Gipfelstürmerinnen Wie 82 Frauen die Welt verändern

Von Caroline Fink

16.7.2022

Kürzlich stellte die längste Frauenseilschaft der Welt im Wallis einen Weltrekord auf. Kolumnistin und Fotografin Caroline Fink erwartete stolze Posen und wehende Flaggen auf dem Gipfel. Stattdessen erlebte sie tiefe Emotionen.

Von Caroline Fink

Mitte Juni stellten 82 Frauen aus 25 Ländern einen Weltrekord auf: Als längste Frauenseilschaft der Welt stiegen sie auf das 4164 Meter hohe Breithorn bei Zermatt.

Eine Aktion, die auch kritisiert wurde. Ökologisch sinnlos sei es, Frauen aus 25 Ländern anreisen zu lassen. Von kommerziellen Interessen seitens Schweiz Tourismus sei der Anlass getrieben. Überhaupt überflüssig sei es, auf Frauen im Bergsport aufmerksam zu machen. So und ähnlich lauteten die Voten.

Ob du, werte/r Leser*in, zu den Unkenrufern oder Wohlgesonnenen gehören: Lies weiter. Denn ich möchte dir etwas erzählen, das mich überrascht hat.

Um nicht zu sagen: überrumpelt.

Vorneweg: Ich war eine von drei offiziellen Fotografinnen, die den Anlass in Bild und Film dokumentierten. Ein komplexer Job, den wir mit den Verantwortlichen von Schweiz Tourismus minutiös geplant hatten.

Inspiration und Willenskraft

Über den ganzen Berg waren wir mit Kameras positioniert. In meinem Fall im hinteren Teil der längsten Seilschaft der Welt.

Zur Autorin: Caroline Fink
Bild: Gaudenz Danuser

Caroline Fink ist Fotografin, Autorin und Filmemacherin. Selbst Bergsteigerin mit einem Flair für Reisen abseits üblicher Pfade, greift sie in ihren Arbeiten Themen auf, die ihr während Streifzügen in den Alpen, den Bergen der Welt und auf Reisen begegnen. Denn von einem ist sie überzeugt: Nur was einen selbst bewegt, hat die Kraft, andere zu inspirieren.

Dort schoss ich Bilder, filmte, überholte Teil-Seilschaften, blieb wieder stehen, schoss weitere Bilder, stapfte gipfelwärts, suchte neue Blickwinkel, kniete im Schnee, filmte weiter. Vor, neben, hinter mir Frauen und Bergführerinnen in roten Jacken, zwischen ihnen Seile. Über mir die Drohne von Flo Gross. Weiter oben in Gipfelnähe Nicole Schafer mit ihrer Kamera.

Viele der 82 Frauen waren noch nie mit Steigeisen gegangen, manche hatten noch nie Schnee gesehen. Die meisten strahlten und keuchten gleichzeitig, andere litten und stiegen dennoch weiter.

Schritt für Schritt, den Blick auf den Schnee vor sich gerichtet.

Und mit ihnen tauchte ich ein in einen Sog aus Inspiration und Willenskraft, der alle gipfelwärts trieb. Bis es so weit war und ich mitsamt allen anderen auf dem Gipfel stand. Über uns ein tiefblauer Himmel, rund um uns herum die mitunter höchsten Gipfel der Alpen.

«Es ist unfassbar»

Ich war konzentriert darauf, die vereinbarten Bilder zu schiessen: Gruppenfotos, Frauen mit Landesflagge, Stars und Influencerinnen in Siegespose. Doch was ich stattdessen durch den Sucher sah, war etwas ganz anderes.

Schauspielerin Cindy Sirinya Bishop rief per Videocall ihre Kinder in Bangkok an und rief unter Tränen in den kleinen Bildschirm: «Schaut, was ich Unglaubliches geschafft habe! Ich wünschte, ihr wärt hier mit mir! Seht her, wo ich bin!»

Bergführerin Mina Ghorbani aus dem Iran und Abenteurerin Christine Amour-Levar aus Singapur liessen gleichzeitig die «100% Women Peak Challenge»-Flagge im Wind wehen und jubelten.

Charmi Dedhia aus Mumbai widmete wenige Meter neben ihnen den Gipfel einer nahen Verwandten. «I did this for you!», schrie sie in den Wind, die Hände in den Himmel reckend, lachend und weinend zugleich.

Derweil hinter mir Rosalia Gitau aus Thailand stand, still, fast andächtig, eine Hand auf der Brust. Ich fragte sie, wie es ihr gehe. «Es ist unfassbar», sagte sie und lächelte. «Ich stehe auf dem Dach der Welt.»

Diese Minuten auf dem Breithorn übertrafen alles

Ich steige selbst seit über 20 Jahren auf Berge und habe auf Gipfeln manch bewegenden Moment erlebt. Doch diese Minuten auf dem Breithorn haben alles Bisherige übertroffen.

Es war, als hätte eine Woge aus Glück den Gipfel erfasst, getragen von der Willenskraft all dieser Frauen, die ein gemeinsames Ziel hatten: auf diesen Berg zu steigen – und die Welt zu verändern.

Kritiker? Unkenrufer? Belanglos.

Was wirklich zählt: dass diese 82 Frauen das Gefühl des Empowerments – des Könnens, des Glaubens an die eigenen Fähigkeiten, die eigene Stärke – in 25 Länder hinaustragen werden. Und es weitergeben werden. An Töchter und Söhne, Partner, Eltern, Schwestern, Brüder, Freunde und Freundinnen.

Und wer nun fragt, warum es genau einen Berg brauche, um dies zu vollbringen? Weil Berge oft unerreichbar wirken, und sie uns dank ihrer Grösse die eigene Kraft spüren lassen.

Oder wie Charmi Dedhia später in der indischen Presse sagte: «Weil Berge nicht diskriminieren, sondern inspirieren!»

Wie wahr.


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