Gespaltene SVP Parteispitze rückt von Nein zur Gesundheitsreform ab

alu/tpfi

11.10.2024

An der SVP-Delegiertenversammlung am 12. Oktober 2024 in Aarau stimmen die Delegierten über die Parolenfassung bei der Gesundheitsreform ab.
An der SVP-Delegiertenversammlung am 12. Oktober 2024 in Aarau stimmen die Delegierten über die Parolenfassung bei der Gesundheitsreform ab.
Keystone

Am 24. November findet die Volksabstimmung zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) statt. Dabei geht um die einheitliche Finanzierung der Leistungen. Bei der SVP sind sich die Mitglieder uneinig – die Parteispitze votiert nun doch für die Stimmfreigabe.

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Am 24. November 2024 findet die Volksabstimmung zur KVG-Änderung statt.
  • Mit der Gesetzesänderung soll die einheitliche Finanzierung von Leistungen im Gesundheitswesen eingeführt werden.
  • Im aktuellen System beteiligen sich die Kantone nur an den Kosten von stationären Behandlungen, bei ambulanten Behandlungen fallen die gesamten Kosten auf die Krankenversicherer.
  • Die Vorlage wurde von der Mehrheit des Parlaments angenommen – auch von der SVP-Fraktion. Die Parteispitze rund um SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi stellt sich dagegen.
  • Die Nein-Parole der Parteispitze führt parteiintern zu Unstimmigkeiten, diese sollen an der Delegiertenversammlung am 12. Oktober ausdiskutiert werden.
  • Nun schwenk die Parteispitze aber doch noch um – und empfiehlt den Delegierten die Stimmfreigabe.

Seit über einem Jahrzehnt diskutieren der Bundesrat und das Parlament über eine Gesundheitsreform. Der Grund dafür sind die unterschiedliche Finanzierung der Leistungen und die damit verbundenen Kosten.

Im aktuellen System beteiligen sich die Kantone mit Steuergeldern an 55 Prozent der Kosten von stationären Behandlungen mit Übernachtung im Spital. Die restlichen 45 Prozent übernehmen die Krankenversicherer.

Bei ambulanten Behandlungen fallen 100 Prozent der Kosten auf die Krankenversicherer, was eine Erhöhung der Prämien zur Folge hat. Pflegeleistungen zu Hause oder im Pflegeheim werden zu rund 54 Prozent von den Patient*innen und Krankenversicherer getragen. Der Rest wird vom Wohnkanton mit Steuergeldern gedeckt. 

Tiefere Kosten und Verbesserung der Versorgungsqualität

Stationäre Behandlungen haben höhere Kosten, aber werden dennoch ambulanten Behandlungen bevorzugt. Dies, obwohl viele der Behandlungen sowie operativen Eingriffe günstiger ambulant gemacht werden könnten, wie der Berufsverband der Schweizer Ärzte schreibt.

Die gesamte Kostenübernahme und die drohende Prämienerhöhung schrecken vor ambulanten Behandlungen ab. Weshalb das Parlament im Dezember 2023 die KVG-Änderung verabschiedet hat. Am 24. November 2024 findet nun die Volksabstimmung zur einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (Efas) statt. 

Mit dieser Reform sollen die Kantone unabhängig von der Leistung mindestens 26,9 Prozent der Kosten übernehmen. Die restlichen 73,1 Prozent sollen von den Krankenversicherern getragen werden.

Die einheitliche Finanzierung der Leistungen soll die «medizinisch sinnvollste und günstigste Behandlung fördern». Ausserdem soll damit auch die Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Therapeuten, Spitälern und Pflegeheimen gefördert werden. So sollen Gesundheitsprobleme rascher erkannt, unnötige Behandlungen vermieden und die Versorgungsqualität verbessert werden.

Wie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) weiter schreibt, soll mit der besseren Koordination auch das Kostenwachstum gedämpft werden. Eine vom BAG beauftragte Studie schätzt das jährliche Sparpotenzial auf rund 440 Millionen Franken.

Mehrheit für die Gesundheitsreform – SVP-Parteispitze nicht

Die Reform findet nicht nur bei Ärzten, Spitälern oder Krankenversicherern Zuspruch, sondern auch bei den Parteien, die die Reformvorlage im Parlament im letzten Dezember angenommen haben.

Dazu gehörte auch die Mehrheit der SVP-Fraktion. Wie nun aber verschiedene Medien berichten, habe der Parteileitungsausschuss rund um SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi einstimmig die Nein-Parole beantragt.

Gemäss der «Aargauer Zeitung» begründet Aeschi das «Nein» der Parteileitung damit, dass sich die Kantone und Gemeinden im Bereich der Langzeitpflege auf Kosten der Prämienzahler entlasten würden. Ausserdem seien die Leistungserbringer für die Reform, weil sie von der Ausgabenseite nicht tangiert werden.

Damit sind verschiedene kantonale Sektionen nicht einverstanden, unter anderem die grösste SVP-Sektion des Kantons Zürich. Dazu kommt, dass sechs SVP-Regierungsräte, die in den Kantonen Zürich, Bern, Aargau, Freiburg, Thurgau und Uri die Gesundheitsdirektion führen, in einem Brief die Mitglieder dazu aufrufen, der Gesundheitsreform zuzustimmen.

Die einheitliche Finanzierung würde den Fehler korrigieren, dass die günstigeren ambulanten Behandlungen dem Prämienzahler mehr kostet, weil sich die Kantone und Gemeinden nicht an den Kosten beteiligen.

Kurswechsel vor dem Showdown

Am Freitagnachmittag folgte doch noch die Kehrtwende. Parteileitung und der grosse Vorstand der SVP empfehlen nun stattdessen die Stimmfreigabe, berichtet der «Blick».

Laut der «Aargauer Zeitung» fiel das Resultat denkbar knapp aus: Bei der Abstimmung kam es zu einem Patt. Zuletzt sprach Parteipräsident Marcel Dettling ein Machtwort und schlug sich schliesslich auf die Seite der Stimmfreigabe.

Auch Parteivater Christoph Blocher meldete sich am Freitag in seiner eigenen Fernsehsendung «Tele Blocher» zu Wort und sprach sich für die Gesundheitsreform aus.

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