Ehe für alle «Haben nichts schriftlich festgehalten» – Lesben über ihre Samenspende

Von Anna Kappeler

3.6.2020

Ein lesbisches Paar mit ihrem Kind auf einem Spielplatz in Zürich.
Ein lesbisches Paar mit ihrem Kind auf einem Spielplatz in Zürich.
Bild: Keystone

Samenspenden sind für homosexuelle Paare in der Schweiz verboten – die Ehe für alle würde das ändern. Doch deren Beratung im Nationalrat wird verschoben. Eine Enttäuschung für zwei betroffene lesbische Paare. Ein intimer Einblick in ihre Leben.

Sie sind enttäuscht. «Wir haben gehofft, dass die Entscheidung die aktuelle Schwangerschaft eventuell noch direkt betroffen hätte», sagt Lina* am Telefon. «Jetzt heisst es weiter warten.» Paula* hört zu, ergänzt hier und da. Heute Mittag hat der Nationalrat die Diskussion zur Ehe für alle verschoben, auf unbestimmt.

Lina und Paula sind seit vier Jahren zusammen, Lina ist im sechsten Monat schwanger – es wird beider erstes Kind sein. Entstanden ist es durch Samenspende. Von der Politik haben sich die beiden eine Elternschaft ab Geburt erhofft.

Sorge vor Behörden-Willkür

Warum? «Meine Partnerin hat als Nicht-leibliche-Mutter im ersten Lebensjahr des Kindes keine Rechte.» Das Kind hat Lina als leibliche Mutter, der Vater ist unbekannt. «Sollte mir oder dem Kind etwas passieren, sind wir auf das Wohlwollen der Behörden angewiesen, dass sie so entscheiden, wie wir uns das vorstellen», sagt Lina. Sprich: «Dass unser Kind bei meiner Partnerin bleiben darf.»

«Sollte mir oder dem Kind etwas passieren, sind wir auf das Wohlwollen der Behörden angewiesen. Meine Partnerin hat keine Rechte.»

Dazu muss man wissen: Selbst mit der seit 2018 erlaubten Stiefkind-Adoption können homosexuelle Paare eine Adoption erst nach einem Jahr beantragen. Und: «Hierfür müssen wir zahlreiche Hürden nehmen und Nachweise für körperliche und mentale Gesundheit erbringen», sagt Lina.

«Besuch von der Kesb – wie absurd»

Die parlamentarische Debatte verfolgt hat auch die 37-jährige Désirée*. Sie lebt in einer eingetragenen Partnerschaft und hat zusammen mit ihrer Partnerin zwei Töchter. Beide Frauen haben je ein Kind ausgetragen, entstanden ist auch ihr Nachwuchs durch Samenspende. 

Désirée und ihre Partnerin entscheiden sich für eine private Samenspende. «Wir kennen den Mann. Er kam zu uns heim und hat uns per Becher seinen Samen geschenkt», sagt Désirée in ihrer Mittagspause via Handy. Die Beziehung mit dem Mann beruhe auf Vertrauensbasis. «Wir haben bewusst nichts schriftlich festgehalten, falls die Behörden nachfragen würden.»

Offiziell gilt auch hier: Vater unbekannt. «Die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde Kesb hat nach der Geburt einen Beistand ernannt, und die Behörde machte einen Hausbesuch, um zu schauen, ob es unsere Kinder gut haben bei uns. Wie absurd.»

«Die Kesb machte einen Hausbesuch, um zu schauen, ob es unsere Kinder gut haben bei uns. Wie absurd.»

Es folgen weitere Hürden. «Mein biologisches Kind hatte jahrelang meinen Ledignamen, obwohl wir in einer eingetragenen Partnerschaft mit einem Familiennamen leben.» Désirée musste fünf Jahre warten bis sie nach der Stiefkind-Adoption durch ihre Partnerin, im Pass des Kindes den Familiennamen nachtragen durfte.

«Spender kann Vaterschaft einklagen»

Auch Lina findet über die Samenspende: «Es wird höchste Zeit, dass diese in der Schweiz erlaubt wird.» Die aktuell geltende Zweiklassengesellschaft sei weder fair noch zeitgemäss. 

Die Kinderfrage hat sich Lina erst mit Paula gestellt. «Unser Umfeld und unsere Familien haben sehr offen reagiert auf unseren Kinderwunsch. Schwierig finde ich eher die gesellschaftlich-rechtliche Diskriminierung.»



Anfangs haben sie sich überlegt, einen Mann aus dem Umfeld oder auch ein schwules Paar als Samenspender anzufragen. Doch sie wünschten sich keine erweiterte Familie. «Zudem kann der Spermaspender aufgrund der derzeitigen gesetzlichen Regelung die Vaterschaft einklagen.»

Also der Entscheid für eine Samenbank in Dänemark. Details zum Vorgang sind für Lina und Paula privat und möchten sie für sich behalten. Nur so viel: «Diese sogenannte Selbstbehandlung war für uns wichtig, weil keine Ärzte nötig sind. Sie erlaubt Intimität.»

Wichtig ist ihnen: «Wir haben einen ‘Ja-Spender’ gewählt. Das heisst, unser Kind hat ab 18 Jahren die Möglichkeit, den Spender zu kontaktieren und kennenzulernen.» Im Ausland seien anonyme Samenspenden im Gegensatz zur Schweiz noch immer möglich. «Somit ist dies ein weiteres Argument für ein Ja zur Vorlage.»

«Künftig bitte keine Einblicke ins Schlafzimmer mehr»

Es kostet Lina Überwindung, solche intimen Fragen öffentlich zu beantworten. «Doch diese Aufklärungsarbeit gehört für uns dazu, wenn man eine Regenbogen-Familie gründen will.» Und: «Ich stehe zu dem, was wir machen, denn ich bin überzeugt, dass unsere Kinder in einer liebevollen Familie grosswerden.» Lina wäre gleichwohl froh, wenn sie künftig «nicht mehr über solche intimen Einblicke in unser Schlafzimmer berichten müsste und auch Regenbogen-Familien in der Gesellschaft breit akzeptiert und gleichgestellt» würden.



Zumal geplant ist, dass Paula später ebenfalls ein Kind für die beiden austragen wird. «Weil ich älter bin, habe ich angefangen», sagt Lina.

«Frage nach 'echter' Mutter beantworten wir nicht»

Die ältere Tochter von Désirée und ihrer Partnerin ist acht Jahre alt und geht in die zweite Klasse, die jüngere ist sechs, besucht den Kindergarten. Heute hat die Familie losen Kontakt mit den Samenspendern. Da eine Frau Europäerin, die andere Asiatin ist, hätten sie zwei unterschiedliche Spender gewählt, «so dass die Geschwister beide Wurzeln von uns Mütter in sich tragen».

«Die Kinder wissen, dass es zwei Männer gibt, die dabei geholfen haben, dass sie entstehen konnten.»

Würden sich die Kinder von sich aus für die Spender interessieren, könnten sie diese kennenlernen. «Sie haben bisher aber nicht danach gefragt, das scheint sie nicht gross zu beschäftigen» sagt Désirée. «Sie wissen, dass es zwei Männer gibt, die dabei geholfen haben, dass sie entstehen konnten.»

Das Umfeld reagiere gut, sagt Désirée. «Nur manche wollen wissen, wer die ‘echte’ Mutter ist – diese Frage beantworten wir nicht. Beide sind die Mütter.» Bei Lehrpersonen gingen sie proaktiv vor. «Wir informierten von Anfang an offen und verteilten Informationsbroschüren.» Damit seien sie gut gefahren. «Weil die Norm sind zwei Mütter ja schon noch nicht.» Die Kinder und deren Gspänli fänden es übrigens cool, zwei Mütter zu haben.

* Namen geändert und der Redaktion bekannt.

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