Experten ordnen einDarum will die Generation Z kein Geld sparen
Lea Oetiker
11.10.2024
Jugendliche wissen nicht, wofür sie eigentlich noch sparen sollen. Ein Haus kaufen sei sowieso viel zu teuer und bis sie alt sind, sei auch die Pensionskasse bereits leer. Ist dieser Pessimismus berechtigt?
Lea Oetiker
11.10.2024, 23:58
12.10.2024, 13:30
Lea Oetiker
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Jugendliche sind pessimistisch dem Sparen gegenüber. Das ist unter anderem auf Krisen, die Komplexität des Vorsorgesystems und gesellschaftliche Veränderungen zurückzuführen.
Auch der Traum vom Eigenheim scheint für sie zu platzen.
Lohnt sich Geldsparen also noch? Der Soziologe Sandro Cattacin und Vorsorge- und Anlageberater Tashi Gumbatshang schätzen die Situation für blue News ein.
Als junger Mensch gibt es gewisse Sätze, die man besonders häufig hört. Sätze, die die Hoffnungslosigkeit der heutigen Jugend zum Ausdruck bringen. Einer davon lautet:
«Wenn wir alt sind, bekommen wir sowieso keine Rente mehr.»
Wofür also dann noch Geld sparen?
Laut dem Soziologen Sandro Cattacin ist dieser Pessimismus nicht neu oder eine typische Eigenschaft der Generation Z. Er erklärt blue News, dass Jugendliche oft noch nicht sehr zukunftsorientiert sind und eher im Hier und Jetzt leben.
«Das Sparen von Geld ist eine rationale Angelegenheit, während Jugendliche häufig noch von starken Emotionen getrieben sind», erklärt der Soziologe. Ein Muster, das sich seit Jahrzehnten wiederhole. «Wenn man Glück hat, übernehmen Eltern oder Grosseltern in dieser Zeit das Sparen für ihre Kinder.»
Klimawandel, Krieg und Krisen machen wenig Hoffnung
Krieg, Klimawandel und grosse Ungleichheiten spielen heute eine grosse Rolle für das Zukunftsbild junger Menschen. «Man hat dadurch Mühe, sich in die Zukunft zu projizieren», erklärt Cattacin. Wer weiss schon, was in ein paar Tagen, geschweige in einem Jahr passiert? Hinzu kommen gesellschaftliche Dynamiken, bei denen sich vieles ständig verändert, besonders in Bezug auf die Arbeit und Ausbildung.
Der Trend, dass Jugendliche weniger weit in die Zukunft denken, lässt sich laut Cattacin bis in die 1970er-Jahre zurückverfolgen. «Zuvor ging man davon aus, dass es der nächsten Generationen immer besser gehen würde, was langfristiges Planen erlaubte: Studieren, Job, Familie gründen, ein Auto kaufen und vielleicht ein Haus erwerben», sagt Cattacin.
Doch dann kam der Umbruch: Das Wirtschaftswachstum verlangsamte sich, neue soziale Bewegungen entstanden und die Gesellschaft wurde zusehends komplexer und unberechenbarer. Diese Veränderungen brachten Vorteile und Nachteile mit sich. Einerseits gewannen die Menschen mehr Freiheit und Individualismus. Andererseits nahm die Unsicherheit zu und die soziale Ungleichheit wuchs. So verlor die Mittelschicht an Kaufkraft, während der Unterschied zwischen Arm und Reich grösser wurde.
Ein komplexes Vorsorgesystem
Ein weiterer Faktor, der dazukommt: die Komplexität des Vorsorgesystems. «Wenn ich mit Jugendlichen spreche, spreche ich nicht mit ihnen über die AHV. Viele wissen gar nicht, was die Abzüge auf dem Lohnausweis bedeuten.» Bei denen, die tatsächlich Bescheid wissen, handle es sich vermutlich um eine kleine homogene Gruppe.
Cattacin findet überdies auch, dass Sparen nicht ausreichend gesetzlich unterstützt werde. Zudem habe man den Bezug zum Geld verloren: «Es scheint mir, dass die Digitalisierung den Bezug zum Geld verändert hat. Man sieht das Geld gar nicht mehr im Portemonnaie verschwinden.»
Der Soziologe schlägt vor, das Vorsorgesystem verständlich für alle zu gestalten und den Koordinationsabzug zu senken, damit junge Menschen mit tiefen Löhnen früher mit dem Sparen beginnen können. Er fordert auch staatliche Unterstützung über Steuererleichterung für junge Erwachsene.
Der zweite Satz, denn man immer wieder zu Ohren bekommt:
«Wir können uns eh kein Haus mehr leisten.»
Tashi Gumbatshang ist Leiter des Kompetenzcenters für Vermögens- und Vorsorgeberatung bei der Raiffeisen Bank. Er erzählt blue News, dass viele junge Menschen durchaus noch den Traum vom Eigenheim haben: «Unsere jährlich durchgeführte Bevölkerungsumfrage zum Thema Vorsorge zeigt, dass immerhin noch 20 Prozent der 18- bis 30-Jährigen für eine eigene Immobilie sparen.» Häufig sei dieses Sparziel mit dem Einbezahlen in die dritte Säule verbunden.
«Die Immobilienpreise sind besonders in den Ballungszentren in den letzten Jahren stark gestiegen. Ob sich dieser Trend linear fortsetzt, ist ungewiss», so Gumbatshang. Faktoren wie die Einwanderung und die wirtschaftliche Entwicklung werden den Immobilienmarkt künftig beeinflussen.
«In der Schweiz werden jährlich 90 Milliarden Franken vererbt»
Ein Aspekt, der in dieser Diskussion aber oftmals untergehe, ist laut dem Vorsorgeexperten die Erbschaft: «Jährlich werden in der Schweiz rund 90 Milliarden Franken vererbt. Viele Menschen können sich den Kauf einer Immobilie erst durch eine Erbschaft oder einen Erbvorbezug leisten.» Dies sei auch in früheren Generationen nicht unüblich gewesen.
Aber ist das nicht ein Privileg, welches nur wenige Menschen geniessen? «Doch», meint Gumbatshang. «Wächst eine Person in ärmeren Verhältnissen auf, in denen die Eltern auch kein Haus besitzen, wird es schwierig, an ein Eigenheim zu kommen.»
Sparen ist mit Zukunftsoptimismus verbunden
Nichtsdestotrotz hat Gumbatshang Verständnis für den Sparpessimismus von jungen Menschen. «Die Zukunft ist viel zu weit weg. Und Sparen ist oftmals auch mit Zukunftsoptimismus verbunden.» Aktuelle Krisen tragen dazu bei, dass die Zukunft für viele junge Menschen zunehmend unsicher scheint.
Was aber auffällt: «Je älter die jungen Erwachsenen werden, desto mehr Interesse am Geldsparen haben sie», so Gumbatshang. 78 Prozent der 18- bis 30-Jährigen sparen primär, um ihren Lebensstandard später aufrechterhalten zu können, wie der Raiffeisen-Vorsorgebarometer 2024 zeigt. Der am zweitmeisten genannte Grund ist, um Steuern zu sparen. Zahlt man in die dritte Säule ein, kann man den Betrag nämlich von den Steuern abziehen.
Zudem sei Geldsparen auch einfach wichtig, denn: «Die Menschen, die heute jung sind, werden auch einmal alt sein. Und vermutlich werden sie dann mit den gleichen Problemen konfrontiert sein, wie alte Menschen heute. Nämlich, dass sie schauen müssen, dass sie genügend finanzielle Polster haben, um im Alter ohne regelmässiges Einkommen über die Runden zu kommen.» Zudem ist die Lebenserwartung für die jungen Menschen heute höher: «Das angesparte Geld muss also länger reichen als bei den Menschen, die heute alt sind», so Gumbatshang.
Mehr Videos aus dem Ressort
«Es gibt Armut in der Schweiz, das wollen viele nicht wahrhaben»
Die Armut ist hierzulande kaum sichtbar. Aber es gibt sie. Betroffene haben oft das Gefühl, von einer ansteckenden Krankheit befallen zu sein. «blue News»-Redaktor Bruno Bötschi besuchte eine Abgabestelle der Lebensmittel-Hilfe Tischlein deck dich.