Sänger Ritschi über den Tod«Ich möchte lieber nicht sterben»
Von Bruno Bötschi
15.11.2024
Heute erscheint der Song «S isch wie hei cho» von Eliane Müller und Ritschi: Ein Duett über das zu frühe Sterben von Eltern, die Kleinkinder zurücklassen. Ein Gespräch über die Kraft der Musik und den Tod.
Das Lied entstand im Auftrag des Vereins Hörschatz. Diese gemeinnützige Organisation hält die Stimmen von unheilbar erkrankten jungen Eltern in persönlichen Audiobiografien fest, damit sie den Kindern auch nach dem Tod von Mutter oder Vater in Erinnerung bleiben können.
«Kleinere Kinder realisieren nach dem Tod ihrer Eltern vielleicht nicht, was es wirklich heisst, dass sie das Mami nie wieder sehen und nie wieder mit ihr reden können. Weil sie sich das noch nicht richtig vorstellen können. Trauern tun aber auch sie», sagt Ritschi im Interview mit blue News.
Ritschi, hat dir Musik schon einmal Trost gespendet?
Was wäre ich für ein Mensch, wenn ich diese Frage mit Nein beantworten würde. Musik hat mich in meinem Leben immer wieder getröstet, als Zuhörer genauso wie als Songschreiber. Als Autor verarbeite ich immer wieder Themen, die mich beschäftigen, in Liedern.
Kannst du ein Beispiel nennen?
Im Lied «Schutzängel» geht es um das Thema Tod. Diesen Song haben wir mit Plüsch vor 20 Jahren zum ersten Mal gesungen. Seither hat er viele Fans getröstet. Und weisst du was? Ich bekomme heute noch Mails und Nachrichten von Menschen, die sagen, wie wichtig ihnen der Song «Schutzängel» sei.
Was schreiben dir die Fans?
Dass der Song sie berührt und getröstet hat.
Mit dem Song «S isch wie hei cho», der heute erscheint und den du gemeinsam mit der Sängerin Eliane Müller aufgenommen hast, wollt ihr Kindern, die in jungen Jahren ihre Eltern verloren haben, Trost spenden. Hat Musik so viel Kraft?
Wenn Eltern jung sterben, ist unendlich viel Trauer da. In so einer schlimmen Situation reicht ein Lied nicht als Trost. Aber vielleicht schafft es unser Song zu einem späteren Zeitpunkt, also wenn einige Monate vergangen sind, den Zugang zu einer verstorbenen Person wieder zu öffnen und er kann Erinnerungen an sie wachhalten. «S isch wie hei cho» soll ein Mutmach-Song für Kinder sein, die ihren Papa oder ihre Mama viel zu früh verloren haben. Den Song haben Eliane und ich in Zusammenarbeit mit dem Verein Hörschatz aufgenommen.
Dieser gemeinnützige Verein realisiert mit sterbenskranken Eltern Hörschätze, in dem sie über ihr Leben sprechen.
So ist es. In eigenen Worten erzählen die Palliativ-Patient*innen ihren Familien, was ihnen wichtig ist, was von ihnen bleiben soll. «S isch wie hei cho» beschreibt, was diese Situation mit einer Familie macht – also mit dem Elternteil, der bald gehen muss, aber auch mit den Kindern, die zurückbleiben.
Wie ist die Zusammenarbeit zwischen Hörschatz, dir und Eliane Müller entstanden?
… und Franziska ist zudem eine der beiden Initiantinnen vom Hörschatz. Sie hat mir vor längerer Zeit in einem privaten Gespräch über ihren Verein erzählt. Das hat mich beeindruckt.
Warum?
In meinem Umfeld gibt es einige Menschen, die viel zu früh gehen und kleine Kinder zurücklassen mussten. Umso wertvoller finde ich es, dass durch diese persönlichen Audiobiografien vom Hörschatz diese Kinder später die Chance haben, die Stimme ihrer Eltern nochmals zu hören und von ihnen persönlich erfahren können, welches ihr Lieblingsessen war und welche Musik sie besonders gern gehört haben.
Wie muss ich mir die Zusammenarbeit zwischen dir und Eliane Müller vorstellen?
Es ist das erste Mal, dass Eliane und ich gemeinsam einen Song erarbeitet haben. Trotzdem war sofort viel Vertrauen zwischen uns spürbar. Das ist enorm wichtig, wenn du gemeinsam einen emotionalen Song schreiben willst. In dieser Situation musst du bereit sein, dich dem anderen zu öffnen.
Flossen auch einmal Tränen?
Nein, aber die Stimmung war oft emotional und Eliane und ich hatten einige sehr tiefgründige Gespräche.
Kleinere Kinder realisieren nach dem Tod ihrer Eltern vielleicht nicht, was es wirklich heisst, dass sie das Mami nie wieder sehen und nie wieder mit ihr reden können. Ihnen fehlt dazu noch die Vorstellung. Trauern tun sie aber trotzdem. Mir kommt es oft so vor, als wollen Kinder auch gar nicht alles wissen über den Tod – sozusagen als Eigenschutz.
Wie meinst du das?
So bleibt nach einem Todesfall inmitten aller Trostlosigkeit und Verzweiflung noch ein Hoffnungsschimmer bestehen.
Du bist Vater von zwei Kindern. Dein Sohn ist zwölf, deine Tochter ist acht Jahre alt. Sprichst du mit Ihnen über den Tod?
Meine Kinder wissen, dass ich in letzter Zeit mit dem Schreiben und Aufnehmen des Songs «S isch wie hei cho» beschäftigt war. Aber ich bin bisher nicht proaktiv auf sie zugegangen, um mit ihnen über das Thema Tod zu sprechen.
Meine Kinder sind gerade sehr glücklich und deshalb möchte ich sie nicht mit so einem schweren Thema belasten. Wir sprechen aber immer wieder darüber, wie wichtig ein respektvoller Umgang miteinander ist – auch deshalb, weil wir nicht wissen, was morgen sein wird.
Was bringt es, sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen?
Bevor Eliane und ich den Song «S isch wie hei cho» zusammengeschrieben und ihn im Studio von Produzent Adrian Stern aufgenommen haben, durfte ich mit betroffenen Menschen sprechen. Ich sprach mit einer sterbenskranken Mutter, die gerade einen Hörschatz aufnahm. Und ich sprach mit Teenagern, die ihre Eltern vor ein paar Jahren verloren haben. Diese Gespräche brachten mich ins Grübeln. Gleichzeitig wurde mir bewusst, welches grosses Glück ich habe, dass ich gesund sein darf.
Kann die Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben helfen, mit dem Tod von Angehörigen besser umzugehen?
Ich denke, dass muss jeder Mensch für sich selbst herausfinden. Was ich sagen kann: Nach dem Gespräch mit Franziska von Grüningen habe ich mich intensiver mit meinem Tod befasst. Die Hörschatz-Initiantin bietet auch noch den Podcast namens «My last Goodbye» an.
Um was geht es da?
In diesem Mitmach-Podcast werden dir zwölf Fragen zum eigenen Tod gestellt. Das heisst, Menschen denken darüber nach, wie ihre eigene Beerdigung aussehen soll. Was soll am Trauermahl für Essen serviert werden? Gibt es das eine Lied, das in der Kirche unbedingt laufen muss? Soll es überhaupt eine Beerdigung geben? Ich kann jedem nur empfehlen, da auch mitzumachen.
Du hast demnach auch schon mitgemacht?
Ja. Der Podcast «My last Goodbye» regt zum Diskutieren an, auch mit der eigenen Partnerin oder dem eigenen Partner. Ich bin zwar erst 45 Jahre alt und hoffe, dass ich noch 30, 40 gute Jahre vor mir habe. Aber das weisst du ja nie. Deshalb finde ich es spannend, sich auch einmal in einer Zeit Gedanken zum Tod zu machen, in dem das eigene Ableben noch nicht so präsent ist.
Ich mag den Thunersee gerne und stelle mir vor, dass meine Asche dort verstreut werden könnte.
Hast du etwas gegen Friedhöfe?
Ich habe nichts gegen Friedhöfe, auch wenn mich Gräber teilweise etwas beängstigen. Vielleicht ist dies mit ein Grund, warum ich dereinst lieber nicht dort liegen möchte.
Hast du Angst vor dem Tod?
Ich glaube schon … ähm, ich will es nicht … also, wenn mich jetzt jemand fragen würde, ob ich lieber nicht sterben möchte, dann würde ich im Moment mit Ja antworten. Aber klar ist auch, irgendwann muss jeder Mensch gehen. Und wenn ich lang genug leben darf, ist es wahrscheinlich auch für mich einmal okay, irgendwann gehen zu müssen. Im Moment aber ist die Angst vor dem Tod grösser als die Vorfreude darauf.
Das war meine letzte Frage.
Dann habe ich noch eine Frage an dich: Wie gefällt dir der Song «S isch wie hei cho»?
Er gefällt mir gut. Was auch damit zu tun hat, dass ich aktuell nah am Wasser gebaut bin. Mein Vater starb vor wenigen Wochen.
Oh, das tut mir leid.
Mein Vater wollte unbedingt gehen, denn er wollte wieder zusammen mit meiner Mutter, die im vergangenen Jahr gestorben ist, Geburtstag feiern. Ich gebe zu, das ist eine naive Vorstellung vom Tod …
… ich finde das nicht naiv, sondern eine schöne Vorstellung.
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