Kritik SBB befördert wieder nur Männer - jetzt fordern Mitarbeitende Frauenquote

Von Jennifer Furer

28.5.2020

Andreas Meyer gab Ende März sein Mandat als CEO der SBB an Vincent Ducrot ab. 
Andreas Meyer gab Ende März sein Mandat als CEO der SBB an Vincent Ducrot ab. 

In der Konzernleitung der SBB sitzen nur Männer. Nun wurde ein Platz frei – diesen besetzt wiederum ein Mann. Kritiker werfen dem Staatsbetrieb vor, seine Vorbildfunktion nicht wahrzunehmen. Selbst die SBB ist unzufrieden.

Andreas Meyer gab Ende März sein Mandat als CEO der SBB ab. Es folgte Vincent Ducrot. Jacques Boschung verlässt Ende Mai die Konzernleitung. Er war als Leiter Infrastruktur tätig. Es folgt der bisherige IT-Chef Peter Krummer. Und: Den neu geschaffenen Bereich «Kunden» übernimmt neu Mathieu Fleury.

Auffallend: Beförderungen in Kaderfunktionen geniessen bei der SBB derzeit ausschliesslich Männer. In der Konzernleitung sitzt keine Frau, im Verwaltungsrat sind es drei von neun –  eine davon, Monika Ribar, sitzt diesem vor.

Im Topkader der SBB liegt der Frauenanteil insgesamt bei 22,4 Prozent, im Kader bei 13,1 Prozent und über die ganze SBB bei 17,7 Prozent. Im Jahr 2011 lag dieser Wert bei 14,5 Prozent.

Damals kommunizierte die SBB, dass die SBB-Konzernleitung und der SBB-Verwaltungsrat beschlossen haben, den Frauenanteil zu steigern. Die Strategie: Bei jeder Stellenneubesetzung muss eine Frau in die Schlussrunde der Bewerbenden genommen werden. Gelingt dies nicht, müssen die Verantwortlichen dies begründen. In einigen Berufsgruppen, beispielsweise bei den Rangierarbeitern, gilt die Regelung nicht.



Die SBB hat eine Steigerung des Frauenanteils zwar erreicht. Jedoch ist dieser in manchen Augen immer noch zu tief. Und auch die jetzigen Neuanstellungen sorgen für Kritik – so etwa bei der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV, der unter anderem die Anliegen der SBB-Mitarbeitenden vertritt.

SBB erhält Gleichstellungslabel

Vizepräsidentin Barbara Spalinger meint zwar, dass sich der SEV grundsätzlich nicht oder nur sehr zurückhaltend zu Personalentscheiden der SBB-Spitze äussert. Sie findet aber für das Vorgehen der SBB, die Konzernleitung rein männlich zu besetzen, deutliche Worte: «Wir finden es – auch wenn die Eisenbahn eine sehr männerlastige Branche ist –, sehr bedauerlich, dass es so ist.» Es gäbe in dieser Konzernleitung gut Platz für mehrere Frauen.

Die SBB als Staatsbetrieb trage eine Verantwortung und habe eine Vorbildfunktion inne. «Würde sie wirklich wahrgenommen, so liessen sich Frauen finden», sagt Spalinger.

Die SBB bekenne sich zwar zur Diversität und es seien in den letzten Jahren auch einige Anstrengungen im Bereich Gleichstellung unternommen worden. Im März 2019 erhielt sie sogar das Gleichstellungs-Label «Swiss LGBTI Label».

Markus Jordi, Mitglied der Konzernleitung und Leiter Human Resources schrieb damals auf der SBB-Website als Reaktion auf die Auszeichnung: «Vielfalt ist unsere Stärke. Sie ist das Abbild unseres Landes und deshalb für uns besonders wichtig.»

Quote für Verwaltungsrat existiert

Spalinger vom SEV sagt, dass sich im oberen Management auch bei der SBB zeige, dass der «strukturelle Zufall» stärker sei als alle Bekenntnisse. «Angesichts dieses hartnäckigen strukturellen Zufalls wünscht sich die Gewerkschaft eine Quote.» Bisher ist eine solche und eine ausgewogene Geschlechterverteilung nirgends gesetzlich verankert – auch nicht im Gleichstellungsgesetz. 

Hanna Jordi, Sprecherin des Eidgenössisches Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG, sagt, dass der Bundesrat aber für die bundesnahen Unternehmen für die obersten Leitungsorgane – den Verwaltungs- und Institutsrat – eine Zielquote von 30 Prozent für die Vertretung der beiden Geschlechter festgelegt hat.

«Diese Ziele müssen bis Ende 2020 erreicht werden», so Jordi. Die Werte würden jährlich im Kaderlohnreporting des Bundesrates ausgewiesen und überprüft. Die SBB erfüllt die Vorgabe, weil im Verwaltungsrat 33 Prozent Frauen sitzen. «Für die Konzernleitung gilt diese Vorgabe hingegen nicht», sagt Jordi.

Frauensicht einbringen

SP-Nationalrätin Tamara Funiciello prüft nun politische Schritte. «Denn wo es nicht freiwillig geht, braucht es einen politischen Hebel.» Sie fordert wie Spalinger vom SEV eine Frauenquote.

«Statistiken zeigen: In Unternehmen, die eine Quote einführen, spült es nicht die guten Männer weg, sondern die mittelmässigen», so Funiciello. Und das sei der Punkt. «Wir haben derzeit ganz viele mittelmässige Männer an wichtigen Positionen, weil der Vorgesetzte dazu tendiert, eine Person nachzuziehen, die ihm ähnlich ist.»

Funiciello ist der Überzeugung, dass Frauen in allen Unternehmen in der Führung angemessen vertreten sein müssen. «Nur so können die Anliegen der Frauen eingebracht, wahrgenommen und umgesetzt werden.» Sässen nur Männer in Kaderpositionen, würde die Sicht der Frauen – und somit des Grossteils der Bevölkerung – untergehen. Das sei besonders bei einem Unternehmen, das Service Public anböte, fatal.

Gerade nach dem Frauenstreik letztes Jahr sei die Vorgehensweise der SBB umso enttäuschender, meint Funiciello. «Dass ein Unternehmen nach solch einer Demonstration immer noch solche Entscheidungen trifft, ist eine Farce und nicht nachvollziehbar.» Es zeige, dass Frauen immer noch zu wenig ernst genommen werden.



Bei der SBB gesteht man Fehler ein. «Es stimmt, im Moment befindet sich keine Frau in der SBB Konzernleitung. Das ist bedauerlich», schreibt Sprecher Reto Schärli in einer schriftlichen Stellungnahme. Der Verwaltungsrat werde dem bei den nächsten Stellenbesetzungen nach Möglichkeit Rechnung tragen.

Insgesamt sei der Frauenanteil bei der SBB nach wie vor zu tief, so Schärli weiter. Deshalb unternehme die SBB «grosse Anstrengungen», um im Arbeitsmarkt besonders auch Frauen anzusprechen. Da für viele Frauen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie besonders wichtig sei, unternehme die SBB auch hier grosse Anstrengungen, sagt Schärli. «Die SBB ist überzeugt, dass auch dank diesen Massnahmen der Frauenanteil weiter steigen wird.»

Schärli sieht auch die Frauen selbst in der Pflicht: «Solange nicht deutlich mehr junge Frauen in technische Berufe einsteigen, sind realistischerweise keine grossen Sprünge zu erwarten, auch wenn dies wünschenswert wäre», schreibt er. Denn mit ein Grund für die derzeitige Situation sei, dass der Frauenanteil in technischen Berufen, die bei der SBB zahlreich vertreten sind, insgesamt noch tief ist.


Frauen in Führungspositionen

Frauen haben im Allgemeinen eine niedrigere berufliche Stellung als Männer, stellt das Bundesamt für Statistik fest. Sie sind öfter Arbeitnehmende ohne leitende Funktion.

Der Anteil Frauen an den Arbeitnehmenden in Führungsposition nimmt seit 1996 leicht zu und macht nun etwas mehr als einen Drittel aus.«Wichtige Gründe dürften die wegen der Verantwortung für Haushalt und Kinderbetreuung eingeschränkte Flexibilität und oft geringere Berufserfahrung der Frauen sein», heisst es.

Im Schillingreport 2020, einer jährlich erscheinende Studie, welche Daten zur Zusammensetzung der Führungsgremien der Schweizer Wirtschaft und des öffentlichen Sektors erhebt, heisst es zudem: «Erstmals erreicht der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen der 100 grössten Schweizer Arbeitgeber die Marke von 10 Prozent. Der öffentliche Sektor bringt es auf 20 Prozent weibliche Topkader.»

Bundesamt für Statistik
Was können Unternehmen tun, um den Frauenanteil zu steigern? 

Hanna Jordi, Sprecherin des Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG, sagt, dass eine Organisation, die einen ausgeglichenen Anteil der Geschlechter anstrebt, eine entsprechende Unternehmenskultur und ein entsprechendes Personalmanagement braucht – auf allen Ebenen, auch im Kader.

«Möchte ein Unternehmen also mehr Frauen in Führungspositionen, muss sie ganz bewusst entsprechende Massnahmen ergreifen», sagt Jordi. Eine vorgängige Analyse könne den Unternehmen helfen, eine geeignete Strategie zu finden. 

Der Weg zum Ziel sei nicht für alle Unternehmen gleich. «Manchen Unternehmen mangelt es vielleicht bereits an Bewerberinnen – dann gilt es, den Ausschreibungsprozess genauer anzuschauen», sagt Jordi. Manche Unternehmen bezeugten vielleicht Mühe, geeigneten weiblichen Nachwuchs im Unternehmen zu behalten. «Dann können Massnahmen im Talentmanagement helfen.» Auch flexible Arbeitszeitmodelle könnten dazu beitragen, den Frauen- dem Männeranteil in Kaderpositionen anzugleichen.  

Ein Instrument, welches helfe, Ziele zu identifizieren und Erfolge zu monitoren, seien Benchmarking Reports. Etwa der Gender Intelligence Report. Die Ausgabe für 2019 zeigt konkrete Best Practices aus verschiedensten Unternehmen auf, die geeignet sind, um die Diversität auf Führungsebene zu verbessern.

Der Gender Intelligence Report entsteht in einer Zusammenarbeit von Advance und der Universität St. Gallen. Advance ist ein Zusammenschluss aus über 100 Schweizer Unternehmen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, den Anteil von Frauen im Management zu erhöhen. Darunter ist auch die SBB.


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