Interview «Eine Frauenseilschaft provoziert bis heute lästige Reaktionen»

Bruno Bötschi

17.4.2019

Im Beruf des Bergführers sind sie bis heute rar geblieben: die Frauen. Gegen 1300 Bergführer arbeiten in der Schweiz, nur gut drei Dutzend davon sind Frauen.
Im Beruf des Bergführers sind sie bis heute rar geblieben: die Frauen. Gegen 1300 Bergführer arbeiten in der Schweiz, nur gut drei Dutzend davon sind Frauen.
Bild: Caroline Fink

Immer mehr Frauen sind in den Schweizer Alpen unterwegs. Doch Bergführerinnen gibt es fast keine. Warum? Der Film «Frauen am Berg» von Filmemacherin und «Bluewin»-Kolumnistin Caroline Fink sucht nach Antworten. Ein Interview.

Im Beruf des Bergführers sind sie bis heute rar geblieben: die Frauen. Gegen 1'300 Bergführer arbeiten in der Schweiz, nur gut drei Dutzend davon sind Frauen. Bis in die 1980er Jahre von Bergführerverband und Schweizer Alpen-Club SAC ausgeschlossen, sind Frauen im traditionsreichen Beruf bis heute Pionierinnen.

Caroline FinkFilmemacherin und «Bluewin»-Kolumnistin, begleitete für ihre Dokumentation «Frauen am Berg» drei Frauen in Fels und Eis. Entstanden ist ein Film, welcher die Geschichte von drei Frauen erzählt, die von der Bergführerei leben – oder davon träumen.

Das Werk widmet sich zudem der Geschichte ihrer Vorgängerinnen, die auszogen, in Reifröcken Gipfel zu erobern. Und jenen, die mit Bergabenteuern ihre Familien schockierten und – ausgeschlossen vom SAC – ihren eigenen Club gründeten.

Frau Fink, woher kommt Ihre Liebe zu den Bergen?

Von weit weg: aus Nepal. Während einer Reise dorthin mit Anfang 20 liessen mich diese mächtigen Berge nicht mehr los. Ein Jahr später unternahm ich die erste Hochtour im Wallis.

Filmerin und Bergsteigerin Caroline Fink: «Bergsteigen braucht manchmal eine gewisse Portion Unverfrorenheit und Selbstbewusstsein. Zwar gilt, wer am Berg ein Draufgänger ist, lebt gefährlich. Aber wer immer nur zaudert und sich nichts zutraut, kommt auch nicht weiter. Oft sehe ich, dass Männer sich tendenziell überschätzen, während Frauen sich unterschätzen.»
Filmerin und Bergsteigerin Caroline Fink: «Bergsteigen braucht manchmal eine gewisse Portion Unverfrorenheit und Selbstbewusstsein. Zwar gilt, wer am Berg ein Draufgänger ist, lebt gefährlich. Aber wer immer nur zaudert und sich nichts zutraut, kommt auch nicht weiter. Oft sehe ich, dass Männer sich tendenziell überschätzen, während Frauen sich unterschätzen.»
Bild: zVg

Die Annahme, dass es im Alpinismus nur die notorisch «tollkühnen Männer» waren, die Geschichte schrieben, scheint immer noch das herrschende Klischee zu sein. Wann realisierten Sie, dass den Frauen am Berg Steine im Weg liegen?

Erst recht spät. Was erstaunlich ist, da ich mich in meinem Soziologiestudium mit Genderfragen beschäftigte und regelmässig Bergsteigen ging. Klar, ich ärgerte mich, dass es kaum Damenschnitte gab bei Gore-Tex-Hosen und Funktionsjacken, was heute ja anders ist. Und es war offensichtlich, dass ich oft die einzige Frau der Seilschaft war. Aber das, was letztendlich die Chancengleichzeit verhindert, ist ja auch subtil. So dauerte es Jahre, bis ich merkte, dass andere Bergsteiger meinen weniger erfahrenen Kollegen nach den Verhältnissen fragten anstatt mich. Als ich dann immer öfter mit anderen Frauen auf Hochtour ging, wurde es offensichtlich: Eine Frauenseilschaft provoziert bis heute Reaktionen – lustige und lästige gleichermassen.

Zum Beispiel?

Man scherzt und schäkert mit uns, lädt uns zum Bier ein. «Bonjour les dames! Schön, euch Frauen am Berg zu sehen!» Solche Dinge hören wir oft. Umgekehrt hören wir belehrende Ratschläge oder erhalten vor Ort keine sinnvollen Infos zu Routen, weil man uns von Vornherein unterschätzt.

Bis in die 1980er Jahre waren Frauen von der Bergführerausbildung und vom Schweizer Alpen-Club SAC ausgeschlossen. Erst 1986 erhielt die erste Schweizerin ihr Diplom als Bergführerin.
Bis in die 1980er Jahre waren Frauen von der Bergführerausbildung und vom Schweizer Alpen-Club SAC ausgeschlossen. Erst 1986 erhielt die erste Schweizerin ihr Diplom als Bergführerin.
Bild: Caroline Fink

Mehr als ein Drittel aller SAC-Mitglieder sind heute Frauen. Trotzdem gibt es nach wie vor solche Vorurteile gegenüber Frauen, die bergsteigen. Warum?

Vorurteile klingt etwas zu hart. Was es gibt, sind bestimmte Bilder in den Köpfen: Etwa, dass es aussergewöhnlich ist, wenn die Frau die schwierigen Passagen vorsteigt und nicht der Mann. Oder dass bei einem männlichen Gast und einer Bergführerin die meisten davon ausgehen, dass er der Führer ist. – Wobei, doch, ein seltsames Vorurteil gibt es: Ich habe schon öfter gehört, dass viele starke Alpinistinnen doch lesbisch seien. Das finde ich einfach nur schräg. Ich würde mal behaupten, der Anteil an lesbischen und schwulen Menschen ist beim Bergsteigen nicht anders als in der übrigen Bevölkerung.

In der Schweiz gibt es heute gut drei Dutzend Bergführerinnen, das sind in Bezug auf die Gesamtzahl der Schweizer Bergführer weniger als drei Prozent. In den Nachbarländern Österreich, Deutschland und Italien ist das Verhältnis ähnlich. Dass es so wenige sind, ist erstaunlich, denn die Expansion des Klettersports sollte eine höhere Frauenquote erwarten lassen.

Es stimmt, dass Frauen im Klettersport aufgeholt haben. Beim Bergführen geht es aber vorrangig um klassischen Alpinismus, also das Erklimmen hoher Gipfel mit Steigeisen, Pickel und Seil, oder etwa das Eisklettern. In diesen Spielarten des Bergsports sind Frauen bis heute rarer. Es ist wie anderswo: Je technischer es wird, desto weniger Frauen sind anzutreffen.

Könnte es vielleicht daran liegen, dass die Männer generell mehr Muskelkraft haben als Frauen und deshalb erfolgreicher am Berg sind?

Klar braucht man zum Bergsteigen etwas Kraft. Aber was es vor allem braucht, sind Ausdauer und Köpfchen. Es heisst oft: Der wichtigste Muskel beim Bergsteigen ist das Hirn. Bergsteigen ist ein Strategiespiel für Erwachsene. Der Berg stellt dir eine komplexe Aufgabe, und du hast gewisse Mittel, diese zu lösen. Schaffst du es oder nicht? Dahingehend haben Frauen und Männer dieselben Voraussetzungen. Übrigens auch in Sachen Ausdauer. Wir bewegen uns beim Bergsteigen ja selten am absoluten Leistungslimit. Und wissen Sie, was ich umgekehrt deplatziert finde?

Nein, aber Sie sagen es mir bestimmt gleich.

Seit Kurzem trainiere ich in einem sogenannten CrossFit-Studio. Das sind geleitete Gruppentrainings für Kraft und Ausdauer. Dort sollten wir Frauen immer ein Drittel weniger leisten als die Männer. Das ist für eine Alpinistin recht komisch. Bei Klimmzügen okay, aber warum sollte ich bei der Ausdauer ein Drittel weniger trainieren als Männer? Mir scheint dies ein völlig falsches Signal an die Adresse der Frauen zu senden – im Stil von: Hey, ihr seid im Fall schwächer als die Männer. So ein Käse!

Auf dem Weg nach ganz oben liegen den Frauen noch manche Steine im Weg. Männernetzwerke und überholte Rollenbilder bescheren jungen Frauen im Bergsport immer noch eine gläserne Decke.
Auf dem Weg nach ganz oben liegen den Frauen noch manche Steine im Weg. Männernetzwerke und überholte Rollenbilder bescheren jungen Frauen im Bergsport immer noch eine gläserne Decke.
Bild: Caroline Fink

Woran liegt es dann, dass es weniger Frauen gibt in der Bergsteigerei?

Das überlege ich mir seit Jahren. Wenn ich sehe, wie glücklich meine Freundinnen und mich das Bergsteigen macht, so scheint es mir Unsinn zu sein, dass Frauen das «einfach nicht wollen». Die plausibelste Antwort für mich ist vielmehr: Bergsteigen braucht manchmal eine gewisse Portion Unverfrorenheit und Mut. Zwar gilt, wer am Berg ein Draufgänger ist, lebt gefährlich. Aber wer immer nur zaudert, kommt auch nicht weiter. Oft sehe ich, dass Männer sich tendenziell überschätzen, während Frauen sich unterschätzen. Was beim Bergsteigen schlichtweg dazu führt, dass Frauen sich oft gar nicht erst an eine anspruchsvolle Route wagen, obwohl sie es drauf hätten. Kommt hinzu, dass Mädchen in unserer Gesellschaft schon früh vorgeführt bekommen, sei es in den Medien oder von anderen Vorbildern, wie Frauen sind: Süss, herzig, betörend vielleicht. Das sind grässliche Schubladen.

Für Ihren Film «Frauen am Berg» begleiteten Sie drei Bergführerinnen. Wie ist es als Frau in der Bergführerszene?

Das müssen Sie meine drei Protagonistinnen fragen. Ich bin selber zwar Bergsteigerin, nicht aber Bergführerin. Doch so wie ich es während den letzten zwei Jahren beim Filmen erlebt habe, sind die wenigen Schweizer Bergführerinnen sehr gut integriert in der Szene. Und vor allem sind sie immer ausgebucht. Die Nachfrage nach Führerinnen ist enorm. In der Ausbildung ist es etwas anders: Zwar sind sie genauso willkommen, sprich, es werden ihnen willentlich keine Steine in den Weg gelegt. Doch aufgrund der Tatsache, dass es meist nur eine oder zwei Frauen auf 20 bis 30 Männer hat und es in der Schweiz noch nie eine Instruktorin oder Prüfungsexpertin gab, sind sie stärker exponiert. Sprich, wenn sie einen Fehler machen, wird er mit Sicherheit quittiert. Und wer sich aus einer eher defensiven Position heraus beweisen muss, macht auch eher Fehler.

Immer wieder ist zu hören, dass Gäste, die eine Bergtour buchen, noch im Klischee eines «starken, charmanten Bergführers» verfangen seien und überrascht reagierten, wenn dann eine Frau vor Ihnen stehe.

Davon erzählen viele Bergführerinnen. Sobald Gäste die Kompetenz der Frau erleben, verfliegt die Skepsis aber meist rasch. Was ich aber auch schon hörte: Auch weibliche Gäste sind enttäuscht, wenn nicht der schicke Bergführer bereitsteht. Weil sie dann nicht flirten können. Das finde ich amüsant.

Sind es vielleicht die Bilder in den Köpfen, mit denen Frauen sich selbst auch daran hindern, Bergführerinnen zu werden?

Auf jeden Fall. Was einerseits damit zu tun hat, dass sich – ich sage es nochmal –, viele Frauen zu wenig zutrauen. Anderseits gibt es auf den ersten Blick auch nicht allzu viele Vorbilder, an denen sich junge Alpinistinnen orientieren können. Die Alpingeschichte wurde über lange Zeit von Männern über Männer für Männer geschrieben. Das ändert sich zum Glück allmählich, aber es ist ein zäher Prozess.

Eine Forderung Ihres Filmes ist, alte Rollenbilder über Bord zu werfen, damit Frauen und Männer authentischer leben können.

Ja, unbedingt. Festgefahrene Rollenbilder werden über Generationen weitergegeben und führen zu Schubladen, in die wir uns selbst stecken oder von anderen gesteckt werden. Diese Schubladen beschränken uns. Wenn sich ein Junge für Traktoren interessiert, gut. Wenn er sich gleichzeitig schminken will, auch gut. Wenn eine Frau ins Militär will, warum sollte sie nicht? Und wenn ein Mann ins Yoga geht und eine Harley fährt, super. Wenn wir das leben, was uns guttut und glücklich macht, dann leben wir befreiter, authentischer und werden auch für unser Umfeld zu positiven Bezugspersonen. Davon bin ich überzeugt.

«Frauen am Berg» ist weit mehr als ein Film über Bergsport. Der Film erzählt ein Stück Frauengeschichte der Schweiz und wirft Fragen zu gesamtgesellschaftlichen Realitäten auf.
«Frauen am Berg» ist weit mehr als ein Film über Bergsport. Der Film erzählt ein Stück Frauengeschichte der Schweiz und wirft Fragen zu gesamtgesellschaftlichen Realitäten auf.
Bild: Caroline Fink

Verstehe ich Sie richtig: In Ihrem Film geht es um mehr als ums Bergsteigen.

Es freut mich, wenn Sie das sehen. Denn ja, das Bergsteigen war immer schon ein Spiegel für gesamtgesellschaftliche Prozesse. Und in diesem Fall ein besonders guter: Frauen sind mit am Start der Tour, doch je höher hinauf es geht, desto weniger von ihnen sind dabei. Und wenn es darum geht, dass sie an der Spitze führen, dann wird die Luft ganz dünn. Das ist die bekannte gläserne Decke, die wir auch etwa in der Wirtschaft sehen.

Zurück zum Bergsport: In welchen Bereichen sollten konkret Verbesserungen für Frauen angegangen werden?

Wir könnten nun stundenlang über soziologische Massnahmen sprechen. Aber bleiben wir konkret: Es braucht mehr Leiterinnen und weibliche Vorbilder im Kinderbergsteigen des SAC sowie in den SAC-Jugendorganisationen. Und in der Bergführerausbildung braucht es Instruktorinnen und Prüfungsexpertinnen. So einfach ist es, möchte man fast sagen.

Was würden Sie persönlich jungen Frauen heute mit auf den Weg geben?

Ich stellte diese Frage vor Jahren der britischen Bergpionierin Monica Jackson, als diese 95 Jahre alt war. Sie sagte ohne zu zögern: «Just go for it!»

«DOK: Frauen am Berg» läuft am Donnerstag, 18. April, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom Replay TV können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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