Ferien mit EkelfaktorAlgenschleim vermiest den Badespass an der Adria
Von Christoph Sator, dpa
26.7.2024
Auf Italienisch klingt das gut: Mucillagine. Aber der glibbrige Schaum kann einem das Bad im Meer komplett verleiden. Die Hoteliers in Rimini & Co. hoffen, dass die Plage bald vorbei ist. Und nicht nur sie.
Von Christoph Sator, dpa
26.07.2024, 22:24
27.07.2024, 07:50
Gabriela Beck
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
An der Meeresoberfläche treibender Algenschleim beeinträchtigt in der Adria aktuell das Badevergnügen.
Er ist zwar nicht giftig oder gesundheitsschädlich, aber ekelig.
Der Grund: Bei 30 Grad Wassertemperatur wie zuletzt gemessen, vermehren sich gewisse Algenarten explosionsartig.
Dazu kommt: der Fluss Po spült enorme Mengen Düngemittel, Pestizide und Fäkalien aus der Landwirtschaft in die Adria.
Die Folge: Hoteliers bangen um ihre Einnahmen in der Hauptsaison, Fischer bleiben mit kleinen Booten in der schleimigen Masse stecken.
Die Adria, das Stück Mittelmeer zwischen Italien und dem ehemaligen Jugoslawien sowie Albanien, gehört alles in allem nun eher zu den friedlichen Meeren. Kein Vergleich etwa mit dem Atlantik oder dem Pazifik, die sehr gewaltig werden können. Im Moment allerdings braucht es an der einen oder anderen Stelle der Adria doch einiges an Überwindung, um ins Wasser zu gehen. Was weniger an den Wellen liegt, sondern vielmehr an: Algenschleim.
An verschiedenen Stränden in Italien, aber auch in Kroatien oder Slowenien, treibt dieses Jahr ein glitschig-glibbriger Schaum an der Oberfläche, mal mehr, mal weniger dick, durchsetzt mit kleinen Bläschen. Manchmal sind es nur kleinere Flecken mit viel Platz dazwischen, manchmal aber auch ein dichter Teppich. Die Farbe changiert von Weiss über Gelb bis ins Bräunliche. Wer es freundlich meint, sagt kaffeebraun. Die Gesundheit gefährdet der Schleim nach einhelliger Einschätzung der Wissenschaft nicht. Giftig ist er schon gar nicht.
Nach dem Bad im Meer ein- oder zweimal unter die Dusche
Den Anfang nahm die Plage vor ein paar Wochen im Norden, im Golf von Triest. Inzwischen sind weitere Städte betroffen, Ravenna zum Beispiel, die Urlauberhochburg Rimini oder Ancona, noch weiter unten im Süden. Am dortigen Stadtstrand ergab eine Umfrage von Italiens öffentlich-rechtlichem Fernsehsender Rai nahezu unisono: Man kann durchaus ins Wasser, muss aber anschliessend unbedingt unter die Dusche. «Klebrig», meint einer der Einheimischen. Andere klagen darüber, dass es ziemlich kribbelt auf der Haut.
Mit Algenschleim – oder auch «Meeresrotz», wie manche sagen – haben die Leute hier Erfahrung. Ende der 1980er, Anfang der 1990er war es schon einmal schlimm. Mehrere Jahre hintereinander verdarb die Mucillagine, wie das auf Italienisch heisst, damals das Sommergeschäft. Auch 2006/07 war der Ekelfaktor recht hoch. Bislang war dann nach einigen Tagen oder Wochen aber stets alles wieder vorbei. Jetzt, in der Hauptsaison, sind die Sorgen natürlich besonders gross. Wer mit Urlaubern sein Geld verdient, will am liebsten gar nicht über Algenschleim sprechen.
«Schmutziges Meer» schon vor Jahrhunderten
Aber eigentlich ist das Phänomen viel älter als der Massentourismus. Einer der Ersten, dem es nachweislich auffiel, war der Zisterziensermönch Paolo Boccone. Der passionierte Botaniker notierte an den Stränden vor Venedig in der Adria schon 1697 «Reste von verflochtenen und verwobenen Fasern, bedeckt mit Schleim». In der Fachliteratur gibt es dafür schon seit anderthalb Jahrhunderten auch den Begriff «mare sporco» («schmutziges Meer»). Auf alten Fotos aus der Anfangszeit des Tourismus sind Männer in Badeanzügen und Frauen mit Hut und Schirm zu sehen, die sich ob des Gestanks am Strand die Nase zuhalten.
In all der Zeit hat aber noch niemand eine alle überzeugende Erklärung gefunden, warum es in der Adria – woanders übrigens nicht – manchmal solchen Schleim gibt und sie dann wieder längere Zeit verschont wird. Vermutet wird, dass besonders heisse Sommer mit folglich hohen Wassertemperaturen in dem verhältnismässig kleinen Meer das Wachstum begünstigen – der Klimawandel also? Der Meeresbiologe Roberto Danovaro von der Universität Ancona sagte der Tageszeitung «La Repubblica»: «Die Adria ist ein tropisches Meer geworden. Wir sind jetzt auf dem Niveau der Malediven, nur ohne die tropische Farbe.»
Tropische Temperaturen lassen Algen blühen
Vor einigen Tagen wurden tatsächlich 30 Grad Wassertemperatur gemessen – Badewanne nahezu. Dann vermehren sich manche Algenarten besonders gut. Vermutet wird auch, dass der viele Regen dieses Frühjahr ungewöhnlich viel Wasser ins Meer gespült hat, was zur Algenblüte beiträgt. Sicher ist, dass Italiens längster Fluss, der Po, enorme Mengen Düngemittel, Pestizide und Fäkalien aus der Landwirtschaft in die Adria spült. «Wenn alle diese Faktoren zusammenkommen, können aus einigen Hundert Algen innerhalb weniger Tage Hunderte Millionen werden, sagt Danovaro.
Neben dem Tourismus gibt es eine weitere Branche, die besonders leidet: die Fischerei. Wegen des Schleims kommen manche kleinere Boote überhaupt nicht mehr aufs offene Meer hinaus: Die Schiffsschrauben schaffen das nicht. Wenn es doch geht, müssen mechanischen Teile oft in mühevoller Arbeit vom Schleim gereinigt werden. Zudem gibt es immer wieder Schäden an den Netzen. Der Branchenverband Fedagripesca forderte deshalb diese Woche Hilfe vom Staat und die Einsetzung einer Expertenkommission.
Bei all den Klagen ist Meeresbiologe Danovaro optimistisch: Alles in allem sei die Adria heute weniger verschmutzt als noch vor 40 Jahren, sagt er. Zudem haben die Forscher festgestellt, dass der Algenschleim derzeit an vielen Stellen quasi schmilzt und sich in weisse Flocken auflöst – ein Zeichen, dass Bakterien im Meer dabei sind, ihn zu zersetzen. Vielleicht sogar noch, bevor die grosse Menge der Urlauber kommt.