Hormonaktive Stoffe Körper im Wandel: Darum beginnt die Pubertät immer früher

dpa

20.8.2018

Der Beginn der Pubertät hat sich bei Kindern in den letzten 110 Jahren nach vorne verschoben. Neben Übergewicht können auch Umwelteinflüsse dafür verantwortlich sein. 
Der Beginn der Pubertät hat sich bei Kindern in den letzten 110 Jahren nach vorne verschoben. Neben Übergewicht können auch Umwelteinflüsse dafür verantwortlich sein. 
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Die Pubertät ist für Kinder wie Eltern eine schwierige Phase, besonders wenn die Hormone schon früher verrückt spielen als gedacht. Endokrinologen und Umweltschützer warnen vor Stoffen, die das Hormonsystem beeinflussen – etwa im Nuggi oder der Zahnbürste.

Bei zehnjährigen Mädchen wachsen schon Brüste, die erste Regelblutung kann mit elf oder zwölf einsetzen. Im Jahr 2014 lag der Durchschnitt für die erste Periode bei Mädchen in der Schweiz bei knapp 13 Jahren.

Das war nicht immer so: Vor rund 110 Jahren setzte die Pubertät bei Kindern noch rund zwei bis drei Jahre später ein. Lässt sich das mit der gesellschaftlichen Entwicklung erklären, anderen Arbeits- und Essgewohnheiten etwa?

«Dazu braucht es Langzeituntersuchungen, die aufwendig und teuer sind», sagt der Biochemiker und Endokrinologe Josef Köhrle. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie beschäftigt sich eingehend mit Hormonen und dem Stoffwechsel. «Die Antwort darauf ist komplex.»

Übergewicht setzt Reifeprozesse in Gang

Die Zahlen von 2014 stammen aus einer goss angelegten Studie eines internationalen Forscherteams mit Schweizer Beteiligung. Es wurde unter anderem das Erbgut von 180'000 Frauen nach genetischen Varianten untersucht, die das Einsetzen der ersten Periode steuern.

In den Entwicklungsjahren verändert sich das Hormonsystem des Körpers. Der Prozess beginnt im Gehirn: Es schüttet Hormone aus, die in den Eierstöcken oder Hoden die Bildung von Sexualhormonen steigern und die Geschlechtsfunktionen des Körpers beeinflussen, Schamhaare und Geschlechtsorgane wachsen und werden funktionsfähig.

Als einen der Hauptgründe für die nach vorne verschobene Pubertät sieht Köhrle die Gewichtszunahme bei Kindern. Eine schlechte Qualität der Nahrung, wenig Schlaf und zu wenig Bewegung, weil viel Freizeit vor Bildschirmen verbracht wird, seien einige Ursachen für das Gewicht.

Fettgewebeeinlagerungen führten zu früherer Reifung, darauf gebe es klare Hinweise aus Tierversuchen. Der gegenteilige Effekt zeigt sich bei Magersuchtpatientinnen oder Hochleistungssportlerinnen, die häufig keinen Zyklus mehr haben.

BPA beeinflusst den Hormonhaushalt

Hinzu kommt laut Köhrle die Belastung mit hormonaktiven Substanzen, sogenannten endokrinen Disruptoren, bereits in der Schwangerschaft. «Dadurch werden mehr Fettzellen statt Muskel- und Knochenzellen gebildet, besonders bei Mädchen.» Für die Belastung des Kindes über die Mutter gebe es solide Daten aus Urin-Messungen von Schwangeren.

Hormonell wirksame Stoffe finden sich etwa in Kunststoffen und Körperpflegeprodukten. In einer Studie untersuchte die Umweltorganisation BUND im Jahr 2013 Kosmetika in Deutschland und fand in nahezu jedem dritten Produkt solche Chemikalien, auch in Nuggis und Zahnbürsten.

Die Substanz ist Bisphenol-A (BPA). Die EU schätzt diesen Stoff seit Dezember 2017 als besonders besorgniserregend ein, auch weil er fortpflanzungsschädigend sei. Ab 2020 ist die Verwendung von BPA in Thermopapier in der EU verboten. Das Umweltbundesamt weist aber darauf hin, dass es noch in vielen Alltagsprodukten wie Trinkflaschen, Konservendosen und DVDs steckt.

In der Schweiz gilt BPA weiterhin als zu wenig gesundheitsgefährdend für ein Verbot. Allerdings gibt es auch hierzulande etwa keine Schoppen mit BPA mehr zu kaufen. Von einem kompletten Verbot wie es etwa in Frankreich  gilt, ist man in der Schweiz aber noch weit entfernt. Es existieren aber Höchstwerte, die nicht überschritten werden dürfen.

Die Substanzen sind überall

«Bisphenol-A ist jetzt das Aufregerwort, aber es gibt eine ganze Reihe von gefährlichen Substanzen, die einen giftigen Cocktail ausmachen können», sagt Köhrle. Über die Hauptverursacher gebe es aber zu wenige Informationen.

«Ob es jetzt die Butterdose ist, die Plastikfolie, in die das Essen eingewickelt ist, das Getränk, die Kleidung oder einfach die Luft, die Substanzen finden sich überall», sagt Köhrle. Auch in medizinischen Produkten gebe es diese Stoffe, zum Beispiel in weichen Kathetern oder Schläuchen.

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Für Pflanzenschutzmittel hat die EU Kriterien für die Bestimmung von hormonellen Stoffen festgelegt, die seit Juni 2018 verpflichtend sind. Regelungen für Spielzeug, Kosmetika und Lebensmittelverpackungen sind laut Kommission geplant.

Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie kritisiert an der neuen Vorschrift allerdings, dass es «zu viele Schlupflöcher im Bewertungssystem» gebe, zu viele gefährliche Substanzen kämen durch. «Die Richtlinie ist nicht rigide genug», sagt Präsident Köhrle.

Das Schweizer Recht enthält ebenfalls Vorschriften zu hormonaktiven Substanzen, die grösstenteils mit EU-Recht konform gehen. 

Früh einsetzende Pubertät  kann Krankheiten begünstigen

Ähnlich sehen das europäische Umwelt- und Verbraucherschutz-Organisationen: 70 von ihnen, darunter der BUND und Greenpeace, fordern von der EU-Kommission eine umfassende Strategie zum Umgang mit solchen Substanzen. Aktuell gehe es nur darum, wie hormonell wirksame Stoffe als solche identifiziert werden könnten.

Dies werde aber kaum dazu beitragen, solche Stoffe schnell zu erkennen und aus dem Verkehr zu ziehen, sagt Ulrike Kallee, BUND-Referentin für Chemie. «Die Nachweishürden zur Einstufung als Hormongift sind dafür schlicht zu hoch.»

Die Organisationen sehen daher dringenden Handlungsbedarf, da solche Substanzen auch mit hormonbedingten Krebserkrankungen, sowie Fortpflanzungs- und Fruchtbarkeitsstörungen in Verbindung gebracht werden.

Probleme in der Pubertät mit ihrem Körper haben wohl alle Kinder. Für die, bei denen es sehr früh oder sehr spät losgeht, ist die Belastung aber besonders gross. «Einige Studien zeigen, dass sowohl Früh- als auch Spätentwickler durchschnittlich ein erhöhtes Risiko für verschiedene soziale und emotionale Anpassungsstörungen haben», sagt Entwicklungspsychologin Michaela Riediger von der Universität Jena. «Besonders gut belegt ist ein erhöhtes Depressionsrisiko bei vergleichsweise früh pubertierenden Mädchen.»

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