Egal was das Gericht am Sonntag entscheidet, das Einreise-Chaos um Novak Djokovic hat schon lange einen Schatten über alle Beteiligten geworfen. Ein Urteil wird daran nichts mehr ändern, wenn es dann überhaupt zu einem solchen kommt.
Es ist das reinste Chaos in Melbourne. Selbst zwei Tage vor dem Start der Australian Open ist noch immer nicht klar, ob die Weltnummer 1 zum Turnier antreten wird. Es ist ein juristisches Hin und Her, in dessen Zentrum Novak Djokovic längst zum Spielball der Politik wurde. Die Frage ist, ob der Serbe das selber auch so sieht?
Gemäss seinen Aussagen ist er «nur ein Tennisspieler», der seinen 21. Grand-Slam-Titel in Angriff nehmen will. Aber Djokovic ist eben nicht nur das. Er ist ein Mann mit einer Ideologie, die weit über den Sport hinaus reicht und was diesen Fall überhaupt erst so brisant gemacht hat.
Ein Umweg mit Umwegen
Djokovic kannte die Einreise-Regeln ganz genau. Schliesslich haben die Australier im Vorfeld mehrmals betont, dass nur geimpfte Spieler:innen zum Turnier zugelassen sind. Trotzdem fand Djokovic ein vermeintliches Schlupfloch, um die Reise nach Down Under ungeimpft antreten zu können. Ein positiver Covid-Test von Mitte Dezember eröffnete neue Möglichkeiten, welche auch die Turnierorganisatoren zu einer Sonderbewilligung hinreissen liessen.
Genaue Fragen wurden damals nicht gestellt, andernfalls hätte wohl jemand die Ungereimtheiten mit der Erkrankung eher hinterfragt. Warum sich Djokovic damals nicht in Quarantäne begab, sondern eine Akademie besuchte und zu Interviews reiste, fragen sich die australischen Behörden aber erst seit der Ankunft von Djokovic in Melbourne. Ebenso ist auch das exakte Testdatum und der ungenaue Befund, der mal negativ und mal positiv ausfiel erst jetzt Gegenstand der laufenden Untersuchung.
Djokovic hätte doch mehr tun können
«Was hätte dieser Mann noch mehr tun können», fragte sich der Richter Anfang dieser Woche als es um die Visums-Verweigerung ging. Aufgrund der Faktenlage zu diesem Zeitpunkt eine berechtigte Frage, weshalb Djokovic dann auch einreisen durfte. Im Nachhinein allerdings hätte Djokovic durchaus «mehr tun können». Zum Beispiel hätte er sich nach seinem positiven Befund in Isolation begeben können, ja müssen. Er hätte auch die formalen Fehler bei seiner Einreise vermeiden können und zumindest als Zeichen der Solidarität durchgehend eine Maske tragen. Einfachheitshalber hätte er sich einfach impfen lassen können.
Djokovic aber wollte nach seinen eigenen Spielregeln antreten und dies führte zu diesem ganzen Chaos. Seine Familie bezeichnet ihn gerne als Freiheitskämpfer oder gar als Spartakus oder Jesus. Der Tennis-Star ist zur Symbolfigur für alle Ungeimpften geworden, die sich in der aktuellen Pandemie-Lage ihrer Freiheit beraubt fühlen. Doch das Happy End, das sich Impfskeptiker von diesem Märchen erhoffen, wird ziemlich sicher ausbleiben.
Drei Wege ohne Erfolgsformel
Für den Ausgang dieses Falls gibt es grob aufgezeichnet drei Szenarien. Erstes Szenario: Djokovic wird das Visum verweigert. Er kann nicht am Turnier teilnehmen und wird die Heimreise antreten. Ausserdem wird er nach diesem Entscheid für drei Jahre nicht nach Australien reisen dürfen. Zweites Szenario: Das Gericht fällt am Sonntag kein Urteil, der Fall wird in die Länge gezogen und Djokovic muss im Quarantäne-Hotel bleiben. Seine Erstrunden-Partie vom Montag fällt ins Wasser und er wäre bereits ausgeschieden. Drittes Szenario: Djokovic bekommt sein Visum erneut zurück und startet am Montag ins Turnier.
Dass die ersten beiden Szenarien ihm als Sportler enorm schaden würden, braucht eigentlich gar keine Erklärung. Allerdings ist zu bedenken, dass es für Djokovic bei diesem Ausgang nicht bloss um die Turnierteilnahmen in Melbourne geht, sondern sein ganzes Vermächtnis ins Wanken geraten würde. Der Präzedenzfall hätte auch Auswirkungen auf andere Major-Turniere und sein Ruf wäre nachhaltig geschädigt.
Doch selbst beim dritten Szenario dürfte sich Djokovic nur bedingt als Sieger fühlen. Zwar kann er auch dann wieder mit einem Siegesschrei auf den Court zurückkehren, die Sympathien werden ihm aber nicht um die Ohren fliegen. Das mildeste wäre wohl, wenn er nicht von einem Grossteil des Publikums ausgebuht würde. Als Sportler und Person kann er darüber stehen, ob es seine Sponsoren auch tun ist eine andere Frage. Aus sportlicher Sicht ist offen, wie sehr die Vorbereitung durch das ganze Wirrwarr beeinträchtigt wurde.
Überfordert an allen Enden
Verloren haben in diesem Fall aber eindeutig auch die australischen Behörden und die Justiz. Mit falschen Versprechen und fehlenden Absprachen haben sie es Djokovic überhaupt erst ermöglicht, diesen Fall zu einem weltweiten Medien-Phänomen zu machen.
Bei der Einreise kam es auch auf Seiten der Zollbeamten zu einer Verkettung von Fehlern, die den Zorn vieler Bürger nur noch mehr entfacht hat. Der Immigrationsminister Alex Hawke vertritt den Standpunkt, dass für alle Einreisenden dieselben Bestimmungen bezüglich Covid gelten und hat Djokovic das Visum deshalb auch wieder entzogen. Allerdings wird man auch bei ihm den Eindruck nicht ganz los, dass es letzten Endes nur um eine Machtdemonstration und ein Kräftemessen geht.
So darf man nun zwar gespannt den Ausgang dieser Anhörung am Sonntag erwarten, zu laut jubeln sollte aber niemand, auch aus Respekt all jener gegenüber, die wegen Corona schon geliebte Freunde und Familienmitglieder verloren haben.