Tourismus wohin? «Die Schweizer Alpen bröckeln nicht nur, sie tanzen auch»

Von Marlène von Arx

9.2.2024

Filmemacherin Dominique Margot fragt in ihrem Dokumentarfilm «Bergfahrt – Reise zu den Riesen» Menschen, die die Berge lieben, was ihnen die Alpen erzählen und wohin sie sich bewegen. Ein Interview.

Von Marlène von Arx

9.2.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Alpen zwischen Forschung, Kultur und Esoterik: Dominique Margot hört sich in ihrem Dokumentarfilm «Bergfahrt – Reise zu den Riesen» bei Bergliebhaber*innen um.
  • Die Filmemacherin aus Zürich porträtiert Forscher*innen, Künstler*innen und Bergsteiger*innen, die sich auf neue Weisen mit dem Gebirge auseinandersetzen und die Alpen als Ressource für neue Projekte nutzen.
  • «Ich würde es schön finden, wenn der Film die Leute dazu einlädt, unsere Umwelt, die Berge und die Natur wahrzunehmen und zu verstehen, dass wir nicht separat, sondern ein Teil davon sind», sagt Margot im Gespräch mit blue News.

Dominique Margot, was ist Ihre erste Erinnerung an die Berge?

Meine Grosseltern mütterlicherseits waren Bergbauern im Berner Oberland. Da war ich als Kind oft zu Besuch. Ich bin gerne mit auf die Alp. Ich spürte die Weite und empfand die Berge als beschützend.

Gab es auch gefährliche, abenteuerliche Begegnungen mit dem Berg?

Ein Onkel verunfallte beim Klettern tödlich. Trotzdem überwog bei mir das Gefühl der Geborgenheit. Ich nahm die Berge spielerisch wahr. Felsen waren Gestalten, die ich mit meinen Cousinen benannte. Wir kreierten ganze Welten.

Woher kam die Idee, nun einen Film über die Berge zu drehen?

Man redet viel vom Bröckeln und dem Wegschmelzen in den Bergen. Es finden viele Veränderungen statt. Das hat mich motiviert, näher hinzuschauen. Was machen verschiedene Leute wie Forscher*innen, Künstler*innen und Tourismus-Investoren mit den Bergen?

Inmitten von Europa liegen die Alpen als Modell, das gleichzeitig eine freie Projektionsfläche, aber auch sehr kontrolliert ist: Man weiss genau, wo was ist, welcher Berg wie heisst und wo welcher Dialekt gesprochen wird. Man kann in der Schweiz jederzeit die Rega anrufen, wenn man ein Problem hat. Das ist ein ganz anderes Gefühl, als wenn man in den Anden ist.

Verschiedene Menschen erzählen im Film von ihrer Beziehung zu den Bergen. Wie haben Sie Ihre Protagonisten ausgesucht?

Ich wollte Leute aus den erwähnten Bereichen Forschung, Kultur und Esoterik zu Wort kommen lassen – jünger und älter, Männer und Frauen, und aus der ganzen Alpenregion, nicht nur aus der Schweiz. Und Berge sollten vertreten sein, um die es einen Mythos gibt, wie die Eiger Nordwand, das Matterhorn oder die Mont-Blanc-Region. Dann bin ich via Freunde, Zeitschriften und Internet auf die Suche nach ihnen.

Sie haben bewusst Bergbauern ausgeschlossen. Weshalb?

Sie werden relativ oft thematisiert. Dazu gibt es auch sehr schöne Filme. Ich wollte eher herausfinden, wo die Schnittstellen zwischen Forschung, Esoterik und Kunst sind.

Wo haben Sie diese Schnittstellen gefunden?

Die grösste Schnittstelle ist, dass der Berg nicht nur bröckelt und erodiert, sondern auch schwingt. Das sagt sowohl der Forscher auf dem Matterhorn wie auch der Audio-Künstler am Vorderen Glärnisch. Die einen sprechen sogar von einem Tanz, einem Pas de deux. Auch der pensionierte Parkwächter im Aostatal und der im Tessin wohnhafte Geomant kommen zum gleichen Schluss, dass der Berg lebt und Energien hat. Das hat mich sehr gefreut, dass sich das so zusammenfügte.

Die Beliebtheit des Wanderns und die Flucht in die Berge allgemein hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer mehr zugenommen. Hat das etwas mit den rasanten Veränderungen zu tun, denen wir im Alltag ausgesetzt sind? Man flüchtete quasi in die vermeintliche Unverrückbarkeit der Berge?

Ich denke schon, dass eine neue Berg-Romantik entstanden ist. Während der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts fing man an, die Berge zu romantisieren. Man flüchtete aus der übel riechenden Stadt in die schönen Berge. Das passiert jetzt wieder.

In den Achtzigerjahren wünschte man sich in Zürich die Alpen mit dem Slogan «Freie Sicht aufs Mittelmeer» noch weg. Jetzt würde man sie nie mehr hergeben wollen. Sie sind Teil unseres Kulturguts und ein Naturgeschenk.

Der Film beginnt mit der Bergfahrt der japanischen Tänzerin und Choreografin Chiharu Mamiya, mit der Sie bereits in früheren Filmen zusammengearbeitet haben. Was verbindet Sie beide?

Mit ihr verbindet mich eine lange Zusammenarbeit auch bei Kunstinstallationen. Sie hat in Japan und Cannes klassisches Ballett studiert und entwickelte sich nach einer Verletzung Richtung zeitgenössischem Tanz. Sie hat auch eine komische Seite, die ich ganz toll finde. Im Film repräsentiert sie nicht nur die Bewegung, also das Rauf und Runter am Berg, sondern als Japanerin auch die asiatischen Touristenströme durch die Alpen, ohne dass ich diese zusätzlich thematisieren muss.

Thematisiert wird unter anderem auch die Ausbreitung gewisser alpiner Pflanzen, die unerwartete Probleme nach sich ziehen …

Ja, es ist sehr spannend: Gewisse Pflanzen bewegen sich wegen der Klimaerwärmung höher hinauf, aber auch hinter Felsen in den Schatten, und verdrängen andere Pflanzen, da sie resistenter sind.

Es gibt beispielsweise eine Verbuschung der Grünerlen, was man als Problem unterschätzt, denn sie scheiden Stickstoff aus, was zu schädlichen Treibhausgasen führt. Zudem verliert man durch die Verbuschung Weideland.

Auf der Furka gibt es verschiedene Forschungsprojekte, die anschauen, was den Pflanzen den Impuls zum Wachsen gibt. Überraschenderweise ist es nicht unbedingt sie Sonne, denn Pflanzen wachsen nun schon im Januar unter einem Meter Schnee.

Was möchten Sie mit Ihrem Film bewirken?

Wir zerstören viele unserer Lebensgrundlagen. Daher würde ich es schön finden, wenn der Film die Leute dazu einlädt, unsere Umwelt, die Berge und die Natur wahrzunehmen und zu verstehen, dass wir nicht separat, sondern ein Teil davon sind.


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