Gesellschaftstrend Besitzen wir nach der Corona-Krise weniger Eigentum?

Von Jennifer Furer

5.5.2020

Die meisten teilen Dinge, die man nur selten benötigt und deswegen nicht extra gekauft werden.
Die meisten teilen Dinge, die man nur selten benötigt und deswegen nicht extra gekauft werden.
Sharly

Ob Auto, Bohrmaschine oder Trekkingschuhe: Dinge zu teilen, boomt – auch wegen der Corona-Krise. Doch längst nicht alle Sharing-Angebote profitieren. Welche Produkte teilen die Menschen während einer Pandemie eher?

Was, wenn Menschen Dinge, die sie zwar brauchen, aber nur selten nutzen, nicht mehr selber kaufen müssen? Diese Frage brachte Andreas Amstutz 2014 auf eine Idee: Er gründete die Plattform Sharely.

Das Prinzip: Nutzer laden Fotos und Informationen zu Dingen, die sie nicht permanent benötigen und die sie teilen möchte, auf die Plattform. Diese können dann von Leuten geliehen werden, welche punktuell Bedarf an den Gegenständen haben.

Bis heute haben sich 30'000 Nutzerinnen und Nutzer angemeldet. «Ich fand es schon immer unnötig, dass alle alles besitzen müssen, obwohl man die meisten Dinge ja nur selten nutzt. Zudem interessierte mich das Thema Nachhaltigkeit», sagt Gründer Amstutz.

Bedeutung von Besitz sinkt

Es gehe bei Sharely darum, dass innerhalb des Quartiers oder der Gemeinde geteilt werde und dass Leute in Kontakt kommen, die zwar nah beieinander wohnen, sich aber trotzdem nicht kennen. «Es müssen zudem weniger Objekte hergestellt werden, wenn geteilt wird, das macht Sharely zu einer nachhaltigen Plattform», so Amstutz.

Die Bedeutung von Besitz sinke in unserer Gesellschaft tendenziell, ist sich Amstutz sicher. «Es findet eine Entmaterialisierung im Alltag statt oder anders gesagt: Erlebnisse werden wichtiger als Dinge.»

Was nachgefragt wird, ändere sich saisonal stark – im Winter würden Schneeschuhe gemietet, im Sommer Gummiboote. Zu den meistgemieteten Objekten innerhalb des Jahres zählten Autoanhänger, Hochdruckreiniger, Beamer, Gartengeräte, Bohrmaschinen, Festbänke, Schleifmaschinen und Gepäckboxen.

Bei Sharely können Gegenstände zu einem Tagespreis gemietet und vermietet werden.
Bei Sharely können Gegenstände zu einem Tagespreis gemietet und vermietet werden.
zvg

Und in der Corona-Krise? «Es gab ein paar wenige Personen, die wegen Corona nicht mehr vermietet haben», sagt Amstutz. Insgesamt habe es im April aber doppelt so viele Anmeldungen und Mietvorgänge wie üblich gegeben. «Der Vorteil von Sharely kam voll zum Tragen: der lokale Konsum. Die Läden sind teilweise noch zu, aber die Objekte in der Nachbarschaft waren und sind immer mietbar.»

Auch bei den nachgefragten Produkten habe sich die Pandemie bemerkbar gemacht. «Ich habe festgestellt, dass die Leute lokal unterwegs waren und weniger Leute getroffen haben», sagt Amstutz. Beamer (gemeinsame Filmabende), Dachboxen (Ferien) oder Festzelte seien kaum gefragt gewesen – hingegen aber deutlich mehr Garten-, Reinigungs- und Fitnessgeräte gemietet worden.

Um das Risiko einer Ansteckung durch geteilte Produkte zu minimieren, seien die Nutzerinnen und Nutzer auf die nötigen Hygienemassnahmen aufmerksam gemacht worden. «Zum Beispiel, dass die Übergabe ohne persönlichen Kontakt, also durch Deponieren vor dem Haus kurz vor Eintreffen des Mieters, empfohlen wurde», sagt Amstutz. Zudem sei zur Desinfektion der Mietgegenstände angeregt worden.

Investoren abgesprungen

«Mit den erwähnten Massnahmen und einer guten Händehygiene erachte ich das Risiko bei Sharely als gering – diese Meinung wird offenbar von den meisten Personen geteilt», so Amstutz. Es sei spürbar, dass die Solidarität auf Sharely durch die Corona-Krise noch verstärkt werde. «Vermieter haben zum Beispiel angeboten, die Objekte auch zu bringen, anstatt sie holen zu lassen», sagt Amstutz.

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Obwohl die Corona-Krise die Plattform Sharely beflügelt habe, setze sie dem Sharing-Konzept dennoch zu – und zwar bei den Investoren. «Corona hat die Situation für alle Start-ups in dem Sinne verschärft, dass die Investoren erstens zurückhaltender sind mit Investments und zweitens teilweise mit ihrem eigenen Business unter Corona leiden. Es werden dieses Jahr sicherlich weniger Deals zustande kommen als üblich», sagt Amstutz.

Die Sharing Economy habe schon viele Firmen kommen und auch wieder gehen sehen. «Es ist kein einfaches Pflaster, da eine kritische Masse erreicht werden muss, bevor man Geld verdienen kann», sagt Amstutz. Daher brauche es auch Leute, die bereit sind, ihre Gegenstände zu vermieten. Dennoch ist sich der Gründer von Sharly sicher: «Das Teilen wird noch weiter an Bedeutung gewinnen.»

Auch Patrick Eigenmann, Verantwortlicher Unternehmenskommunikation bei Mobility, ist dieser Überzeugung. Trotz unerfreulicher Folgen der Corona-Krise für das Carsharing-Unternehmen.

Bis zu 50 Prozent weniger Nachfrage

Im Unterschied zu Sharely musste Mobility bei der Nachfrage während der Corona-Krise Rückschläge verkraften. «Bis zum 13. März, dem Tag, an dem der Bundesrat erstmals die Massnahmen verschärft hat, blieb die Nachfrage stabil. Danach ist sie markant gesunken, da viele Arbeitnehmende von Zuhause aus arbeiten und die Bevölkerung sich auf nur noch unbedingt notwendige Fahrten beschränkte», so Eigenmann.

Auf alle Mobility-Standorte in der ganzen Schweiz gerechnet, liege der Nachfrageeinbruch zwischen 35 und 50 Prozent.

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Keystone

Besserung ist in Sicht, sagt Eigenmann. «Seit letzter Woche erholt sich die Nachfrage langsam, aber wir haben noch nicht genug Daten, um das in Prozentpunkten auszudrücken. Wir gehen davon aus, dass es sich nun schrittweise bessert, insbesondere ab 11. Mai, wo viele Lockerungsmassnahmen anstehen.»

Dass der Nachfragerückgang bei Mobility nicht noch stärker durchgeschlagen hat, könnte auf eine Massnahme zurückgeführt werden, mit der das Unternehmen auf die Pandemie reagiert hat: Monatsmieten für Autos.

Flexibles Mieten

«Das kommt sehr gut an: Rund 400 unserer Autos sind so unterwegs. Mit der Monatsmiete – notabene zu Selbstkostenpreisen – wollen wir die Mobilität in der Schweiz auch in diesen schwierigen Zeiten aufrechterhalten, eine Alternative zum öffentlichen Verkehr bieten und unsere laufenden Kosten reduzieren», sagt Eigenmann.

Organisationen und Personen aus dem Gesundheitswesen würden dabei aus Gründen der Solidarität bevorzugt. «Ob die Mietdauer jeweils verlängert werden kann, entscheiden wir vorweg. So bleiben wir flexibel, unser Standardangebot wieder hochfahren zu können.»

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Da das Angebot gut laufe, überlege sich Mobility, auch in Zukunft standardmässig etwas Ähnliches anzubieten, sei es auf Wochen- oder Monatsbasis. «Ob, wann und zu welchen Preisen wir das tun werden, ist derzeit noch unklar», sagt Sprecher Eigenmann.

Schwarz malt also auch die Carsharing-Community nicht. Eigenmann glaubt fest an den Bestand des Konzepts – auch nach Corona: «Auf jeden Fall hat Carsharing Zukunft, gerade in urbanen Gebieten. In Zeiten, in denen das Verkehrsaufkommen steigt und der Raum im urbanen Gebiet immer knapper wird, zeichnet sich ein Bewusstseinswandel ab.»

Auto kein Statussymbol mehr

In den Städten habe bereits die Hälfte der Haushalte kein Privatauto mehr – ein Trend, den Corona höchstens verlangsamen, aber nicht stoppen werde. «Die Menschen setzen stattdessen auf ÖV in Kombination mit Dienstleistungen wie Mobility. Zudem hat das Auto als Statussymbol bei vielen jüngeren Menschen ausgedient.»

Thomas von Stokar, Geschäftsleiter und Präsident des Verwaltungsrats von Infras, ein Schweizer Forschungs- und Beratungsunternehmen zu nachhaltiger Entwicklung, geht ebenfalls davon aus, dass das Sharing-Konzept auch nach der Corona-Krise Bestand haben wird. «Es ist ein positiver Gesellschaftstrend, der den Zeitgeist trifft», sagt er.

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Es wäre möglich, dass die Pandemie den Sharing-Bereich beflügelt hat, so von Stokar. «Noch ist es zwar kein verbreitetes Phänomen, ein Nischenmarkt. Es kann aber durchaus sein, dass die Leute nach der Krise bescheidener sind und der Nachhaltigkeit einen höheren Stellenwert beimessen.»

Durch Sharing-Angebote werden laut von Stokar Waren und Ressourcen effizienter genutzt. Zudem sei es auch möglich, dass einige Menschen durch die Pandemie das erste Mal in Berührung mit Sharing-Angeboten gekommen sind. «Wenn diese Erfahrung positiv war, werden die Leute auch später eher solche Angebote nutzen.»

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