Experten schätzen nach Kostenexplosion ein So belastet der Strompreis in der Zukunft das Portemonnaie

Von Stefan Michel

13.5.2024

Grosse Photovoltaik-Anlagen erzeugen auch mal mehr Strom als es braucht. Im Hintergrund raucht das Braunkohle-Kraftwerk Boxberg in Sachsen, Deutschland. 
Grosse Photovoltaik-Anlagen erzeugen auch mal mehr Strom als es braucht. Im Hintergrund raucht das Braunkohle-Kraftwerk Boxberg in Sachsen, Deutschland. 
Bild: IMAGO/Andreas Franke

Immer wieder fallen die Preise an europäischen Strombörsen kurzzeitig unter null. Wer dann Energie bezieht, erhält auch noch Geld dafür. Die Haushalte profitieren davon nur indirekt. Noch lässt sich nicht sagen, ob die Tarife 2025 sinken.

Stefan Michel

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Ein Überschuss an Strom bewirkt an europäischen Strombörsen immer wieder kurzzeitig negative Preise.
  • Hauptursache sind stark schwankende Stromerträge von Solar- und Windkraftwerken.
  • Insgesamt hat sich die Situation am europäischen Strommarkt entspannt.
  • Noch ist aber unklar, ob die Stromtarife in der Grundversorgung 2025 tatsächlich sinken.

Strom verbrauchen und dafür Geld erhalten. Das klingt so realistisch wie Schokolade essen, um abzunehmen. Am internationalen Strommarkt tritt diese Situation aber immer wieder ein. Seit Kurzem auch an Werktagen.

Grund ist ein kurzzeitiges Überangebot an elektrischer Energie. Im Stromnetz muss die eingespeiste Menge immer der gleichzeitig bezogenen Menge entsprechen. Das Übertragungsnetz selber kann keinen Strom speichern.

Dass mehr Strom ins Netz fliesst, als Verbraucher*innen beziehen, liegt wesentlich an der Solar- und Windenergie. Deren Stromproduktion schwankt je nach Wetter und lässt sich etwa gleich präzise voraussagen. Sonne und Wind sind aber nicht alleine schuld am Überangebot, wie Nadine Brauchli vom Schweizerischen Verband der Energieversorger blue News erklärt: «Wenn jene, die einspeisen, entschädigt werden, haben sie wenig Anreiz, ihre Stromerzeugung zu reduzieren oder zu stoppen.»

Kein Interesse Kraftwerke herunterzuregeln

Üblicherweise werden steuerbare Stromkraftwerke «heruntergeregelt», wie es in der Fachsprache heisst, wenn die Nachfrage nach Strom tief ist. Gerade bei Wasser-Speicherkraftwerken geht das relativ einfach. Die Betreiber lassen weniger in die Turbinen fliessen, die Stromproduktion sinkt.

Herunterregeln liessen sich auch Solar- und Windkraftwerke, doch geschieht das nicht immer. Gerade private Kleinst-Anlagen auf Hausdächern beliefern das Netz mit Energie, ob es diese braucht oder nicht. So kommt auf der internationalen Strombörse ein Überangebot zustande, das die Preise sinken lässt. Üblicherweise entsteht die Situation kurzzeitig an Sonn- und Feiertagen und während der Mittagszeit. In den letzten Wochen, aber auch vereinzelt an Werktagen.

Doch weil Netzbetreiber nicht darauf warten können, bis sich Angebot und Nachfrage von alleine wieder ausgleichen, sind sie und die Stromanbieter bereit, jene zu bezahlen, die kurzfristig die überschüssige Energie beziehen. «Es gibt Industrie-Unternehmen, die ihren Verbrauch erhöhen, wenn die Strompreise tief sind, etwa an Wochenenden.» Gibt es aber zu wenig Abnehmer, muss der Strom vernichtet werden, etwa, indem Bahngesellschaften ihre Weichen heizen, obwohl die Lufttemperatur dies überhaupt nicht nötig macht.

Speichern ist auch teuer

Es fragt sich, weshalb überschüssiger Strom nicht gespeichert wird. Nadine Brauchli erklärt: «Batterien können Strom, je nach Grösse, Stunden bis zu einem bis zwei Tage lang speichern.» Auch Pumpspeicherwerke können beigezogen werden. Diese pumpen Wasser in die Stauseen hoch, wenn der Strom günstig ist, um es später wieder zur Stromgewinnung zu nutzen.

Noch in den Kinderschuhen steckt die Elektrolyse, bei der Wasser in Wasserstoff oder später zu Methan umgewandelt wird, wofür es viel Strom braucht. Das so gewonnene Gas lässt sich später wieder zur Stromgewinnung nutzen.

Allen Verfahren zum Abbau eines Stromüberschusses – ob Speicherung oder Verbrauch – ist gemein, dass sie kosten. Zudem sind Speichermöglichkeiten – ob saisonal oder kurzzeitig für ein paar Tage – nicht in ausreichender Kapazität verfügbar. Das drückt den Strompreis an den europäischen Strombörsen immer wieder kurz ins Minus.

Haushalte profitieren nur wenig

Schweizer Privathaushalte können von negativen Strompreisen nicht direkt profitieren, denn sie kaufen ihren Strom nicht an der Börse. «Die Schweizer Grundversorger kaufen ihren Strom langfristig ein und nur in kleinem Mass am Spot-Markt», führt Brauchli aus. Dennoch können die Negativpreise die Gesamtkosten gewisser Anbieter reduzieren und sich so auf die Tarife auswirken.

Ein Stromüberschuss zu gewissen Zeiten bedeutet auch nicht, dass Strom über das ganze Jahr gesehen billiger wird. Das zeigt schon die Tatsache, dass kürzlich das Gegenteil – plötzlich fehlender Solarstrom – für enorme Kosten gesorgt hat. Die Übertragungsnetzbetreiberin Swissgrid musste kurzfristig für Millionen Franken zusätzliche Energie einkaufen, um das Netz stabil zu halten und einen Stromausfall zu verhindern.

Doch insgesamt bewegen sich die Terminpreise nach unten, beobachtet auch Nadine Brauchli: «Die Situation an den europäischen Grosshandelsmärkten hat sich in den letzten Monaten zwar beruhigt, die Marktpreise liegen jedoch noch leicht über dem Vorkrisen-Niveau.» Es sei noch zu früh, um Entwarnung zu geben.

Jedoch sinken die Tarife und Vergütungssätze für das Übertragungsnetz für das Jahr 2025. Dies wegen der tieferen Marktpreise, die die Übertragungsnetzbetreiberin Swissgrid u. a. für die Systemdienstleistung ausgeben muss. Diese Leistungen sind nötig, um die Netze stabil zu halten. 

Auch die Kosten für die Stromreserve lagen im Winter 2023 – 24 tiefer, was sich ebenfalls auf die Tarife für das Übertragungsnetz auswirkt. Die Kosten von Swissgrid sind eine Komponente des Netznutzungstarifs, der 37 Prozent des Strompreises in der Grundversorgung ausmacht.

Stromtarife könnten 2025 sinken

Dies reicht aber nicht zwingend, damit die Stromtarife 2025 insgesamt tiefer liegen als 2024. Bis Ende August müssen die Versorgungs-Unternehmen ihre Tarife für das kommende Jahr bekannt geben.

Aktuell zeigt der Trend am Markt zwar nach unten, doch die aktuelle Stabilisierung dürfte sich erst verzögert auf die Strompreise in der Grundversorgung auswirken. Da die meisten Grundversorger den Strom in Tranchen über mehrere Jahre gestaffelt einkaufen, können die rekordhohen Marktpreise von 2022 und 2023 auch noch die Strompreise im Jahr 2025 beeinflussen.

Weniger Preisbewegung haben weiterhin jene zu befürchten, deren Stromversorger die Energie zu einem wesentlichen Teil in eigenen Werken erzeugen. Diese haben ihre Tarife in den letzten zwei Jahren weniger stark angehoben als jene, die vor allem Strom einkaufen und an ihre Kundschaft weiterverkaufen. Sinkt der internationale Marktpreis aber unter die Gestehungskosten des «Schweizer Stroms», profitieren jene, deren Anbieter vor allem Strom ein- und weiterverkaufen.

Weniger Preisbewegung haben weiterhin jene zu befürchten, deren Stromversorger die Energie zu einem wesentlichen Teil in eigenen Kraftwerken erzeugen. Diese haben ihre Tarife in den letzten zwei Jahren – wenn überhaupt – weniger stark angehoben als jene, die vor allem Strom am Markt einkaufen und an ihre Kundschaft weiterverkaufen. Sinkt der internationale Marktpreis aber unter die Gestehungskosten des «Schweizer Stroms», profitieren wieder jene, deren Anbieter vor allem am Markt Strom ein- und weiterverkaufen.

Einen Einfluss auf die Tarife hat auch das Stromgesetz, über das die Schweiz am 9. Juni abstimmt. Das Gesetz schreibt den Grundversorgern eine risikoarme Strombeschaffung vor. Dies soll die Tarife von Jahr zu Jahr weniger schwanken lassen. 

Weil das Stromgesetz Beschaffungsvorgaben für Grundversorger vorgibt, erwartet Nadine Brauchli, dass sich die Tarife der Grundversorgung zwischen den verschiedenen Grundversorgern angleichen werden.

Auf die Tarife 2025 hat das Stromgesetz noch keinen Einfluss. Zurzeit spricht vieles für sinkende Strompreise. Doch die Weltpolitik kann jederzeit weitere Unruhe in den Energiemarkt bringen. Dann sieht wieder alles anders aus.


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