Ganz besondere EinheitPlötzlich treten die «Hexen von Butscha» gegen Putins Armee an
Von Vasilisa Stepanenko und Samya Kullab, AP
2.9.2024 - 11:59
Die Ukraine schickt mehr Männer an die östliche Frontlinie. Das reisst woanders Lücken in die Verteidigung. Und hier kommen zunehmend Frauen ins Spiel – wie die «Hexen von Butscha».
02.09.2024, 11:59
02.09.2024, 14:31
dpa
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Frauen in der Ukraine treten freiwillig mobilen Luftverteidigungseinheiten bei, um russische Drohnen abzuschiessen.
Diese Mitglieder, darunter Ärztinnen wie Angelina und Olena, arbeiten tagsüber in ihren regulären Berufen und nehmen nachts ihren Dienst als Drohnenbekämpferinnen auf.
Viele sind motiviert durch persönliche Erlebnisse und das Massaker in Butscha.
Die Frauen dieser mobilen Luftverteidigungseinheit nennen sich «die Hexen von Butscha».
Wenn nachts die Luftschutzsirenen heulen, wissen die Frauen, was sie zu tun haben. Die 27-jährige Angelina etwa ist erst seit zwei Monaten Mitglied der mobilen Luftverteidigungseinheit, aber sie kennt die Prozeduren aus dem Effeff. In voller Kampfmontur, das Flugabwehr-Maschinengewehr am Platz, steuert sie einen Pickup-Truck zu einer von Bäumen gesäumten Position nahe Butscha, einem Vorort von Kiew.
Hier stellen sie und die anderen vier Frauen in der Einheit das Gewehr auf und warten. Nur das Zirpen von Grillen durchbricht die Stille – bis die von den Russen gestartete Schahed-Drohne abgeschossen wird, in dieser Nacht im August von einer anderen Einheit in der Nähe.
Angelina macht es Freude, Drohnen der Invasoren vom Himmel zu holen, wie sie der Nachrichtenagentur AP sagte. «Es ist ein Adrenalinstoss». Angelina äusserte sich wie andere Frauen in der Gruppe unter der Bedingung, dass nur ihre Vornamen oder militärischen Kennnamen genannt werden.
Männer an der Front, Frauen in Freiwilligen-Verbänden
Frauen schreiben sich in zunehmender Zahl in freiwillige mobile Einheiten ein, die für das Abschiessen russischer Drohnen verantwortlich sind. Sie füllen damit Lücken, die entstehen, weil mehr Männer an die Frontlinie im Osten geschickt werden. Die Frauen machen zwar nur einen Bruchteil der bewaffneten Kräfte des Landes aus, aber ihr Einsatz in verschiedenen Funktionen, die sonst traditionell von Männern ausgeübt werden, ist hochwichtig.
"My friends died, my colleague who was a teacher... there's just not enough fury," - Alina, who recently joined the mobile groups of Bucha volunteer guards.
"Bucha Witches", as these women call themselves, shoot down Russian drones in Kyiv region.
Mindestens 70 Ukrainerinnen sind in den vergangenen Monaten für die Drohnenbekämpfung durch die Verteidigungskräfte Butscha rekrutiert worden, wie der Kommandeur in dem Gebiet, Andrij Welarty, sagt. Es ist Teil einer landesweiten Kampagne, weibliche Freiwillige für den Teilzeit-Einsatz in örtlichen Verteidigungseinheiten zu gewinnen. Die Frauen kommen aus verschiedenen sozialen Schichten, von nicht berufstätigen Müttern bis hin zu Ärztinnen wie Angelina, und nennen sich selbst die «Hexen von Butscha», eine Anspielung auf ihre nächtliche Rolle, den Himmel zu bewachen.
Manche wurden durch das russische Massaker an Hunderten Einwohnern von Butscha während der einen Monat langen Besetzung des Ortes kurz nach Beginn des Krieges im Februar 2022 motiviert. Die Russen liessen die Toten auf den Strassen, in Häusern und Massengräbern zurück. Angelina behandelte damals Verletzte. «Wir waren hier, haben diese Schrecken gesehen», sagt sie. Als sie dann im vergangenen Juni bei einer Autofahrt mit ihrer Freundin Olena – ebenfalls eine Ärztin – ein Schild mit einem Aufruf an Frauen zum freiwilligen Einsatz sah, «haben wir nicht gezögert», so die Ukrainerin.
Die Ausbildung ist hart. Bei einer Runde kürzlich im August wurden Rekrutinnen im Alter zwischen 27 und 51 Jahren getestet, wie schnell sie ein Gewehr zusammensetzen und auseinandernehmen können. «Ich habe Achtklässler, die das besser machen können», brüllte ihr Ausbilder. Die Frauen erwarben Grundkenntnisse über verschiedene Waffen und Minen, über Taktiken und darüber, wie man russische Infiltratoren entdeckt. Sie trainierten nicht weniger als die Männer, sagt Lidija, die seit einem Monat dabei ist.
Die 34-jährige Verkäuferin und Mutter von vier Kindern gibt als ihr Hauptmotiv an, dass sie zum Schutz ihrer Familie beitragen wolle. Ihre Kinder betrachteten sie anders als zuvor, seit sie begonnen habe, einen Kampfanzug zu tragen, erzählt sie. «Mein jüngerer Sohn fragt mich stets, «Mama, trägst du eine Waffe?» Ich sage: «Ja». Er fragt: «Schiesst du?» Ich sage: «Natürlich tue ich es.» Am 31. Juli hatte sie Dienst, als Russland 89 Schahed-Drohnen startete, die alle zerstört wurden. Lidija war in jener Nacht assistierende MG-Schützin.
Nach dem Nachteinsatz beginnt der Tagesjob, sei es als Hausfrau, Mutter, Verkäuferin oder – wie bei Angelina und Olena – als Ärztinnen. Als die Sonne aufgeht, entfernen beide ihre schwere Kampfmontur und gehen nach Hause, schlüpfen in ihr Krankenhaus-Outfit, bereit für ihre Schicht auf der Intensivstation der Klinik, in der sie arbeiten. Wenn es wieder Mitternacht wird, werden sie erneut in ihrem anderen Job sein, auf anfliegende Drohnen warten. «Heute habe ich zwei Stunden und 40 Minuten geschlafen», sagt Olena.
Als Ärztinnen pflegen sie Verwundete
Beide Frauen sind liiert, ihre Partner sind Soldaten. Angelina, eine Narkoseärztin, hat ihren Freund im Krankenhaus kennengelernt, wo er nach einer Kampfverletzung behandelt wurde. Die vielen verwundeten ukrainischen Soldaten zu sehen, war ein Grund dafür, dass sie sich zum Freiwilligen-Einsatz gemeldet hat. «Wenn wir etwas tun können, um zu helfen, unseren Sieg näher zu bringen, warum nicht?», sagt sie.
Die Frauen in den mobilen Einheiten sind alle zwei oder drei Tage im Dienst, arbeiten in Fünfergruppen mit einer MG-Schützin, Schützengehilfin, Feuerunterstützung, einer Fahrerin und einer Kommandeurin. Angelinas Einheit verbringt bisweilen ganze Nächte damit, zwischen ihrer Basis und Stellung hin und her zu fahren.
Es sei nicht leicht, eine Drohne vom Himmel zu holen. «Du musst ständig üben», schildert Angelina. Ihre Zugführerin, Calypso genannt, hält jeden Sonntag ein Training unter anderem im Schiessen und in Angriffsfertigkeiten ab.
Es gebe keinen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Freiwilligen, sagt sie. «Von dem Augenblick an, an dem wir kommen, um zu dienen, einen Vertrag unterzeichnen, sind wir nicht länger Frauen, wir sind Soldaten. Wir haben unseren Job zu erfüllen, und auch die Männer begreifen das. Wir kommen nicht hierhin, um herumzusitzen und Borscht zu kochen oder irgendetwas.» Ganz im Gegenteil. Sie habe das Gefühl, so Calypso, dass die Frauen und sie die Drohnen mit blossen Händen, mit Stöcken, ausschalten würden, «wenn wir es müssten – alles, um sie daran zu hindern, auf unseren Kindern, Freunden und der Familie zu landen».
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