Verschwundene Tennisspielerin Peng Shuai meldet sich zu Wort, die Sorgen um sie aber bleiben

Von Sven Hauberg

22.11.2021

Die verschwundene Tennisspielerin Peng Shuai ist zurück, und es geht ihr gut – behauptet Peking. Als Kronzeuge dient ausgerechnet ein Weggefährte von Staatschef Xi Jinping: der umstrittene IOC-Chef Thomas Bach.

Von Sven Hauberg

Am Abend des 17. Januar 2017 fuhr mit ein paar Minuten Verspätung ein Sonderzug aus Chur in den Bahnhof des waadtländischen 10'000-Einwohner-Ortes Lutry ein, und heraus stieg Xi Jinping, chinesischer Staats- und Parteichef. Empfangen wurde der hohe Gast, der vom Weltwirtschaftsforum in Davos gekommen war und wenig später zum UNO-Sitz nach Genf weiterreiste, von IOC-Präsident Thomas Bach. Für Xi und Bach ging es dann weiter nach Lausanne, zu einer Privatführung durch das dortige Olympia-Museum.

Die beiden Männer sind alte Bekannte. Bach kam 2013 ins Amt, im selben Jahr wurde Xi Staatspräsident der Volksrepublik China. Nur zwei Jahre später vergab das Internationale Olympische Komitee die Winterspiele 2022 nach Peking – zum zweiten Mal nach 2008 wurde die chinesische Hauptstadt Olympia-Austragungsort.



Damals, im Jahr 2008, war Bach Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes. «Im Rückblick wird man erkennen, dass die Spiele eine Zäsur in der Entwicklung Chinas bilden», hatte er seinerzeit einem Journalisten erklärt. Es kam anders, China entwickelte sich zur Überwachungsdiktatur und sperrte Hunderttausende Uiguren in Umerziehungslager.

Einladung zum Abendessen

Ebenjener Thomas Bach ist jetzt so eine Art Kronzeuge im Fall Peng Shuai. Peng, frühere Wimbledon- und French-Open-Doppelsiegerin, hatte Anfang November in einem Eintrag auf dem sozialen Netzwerk Weibo dem früheren Vizepremier Zhang Gaoli sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Anschliessend war die Tennisspielerin verschwunden. Am vergangenen Wochenende nun überschlugen sich die Ereignisse, auf einmal war das Internet voll von angeblichen Lebenszeichen der 35-Jährigen.

Auch Thomas Bach hat am Wochenende mit Peng gesprochen. In einem sehr knappen Statement heisst es, die beiden hätten 30 Minuten lang telefoniert, dabei seien auch zwei weitere IOC-Funktionäre anwesend gewesen. Ihr gehe es gut, sie halte sich derzeit in Peking auf und wolle Zeit mit ihren Freunden und ihrer Familie verbringen, sagte Peng laut IOC.

«Am Ende des Gesprächs lud IOC-Präsident Bach Peng Shuai zu einem Abendessen ein, sobald er im Januar nächsten Jahres in Peking eintrifft, was sie gern annahm» – so endet die Pressemitteilung. Kein Wort hingegen von den Vorwürfen, die Peng gegen den Ex-Vizepremier Zhang erhoben hatte. Eine Untersuchung der Anschuldigungen scheint Bach jedenfalls nicht für notwendig zu halten. Kritische Worte in Richtung Peking? Fehlanzeige. 

Dubiose «Beweisvideos»

Ganz anders sieht man das bei der internationalen Damentennis-Organisation WTA. Deren Chef Steve Simon forderte, allein mit Peng sprechen zu können und verlangte gar, dass die Tennisspielerin das Land verlassen könne. Sollte die Situation nicht geklärt werden, dann würde seine Organisation die WTA-Tour komplett aus China zurückziehen. Dass damit ein Geschäft im Wert von Hunderten Millionen Euro verloren gehen würde, scheint Simon nicht zu stören.

Besänftigen liess sich der WTA-Chef auch nicht von diversen dubiosen Videos, die am Wochenende aufgetaucht waren. Hu Xijin, Chefredaktor der Parteizeitung «Global Times» und einer der Chefpropagandisten der Regierung in Peking, hatte auf Twitter mehrere Clips geteilt. Man sieht Peng bei einem Abendessen «mit ihrem Trainer und Freunden» und lächelnd bei der Eröffnungszeremonie eines Tennisturniers für Teenager in Peking.

«Kann ein Mädchen unter Druck ein so sonniges Lächeln vortäuschen? Diejenigen, die vermuten, dass Peng Shuai unter Zwang steht, müssen innerlich ganz schön finster sein», schreibt Hu unter einen der Clips.

Was auffällt: Auf keinem der Videos ergreift Peng selbst das Wort, meist lächelt sie nur freundlich oder nickt artig. Auch lässt sich nicht verifizieren, wann die Videos überhaupt entstanden sind.

«Mitschuldig an der bösartigen Propaganda»

Neben Tennis-Kollegen wie Roger Federer («Diese Nachrichten sind schon sehr beunruhigend») äusserte auch US-Präsident Joe Biden seine Besorgnis. «Wir fordern die chinesischen Behörden auf, unabhängige und überprüfbare Beweise über ihren Aufenthaltsort und ihre Sicherheit zur Verfügung zu stellen», sagte Bidens Sprecherin Jen Psaki am Wochenende über Peng. Man verurteile den Umgang der chinesischen Regierung mit Kritikern, so Psaki weiter. Der Fall Peng Shuai hat längst die allerhöchsten Ebenen der internationalen Politik erreicht.

Noch deutlichere Worte als Biden fand die Sportlervereinigung Global Athlete. Das IOC zeige eine «völlige Missachtung für Anschuldigungen von sexueller Gewalt und Missbrauch gegenüber Sportlern». Das Videotelefonat von Bach und Shuai sei kein Beleg dafür, dass es der Tennisspielerin gut gehe; vielmehr habe sich das IOC «mitschuldig gemacht an der bösartigen Propaganda der chinesischen Behörden und deren mangelndem Interesse an grundlegenden Menschenrechten und Gerechtigkeit».

Das IOC bleibt derweil zurückhaltend wie immer. «Das IOC schätzt die von so vielen Athleten und Nationalen Olympischen Komitees geäusserten Bedenken. Wir begrüssen auch die Unterstützung der IOC-Athletenkommission für unseren stillen diplomatischen Ansatz», zitiert die Nachrichtenagentur dpa einen Sprecher der Organisation.

Die Gründe für die Zurückhaltung von Bach und Co. liegen auf der Hand: Schon am 4. Februar sollen in Peking die Winterspiele beginnen. Bei der Entzündung der Olympischen Flamme Mitte Oktober hatte Bach noch in blumigen Worten davon geschwärmt, die Spiele würden eine «Brücke zwischen den Menschen bauen» und seien ein «Beispiel für eine Welt, in der alle die gleichen Regeln und einander respektieren.»