zugezogen. Eine illegale Party?

Ich bleibe kurz stehen. Ne. Es ist nur eine überdrehte Weihnachtsbeleuchtung, die irgendwer vergessen hat abzuhängen, der die Zeit vergessen hat.