Familien und Schulen unter Druck Kinder müssen monatelang auf Hilfe warten

jke

12.9.2024

Das Kinderspital Zürich ächzt unter Personalmangel.
Das Kinderspital Zürich ächzt unter Personalmangel.
sda (Archivbild)

Verhaltensauffällige Schulkinder warten in der Schweiz oft monatelang auf therapeutische Abklärungen. Während Familien und Schulen unter Druck stehen, kämpfen Kinderärzte mit überfüllten Wartelisten.

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • In Schweizer Kinderspitälern warten Tausende Kinder auf eine Abklärung. Die Wartezeit kann mehr als ein Jahr dauern.
  • Besonders betroffen sind Kinder mit Schul- und Aufmerksamkeitsproblemen.
  • Mit steigenden Diagnosen von Entwicklungsstörungen und einem Mangel an Fachpersonal wird der Druck auf die Spitäler grösser.
  • Expert*innen kritisieren die mangelnde politische Unterstützung und warnen vor den langfristigen Kosten.

Schulkinder mit Verhaltensauffälligkeiten stellen Eltern, Lehrpersonen und das Gesundheitssystem vor enorme Herausforderungen. Zwar werden die Kinder in der Regel abgeklärt und bei Bedarf therapiert, um das Umfeld zu entlasten, doch die Realität zeigt ein anderes Bild: Viele Familien sehen sich mit monatelangen Wartezeiten konfrontiert, bevor sie überhaupt eine Diagnose in der Hand halten.

Laut einem Bericht von SRF ist die Situation in der Schweiz besonders prekär – Tausende Kinder warten derzeit auf den Bescheid, ob sie etwa eine Therapie wegen ADHS oder anderen Entwicklungsstörungen benötigen.

Oskar Jenni, der die Entwicklungspädiatrie am Universitäts-Kinderspital Zürich leitet, beschreibt die Dimension des Problems in der Radiosendung «HeuteMorgen»: «Auf der Entwicklungspädiatrie des Kinderspitals Zürich sind rund 2000 Kinder auf der Warteliste.»

Kinder überfordern Lehrpersonen im Unterricht

Die durchschnittliche Wartezeit beträgt laut Jenni mehr als ein Jahr. Eine Dauer, die sich auch in anderen Kantonen widerspiegelt, wie eine Umfrage von SRF zeigt. Besonders betroffen sind Kinder mit Schul- und Aufmerksamkeitsproblemen. Je schwerwiegender die vermutete Störung ist, desto schneller wird abgeklärt – doch das gilt längst nicht für alle Fälle.

«Nicht nur die Kinder und die Familien leiden, sondern auch die Schulen sind sehr unter Druck», erklärt Jenni weiter. Während die Kinder ohne Diagnosen im Unterricht auffallen und Lehrpersonen überfordern, fehlt es an schnellen Lösungen. Doch eine gründliche Abklärung ist essenziell und kann bis zu acht Stunden dauern – ein Prozess, der Zeit und Fachwissen erfordert.

Ein wesentlicher Grund für die langen Wartezeiten ist der Mangel an Fachpersonal. Die Zahl der diagnostizierten Entwicklungsstörungen steigt, doch die Kapazitäten der Kinderärzt*innen, die solche Abklärungen durchführen, halten nicht Schritt.

Kritik an der Politik

«Wir müssten das Personal ausbauen», sagt Jenni. Aber das sei leichter gesagt als getan, denn die ambulanten Leistungen seien in der Schweiz finanziell unzureichend vergütet. «Das ist nicht neu. Ich verstehe nicht, warum sich die Politik dem Thema nicht annimmt», kritisiert der erfahrene Kinderarzt.

Jenni sieht in der Vernachlässigung des Kindeswohls ein gesamtgesellschaftliches Problem. «In alternden Gesellschaften gerät das Kindeswohl gerne politisch in den toten Winkel.» Ohne die nötigen Investitionen in die Kindheit, warnt er, werde die Situation in einigen Jahren noch deutlich teurer werden.