Das Internationale Olympische Komitee gerät im Fall Peng Shuai in Bedrängnis. Eine Videoschalte von IOC-Chef Thomas Bach mit der lange verschwundenen Tennisspielerin wird stark kritisiert. Der Vorwurf einer Sportlervereinigung: Mitschuld an bösartiger Propaganda.
Die Videoschalte von IOC-Präsident Thomas Bach mit der längere Zeit verschwundenen chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai hat zu einer heftigen Kontroverse im Weltsport geführt. Die Sportlervereinigung Global Athlete warf dem Internationalen Olympischen Komitee vor, sich dadurch «mitschuldig an der bösartigen Propaganda der chinesischen Behörden und deren mangelndem Interesse an grundlegenden Menschenrechten und Gerechtigkeit» zu machen, teilte die Athleten-Union am Montag mit.
Dagegen unterstützte der Leichtathletik-Weltpräsident Sebastian Coe die Diplomatie des IOC mit China in Bezug auf Peng Shuai. «Kriegerische Geräusche» über einen möglichen diplomatischen Boykott der Winterspiele im Februar 2022 in Peking wären «eine ziemlich bedeutungslose Geste», sagte der Brite im Interview mit dem britischen Rundfunksender BBC Today am Montag. Zur Frage, ob es Peng Shuai erlaubt werden sollte, China zu verlassen, antwortete er: «Ich bin nicht in der Position, solche Beurteilungen abzugeben.»
Peng Shuai hatte Anfang November im sozialen Netzwerk Weibo Vorwürfe wegen eines sexuellen Übergriffs durch einen chinesischen Spitzenpolitiker veröffentlicht. Danach war sie zunächst nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen worden. Das IOC hatte am Sonntag mitgeteilt, Bach habe ein Videotelefonat mit der Tennisspielerin geführt. Diese habe erklärt, sie sei in Sicherheit.
Ist Peng Shuai wirklich sicher?
Einen Tag später bekräftigte das IOC den Beweggrund für die Kontaktaufnahme. «Der Hauptzweck des Anrufs bestand darin, sich nach dem Wohlergehen und der Sicherheit von Peng Shuai zu erkundigen», hiess es in einer Mitteilung am Montag. «Der Schutz des Wohlergehens der Athleten ist für das IOC und die olympische Bewegung von grösster Bedeutung. Wir haben vereinbart, in Kontakt zu bleiben, und sie hat einem Treffen in Peking im Januar zugestimmt.»
Global Athlete indes betonte, dass eine Videoschalte keineswegs garantiere, dass Peng Shuai sicher und wohlauf sei. In der Stellungnahme des IOC werde nicht erwähnt, dass die 35-Jährige Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs erhoben habe und zwei Wochen verschwunden gewesen sei. Mit seiner Einladung zum Abendessen an Peng Shuai habe Bach die «todernste Situation verspottet, die leider zu vielen weiblichen Athleten sehr vertraut ist».
Die Sportlervereinigung erneuerte ihre Forderung, Chinas olympisches Komitee zu suspendieren, bis Peng Shuai eine sichere Ausreise aus China ermöglicht werde und ihre Vorwürfe Gegenstand einer Untersuchung würden. Mit seiner Haltung in der Sache habe das IOC erneut bewiesen, dass es «Athleten im Stich lässt, an der Seite von gewaltsamen autoritären Regimen steht und Menschenrechte ignoriert», hiess es in der Stellungnahme von Global Athlete.
«Das Ganze wirkt inszeniert» – chinesische Medien zensieren den Fall
Auch ARD-Korrespondent Steffen Wurzel in Schanghai ist alles andere als überzeugt davon, dass es Peng Shuai wirklich gut gehe. Aus Sicht der chinesischen Staatsmedien seien die Videos und das Gespräch mit dem IOC-Präsidenten ein Beweis, dass mit Peng alles in Ordnung sei und die internationalen Befürchtungen unbegründet seien. «Genau so haben sich denn auch viele Journalisten von chinesischen Staatsmedien bei Twitter geäussert – obschon Twitter innerhalb Chinas gesperrt ist», sagt er in einem Interview mit SRF.
Und weiter: «Die Mitteilungen richten sich also eindeutig ans internationale Publikum. Tatsächlich aber wirkt das Ganze inszeniert und die Videos sehr hölzern.» Weiterhin stelle sich die Frage, ob Peng frei in ihren Entscheidungen sei oder nicht.
Auch die zensierte Berichterstattung innerhalb Chinas spricht dafür, dass die aufgetauchten Videos von Peng Shuai ans internationale Publikum gerichtet sind. Als der US-amerikanische TV-Sender CNN den China-Korrespondenten Will Ripley zum Fall Peng befragt, wird die entsprechende Übertragung in China unterbrochen.
Auch US-Präsident Biden ist «tief beunruhigt»
Die Affäre um die 35-jährige Weltklasse-Doppelspielerin bringt das IOC knapp zweieinhalb Monate vor den Olympischen Winterspielen in Peking (4. bis 20. Februar) zusätzlich stark in Bedrängnis. China steht wegen Verstössen gegen die Menschenrechte ohnehin in der Kritik.
Denn auch US-Präsident Joe Biden hat sich eingeschaltet und «tief beunruhigt» über das Schicksal von Peng Shuai gezeigt. Seine Sprecherin Jen Psaki forderte China auf, «unabhängige und überprüfbare Beweise über ihren Aufenthaltsort und ihre Sicherheit zur Verfügung zu stellen». Biden hatte zuvor zudem angekündigt, sich mit einem diplomatischen Boykott der Peking-Spiele zu beschäftigen.