Jürgen Klinsmann will mit Hertha Berlin nach den Sternen greifen. In dieser Saison geht es aber erst mal um den Klassenerhalt. Ein Selbstläufer wird das nicht, auch nicht mit den «neuen» Millionen.
Klinsmann sieht in Hertha Berlin einen schlafenden Riesen. Jetzt gilt es nur noch, die Spieler wachzurütteln, Langschläfer auszumisten und ein bisschen frisches Blut kann auch nie schaden. Grosse Namen sollen her, die Millionen von Unternehmer Lars Windhorst wollen schliesslich gut investiert sein.
Als Klinsmann als Trainer übernahm, war Hertha mit elf Punkten auf dem Konto im 15. Rang klassiert. Sein erstes Spiel als Trainer verlor er 1:2 gegen Dortmund (Favres gefühlt 30. Schicksalsspiel) und rutschte prompt auf den Relegationsplatz ab. Doch in den folgenden vier Partien bis zur Winterpause kamen acht Punkte hinzu und so steht Hertha bei Halbzeit auf Rang 12.
Der Abstand auf die Abstiegsplätze bleibt klein, jener auf die Europacup-Plätze dagegen gross. Doch genau dort will Klinsmann langfristig hin, nach Europa: «Diese Saison geht es um den Klassenerhalt. Die Zielvorgabe für das nächste Jahr ist Minimum Europa League», sagt der 55-Jährige im Trainingslager in Orlando. «Und hoffentlich werden wir dann eine Saison später noch weiter oben mitspielen». Na ja, der Flughafen Berlin Brandenburg hätte ursprünglich auch im November 2011 eröffnet werden sollen. Am 31. Oktober dieses Jahres soll es nun tatsächlich so weit sein ...
Spass beiseite, wie das klappen kann mit neuen Höhenflügen, haben Vereine wie Hoffenheim, Leipzig oder Mönchengladbach vorgemacht. Klinsmann will es ihnen gleich tun. Aber ist die «blonde Ratte» (Klinsmanns Spitzname aus seiner Italien-Zeit) überhaupt der richtige Trainer für dieses Projekt? Erfolge auf Klubebene kann er nämlich keine aufweisen. Seine erste Station als Profitrainer war jene als Nationaltrainer Deutschlands. Er war der Baumeister des Sommermärchens von 2006. Bei der Heim-WM führte er die DFB-Elf auf Platz drei – Stoff genug für einen Kinofilm.
Klinsmann: «Ich habe 40 Jahre Berufserfahrung»
Nach der WM machte er Platz für Jogi Löw und gönnte sich eine zweijährige Pause, ehe er im Juli 2008 bei Bayern München als Cheftrainer übernahm. Im Cup und der Champions League schied er im Viertelfinale aus und in der Meisterschaft spielte er zwar oben mit, aber nicht ganz oben. Und so wurde er nach dem 29. Spieltag (Bayern lag auf Rang 3, einen Punkt hinter Hertha und drei hinter Wolfsburg) entlassen. Danach blieb er dem Fussball zwar treu, erst als Berater des Managements bei Toronto, dann als Nationaltrainer der USA (Juli 2011 bis November 2016) und nun steht er also bei Hertha an der Seitenlinie und soll den Verein an die Spitze führen. Kann er das überhaupt?
Klinsmann selbst meint ja: «Ich habe 40 Jahre Berufserfahrung. Ich weiss, was im Ausland und in Deutschland abläuft, wie global die Bewegungen sind und wie sich der Fussball weiterentwickelt hat.» Ausserdem sei er immer auf dem neusten Stand und habe sich ein Netzwerk aufgebaut: «Ich kann mir ständig Infos über Spieler in Südamerika, Asien und Afrika einholen. Das ist kein Problem.» Hoffentlich auch über Spieler aus Europa ...
Eins ist klar, am Ende wird der Totomat die Wahrheit ausspucken. Sollten die erhofften (und erwarteten) Resultate ausbleiben und in Berlin nichts Grosses heranwachsen, dann werden seine Worte als Wintermärchen in die Geschichte eingehen. Einen Kinofilm darüber wird es dann aber freilich nicht geben.