Liebeserklärung an den Nati-Trainer Murat Yakin, du charmantes Schlitzohr

Von Michael Angele

15.11.2021

Murat Yakin scheint so was wie der perfekte Nati-Trainer zu sein.
Murat Yakin scheint so was wie der perfekte Nati-Trainer zu sein.
Bild: Keystone

Die Schweizer Nati hat es geschafft und sich am Montag direkt für die WM 2022 qualifiziert. Grossen Anteil daran hat Murat Yakin.

Von Michael Angele

«Wir hatten ein Angriffsschema», sagte Murat Yakin, der gelernte Hochbauzeichner, nach dem Spiel gegen Italien am Freitag. Das Schema konnten die Zuschauer*innen gut erkennen. In der ersten Halbzeit gab es zwei fast identisch vorgetragene Angriffe, wovon der eine zum Führungstor durch Silvan Widmer führte.

Taktisch macht Murat Yakin gerade alles richtig. Darüber brauchen wir hier nicht zu reden. Aber taktisch hat auch sein Vorgänger vieles richtig gemacht; mit 1,79 Punkten pro Spiel ist Vladimir Petkovic der erfolgreichste Nati-Coach aller Zeiten. Warm wurde man mit seiner Nati dennoch nicht. Sagen wir es so, die Nati unter Petkovic – gute bis sehr gute Spieler aus der globalisierten Fussballwelt, mit einer hervorragenden Ausbildung zum Fachfussballer in der Schweiz. Ist okay, aber nicht gerade das, wofür du sterben würdest.

Yakin zu Gast im Heimspiel

Murat Yakin ist am kommenden Donnerstag zu Gast im Heimspiel – Der Fussball-Talk. Heimspiel liefert Standpunkte und Argumente und vertieft aus einer schweizerischen Perspektive die wichtigsten Themen des Fussballs: kontrovers, engagiert, humorvoll. Immer donnerstags auf blue Zoom im Free-TV ab 21 Uhr. Oder hier als Podcast.

SRF-Kommentator Sascha Ruefer versuchte etwas Wärme zu erzeugen, indem er Haris Seferovic den «Mann aus Sursee» nannte. Sollte Seferovic wieder einmal spielen, wird man das verklemmte «Mann aus Sursee» nicht mehr hören. Es braucht es nicht mehr. Murat Yakin hat das Verhältnis zur Nati sofort entkrampft. Er wusste, was zu tun ist.

Während er öffentlich das leidige Thema «Mitsingen bei der Hymne» angesprochen hat, erhöhte er stillschweigend ein wenig den Anteil der Alt-Bio-Schweizer im Kader, vor allem aber nominierte er Spieler aus der einheimischen Liga: Ein Aebischer, ein Garcia von YB oder ein Imeri von Servette hätten unter Petkovic kaum eine Chance gehabt.



Cool und elegant, aber niemals überheblich

Nun ist der 1974 in Basel geborene Yakin ja selbst ein Secondo. Aber entkrampfen konnte das Verhältnis nur ein Secondo. Und nur einer, der auch drei Monate nach seiner überraschenden Ernennung zum Nati-Coach immer noch den Eindruck macht, dass für ihn ein Traum in Erfüllung gegangen ist. Wenn Yakin mit noch etwas mehr als sonst geröteten Backen über die Nati spricht, dann spricht aus dieser Röte die Begeisterung, aber sie wirkt auch ein bisschen wie die eines Buben, den man gerade bei einem Streich erwischt hat.

«Dr Muri hät immer no äinä im Ärmel», so Blue Sport-Experte Daniel Gygax über Noah Okafor, den Man of the Match am Freitag, und fügte an: Es sei zwar mutig gewesen, Okafor zu Beginn zu bringen, aber auch ein machbares Risiko. Das stimmt. Yakin würde sich nie so verzocken wie YB-Trainer David Wagner, der seine Spieler im kapitalen Match gegen Villareal mit einer ungewohnten Fünferkette überforderte. Man kann Yakin da vertrauen. Es ist bekannt, dass er sein Geld in relativ sichere Immobilien gesteckt hat. Ein Teil floss auch in den FC Schaffhausen, bei dem er, formal nur Trainer, in etwas undurchschaubarer Manier die Fäden mitzog.



«Er ist ein charmantes, keinesfalls bösartiges Schlitzohr», meinte Fredy Bickel vor einem Monat im «Heimspiel». Auch das scheint wahr. Mit seinen frechen Streichen will Murat Yakin keinem schaden, sie geschehen eher aus Verantwortungsgefühl. Es sind die notwendigen Frechheiten eines älteren Bruders. Er war ja nicht nur verantwortlich für Hakan, hinzu kamen sechs Halbgeschwister. Zeitweise wohnten sie zu zehnt in einer 3,5-Zimmerwohnung. Dort in Münchenstein, so eine Anekdote, parkierte Yakin sein Auto nicht auf der Strasse, sondern direkt vor dem Haus, was natürlich missfiel. Er sei direkt vors Haus gefahren, weil er ja die schweren Einkäufe für die Grossfamilie tragen musste, so Yakin.



Dabei macht er auch bei körperlicher Anstrengungen bella figura. Als ich jung war, nannte man einen wie ihn «Player». Diesen Typus verkörpert er in dem retro-charmanten Videospott, in dem er für den Autoversicherer wefox wirbt. Yakin hat eine Coolness, die nicht überheblich, und eine Eleganz, die nicht schmierig wirkt, obwohl beides unter anderen Umständen durchaus der Fall sein könnte.

Eine wahre FCB-Legende

Retro-Charme hatte auch seine Nominierung von Fabian Frei im Italien-Hinspiel. Darin zeigt sich Yakins Fähigkeit, von anderen zu lernen. Der 32-jährige Frei, der nie der Schnellste war, aber Übersicht und Einsatzwille hat, verkörpert einen Spielertypus aus einer vergangenen Zeit, kann aber gerade deshalb einer Mannschaft die entscheidende Note geben. Italien wurde mit diesem Konzept Europameister.

Yakin kennt Frei seit seiner Zeit als Trainer beim FC Basel. Der FCB ist das Wichtigste im Fussballerleben von Yakin, drei Meistertitel als Spieler, zwei als Trainer, dazu der FCB als Jugendtraum, so wie die Nati schon sein Erwachsenentraum war, bevor er ihr Trainer wurde.



Man muss sich nur mal seinen Beitrag zur Videoserie «125 Joor FCB» anschauen. Yakin erinnert sich an jede Einzelheit aus den grossen Spielen der Vergangenheit. Auch der Weltstar Ivan Rakitic verblüfft mit Detailkenntnissen zu wichtigen Spielen, die er für den FCB bestritt. Aber während Rakitic vom «St. Jakob Park» spricht, sagt Yakin «Joggeli». Das ist ein Unterschied ums Ganze.

Wo liegt denn nun das «Kilometerwäägli»?

Man nennt so etwas Stallgeruch, was in der Schweiz eine besondere Bedeutung hat. Wenn Yakin neulich in einem Boulevardinterview sagte, er würde die Berge dem Meer vorziehen, dann war das bestimmt nicht gelogen. Wenn er wiederum von seiner halben Kindheit im Oberwallis spricht, wie er mit dem Bruder von Landers, wo der Vater als Schweisser bei Lonza chrampfte, nach Visp das «Kilometerwäägli» gegangen sei, dann wird sogar einem das Herz warm, der das Oberwallis gar nicht kennt.

Mein Herz erkaltete auch dann nicht, als Yakin sich im nächsten YouTube-Video an die andere Hälfte der Kindheit in Münchenstein erinnerte, und wie er dort mit dem Bruder wiederum den Weg von Münchenstein zum Joggeli gegangen ist, und wie sie auch hier wieder das «Kilometerwäägli» genommen hätten. Bei jedem anderen würde ich jetzt denken, Gopfriedstutz, wo liegt dieses «Kilometerwäägli» jetzt eigentlich? Aber bei Murat Yakin sagt man sich, vielleicht heissen die beiden Wege ja tatsächlich gleich, und wenn nicht, ist's auch gut.




Murat Yakin: «Ich gönne mir heute vielleicht auch zwei Zigarren»

Murat Yakin: «Ich gönne mir heute vielleicht auch zwei Zigarren»

«Ich bin dankbar, solche Momente wie diese erleben zu dürfen», sagt Nati-Coach Murat Yakin nach der direkten WM-Qualifikation. Auf eine Frage, ob er sich jetzt eine Zigarre gönne, meint er: «Ja, vielleicht auch zwei.» Na dann, lass sie dir schmecken.

16.11.2021