Todkranker Vater (Teil 1 von 3) «Meine Stimme soll für immer bei meinen Kindern sein»

Von Sulamith Ehrensperger

25.5.2021

«Dass ihr mich vermissen werdet, ist ganz normal»: Remo hat für seine Kinder und seine Frau eine sehr persönliche Audiobiografie, einen Hörschatz, aufgezeichnet.
«Dass ihr mich vermissen werdet, ist ganz normal»: Remo hat für seine Kinder und seine Frau eine sehr persönliche Audiobiografie, einen Hörschatz, aufgezeichnet.
Bild: Barbara Hess

Remo ist schwerstkrank. Bevor er stirbt, möchte er seinen Kindern mit der eigenen Stimme auf die Frage antworten «Wer ist mein Vater?». Sein Leben hat er nun als «Hörschatz» aufgezeichnet.

Von Sulamith Ehrensperger

Wir möchten Remo hier eine Stimme geben. Er hat sehr offen mit «blue News»-Redaktorin Sulamith Ehrensperger über seine Emotionen, den Tod und seine Erfahrung mit «Hörschatz» gesprochen. Er macht den Anfang einer dreiteiligen Serie. 

«Ich bin Remo 35 und ich weiss, dass ich bald sterben werde. Ich habe Magenkrebs im Endstadium. Meine Kinder sind vier und sechs Jahre alt. Ich möchte, dass meine Stimme für immer bei ihnen sein kann.

Ich finde den Gedanken schön, dass meine Stimme sie auf dem Weg zum Erwachsenwerden und durch ihr Erwachsenenleben begleiten kann, wenn ich dann nicht mehr da bin. Also habe ich meine persönlichen Geschichten des Lebens in Worte gefasst und auf meine Weise angefangen, Abschied zu nehmen. Zusammen mit dem Verein Hörschatz habe ich eine siebenstündige Audiobiografie aufgezeichnet, mit der ich ihnen meine Lebensgeschichte, meine Erinnerungen und Vaterbotschaften weitergeben möchte.

Auf mein Leben zurückzuschauen, war manchmal emotional, dadurch aber auch schön und befreiend. Am Anfang fiel es mir schwer, über Emotionen zu reden. Vielleicht ist es auch ein Männerding, dass es Mann schwerer fällt, über den ersten Kindergartentag oder die Gefühle bei der Geburt der Kinder zu sprechen. Ich glaube, ich habe am Anfang eher wie ein Pastor getönt.

«Das Lied ist für mich ein emotionaler Trigger»

Mit der Zeit spürte ich mich immer besser, ich begann frei von der Leber zu reden. In gewissen Phasen ist es nur so aus mir herausgesprudelt. Manchmal fühlte es sich an, wie eine Explosion im Kopf. Ich erzähle Anekdoten und Geschichten aus meiner Kindheit, über meine Schul- und Pfadizeit, vom Wasserball, den Campingferien, unvergesslichen Momenten, aber auch über das Scheitern. Es gab einen Punkt in meinem Leben, als ich beim Schwimmsport nicht mehr mithalten konnte, dann aber Wasserball für mich entdeckte. Als Vater möchte ich meinen Kindern zeigen, dass Rückschläge zum Leben gehören. Und damit auch die Botschaft, den eigenen Weg zu gehen, sei es links oder rechts herum, oder wo auch immer.

Über den Verein Hörschatz

In eigenen Worten erzählen Palliativ-PatientInnen ihren Familien, was ihnen wichtig ist, was von ihnen bleiben soll. Mit dieser sehr persönlichen Audiobiografie, einem Hörschatz, hinterlassen früh verstorbene Eltern ihren minderjährigen Kindern eine bleibende Erinnerung. Der Verein Hörschatz vermittelt Audiobiografien an betroffene Familien und organisiert die Finanzierung durch Spendengelder und Fundraising.

Meine Familie verbrachte jeweils die Sommerferien auf dem Campingplatz von Avenches am Murtensee. Mit diesen Ferien verbinde ich den Song ‹Supermegalässig›. Er schallte immer über Lautsprecher, wenn es Zeit für die nächste Kinderaktivität war. Das Lied ist für mich ein emotionaler Trigger. Auch mit unseren Kindern waren wir die letzten Sommer dort – und der Song ist noch immer derselbe. Diese Melodie verbindet meine Kindheitserlebnisse mit jenen von meinen beiden Kindern.

Für die Aufnahmen habe ich den Text auswendig gesungen, denn im Internet gibt es ihn nur als kurzen Ausschnitt einer CD. Als wir dann beim herausgebenden Verlag anriefen und von den Hörschatz-Aufnahmen erzählten, war eine Mitarbeiterin derart berührt, dass sie uns den Song auf eigene Kosten schenkte.


Remo ist gerade in einem Crowdfunding-Video für die nächsten Hörschätze zu sehen.

Quelle: Youtube


Drei Tage lang dauerten die Aufnahmen mit Franziska von Grünigen, die den Verein Hörschatz ins Leben gerufen hat. Ich habe dabei auch mehr über mich selber erfahren. In meinem Leben gab es Momente, wo ich mich sehr auf meine Karriere konzentriert habe, und bisschen vernachlässigt habe, mein Glück mehr zu leben. Dennoch ist es für mich ein beglückendes Gefühl, wenn ich auf mein Leben zurückschaue und sehe, dass ich so viel erlebt habe. Andererseits macht es mich traurig, weil ich weiss, dass ich viele Lebensmomente meiner Kinder nicht mehr begleiten kann.

«Ein bisschen vernachlässigt, mein Glück mehr zu leben»

Für mich ist der Hörschatz eine emotionale Reise. Ich glaube, damit etwas geschaffen zu haben, das meine Kinder und meine Frau ein bisschen durch diese Zeit des Abschieds und der Trauer trägt. Es ist natürlich auch ein Teil des Abschiedsprozesses. Die Kinder wissen, dass ich den Hörschatz für sie aufgezeichnet habe und sie können es kaum erwarten, reinzuhören. Es wäre schön, wenn wir das zusammen tun, dann könnte ich ihre Fragen beantworten und wir würden gemeinsam auf diese Reise durch mein Leben gehen.

Die Aufnahmen waren für mich auch eine versöhnliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben und dem Abschied. Ich habe keine Bucket-List mit Wünschen. Da wäre nur ein Wunsch: Dass wir den Sommer wieder zusammen am Murtenseeufer in unserem Wohnwagen verbringen können. Das wäre supermegalässig.»

Du möchtest das Projekt Hörschatz unterstützen? Neben einer Direktspende gibt es die Möglichkeit per Crowdfunding zu spenden. Damit können schwerstkranke Eltern für ihre Kinder kostenlos einen Hörschatz aufnehmen.