Das Märchen vom Wahlsieg Warum eine Entscheidung in der Wahlnacht unwahrscheinlich ist

Von Niccholas Riccardi, AP

5.11.2024

Der Republikaner Donald Trump fordert, dass schon in der Wahlnacht der Sieger bekannt gegeben werden soll. Doch das ist aus einer Reihe von Gründen kaum möglich. Schuld hat daran auch Trumps eigene Partei.

Von Niccholas Riccardi, AP

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Bis 23 Uhr sollte am Dienstagabend eine Entscheidung über den Wahlsieger da sein, fordert Trump.
  • Dabei schliessen in den beiden wahlentscheidenden Bundesstaaten Arizona und Nevada um 23 Uhr gerade erst die Wahllokale.
  • Weitere Gründe, weshalb die Auszählung länger dauern wird, liegen im Wahlsystem der USA und an den sechs Zeitzonen von der US-Ostküste bis Hawaii.
  • Für den Tag nach der Wahl werden Unruhen befürchtet.

Im Jahr 2020 verkündete Donald Trump in den frühen Morgenstunden nach dem Wahltag schon mal seinen Sieg – obwohl erst Tage später wirklich Klarheit herrschte. «Stop the count» (Stoppt die Auszählung) forderten damals der republikanische Präsident und seine Anhänger, als Trump unter anderem in Pennsylvania nach ersten Auszählungsergebnissen noch deutlich vorne lag. Letztlich kippte das Ergebnis zugunsten des Demokraten Joe Biden und bis heute halten Trump und seine Getreuen an der Mär fest, dass der Republikaner um den Wahlsieg betrogen worden sei.

Auch diesmal gibt es wenig Anzeichen, dass Trump oder seine demokratische Gegnerin Kamala Harris rasch als Sieger oder Siegerin feststehen. Ein Grund dafür ist natürlich, dass es in mehreren der entscheidenden Bundesstaaten, den sogenannten Swing States, richtig, richtig eng werden dürfte. Und in einem solchen Fall müssen eben deutlich mehr Stimmen ausgezählt werden, bis Klarheit herrscht.

Wenn es länger daure, sei das kein Zeichen eines Versagens, sondern sichere nur die Integrität der Wahl ab, sagt Rick Hasen, Juraprofessor an der University of California in Los Angeles. «Daran ist nichts Schändliches.»

Trump säte bereits vor dem Wahltag Zweifel am Ergebnis

Auch die sechs Zeitzonen von der US-Ostküste bis Hawaii mit Tausenden Wahlkreisen sind ein Faktor, der nicht zu vernachlässigen ist. Es sei unrealistisch, dass Wahlbeamte «mit den Fingern schnippen und sofort 160 Millionen mehrseitige Stimmzettel mit Dutzenden von Wahlentscheidungen darauf zählen», sagt David Becker, Wahlexperte und Mitverfasser des Buches «The Big Truth», das Trumps Wahllügen aus dem Jahr 2020 entlarvte.

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Trump säte auch vor dieser Wahl schon wieder Zweifel am Ergebnis und behauptete, eine verzögerte Entscheidung sei ein Zeichen für Betrug. «Ein Haufen korrupter Leute. Das sind korrupte Leute», sagte er am Sonntag in Pennsylvania, ohne genauer auszuführen, wer denn diese korrupten Leute seien. Um 21, 22, 23 Uhr sollte am Dienstagabend eine Entscheidung da sein, forderte Trump. Dabei schliessen in den beiden wahlentscheidenden Bundesstaaten Arizona und Nevada um 23 Uhr gerade erst die Wahllokale.

Nicht nur Trump, sondern auch andere Konservative beschweren sich seit der letzten Wahl, dass in den USA weniger schnell ausgezählt wird als etwa in Ländern wie Frankreich oder Argentinien – und verkennen damit, dass die Voraussetzungen in den Vereinigten Staaten ganz andere sind.

Dazu gehören etwa die umfangreichen Stimmzettel sowie das dezentralisierte System bei den Wahlen ohne eine Wahlkommission auf Bundesebene. In vielen Tausenden verschiedenen Kreisen müssen neben Präsidentschaftswahl und Kongress auch die Stimmen für die einzelstaatlichen Parlamente, kommunale Vertretungen, Schulbehörden und andere Posten und Wählerentscheidungen gleichzeitig ausgewertet und dann weitergegeben werden.

Briefwahlstimmen dürfen erst am Wahltag gezählt werden

Die Auszählung der Millionen von Stimmen dauert auch deshalb so lange, weil die Wahlhelfer umstrittene oder wegen Bedenken nur vorläufig ausgehändigte Stimmzettel bearbeiten und auf ihre Rechtmässigkeit prüfen müssen. Stimmen von im Ausland stationierten Soldaten oder anderen Auslandsamerikanern können oft in letzter Minute eintrudeln. Und Briefwahlstimmen müssen oft auch langwierig geprüft werden, was teilweise erst ab dem Wahltag erlaubt ist.

Ein Grund, warum so langsam ausgezählt wird, liegt genau an solchen Vorschriften in den einzelnen Bundesstaaten. In Pennsylvania und Wisconsin, zwei der wichtigsten Swing States, gibt es schon länger die Forderung, die Briefwahlstimmen bereits vor dem Wahltag zu bearbeiten, damit sie schneller ausgezählt sind. Das verbietet aber bisher das Gesetz und die republikanisch regierten Bundesstaaten wollten bisher auch nichts daran ändern.

Traditionell dominieren nämlich die Demokraten bei der Briefwahl, so dass es bis in die frühen Morgenstunden des nächsten Tages, wenn die Briefwahlstimmen der Demokraten endlich ausgezählt werden, so aussieht, als lägen die Republikaner in Führung.

Die «Rote Fata Morgana» nach der Parteifarbe der Republikaner oder die «Blaue Verschiebung» nach der Farbe der Demokraten nannten Experten dieses Phänomen bei vergangenen Wahlen. Trump und seine Anhänger werteten es als Anzeichen für Wahlbetrug.

Unruhen am Tag nach der Wahl befürchtet

Einige von Trumps Verbündeten drängen ihn, diesmal noch aggressiver vorzupreschen und seinen Sieg schnell zu verkünden. Der frühere Trump-Berater Steve Bannon sagte kürzlich, der damalige Präsident habe nach der letzten Wahl um 2:30 Uhr morgens seinen Sieg verkündet, hätte es aber schon um 23 Uhr tun sollen.

Trumps ehemaliger nationaler Sicherheitsberater Michael Flynn deutete kürzlich in einem Interview mit dem rechtsgerichteten Podcast American Truth Project an, dass es in den Bundesstaaten, in denen die Stimmzettel noch ausgezählt werden, am Tag nach der Wahl zu Unruhen kommen könnte, weil «die Menschen sich das einfach nicht gefallen lassen».

Experten und viele Beobachter hoffen hingegen, dass die Amerikaner sich in Geduld üben. Denn es gibt letztlich nur einen Weg, um herauszufinden, wer die Präsidentschaftswahl gewonnen hat: Warten, bis genügend Stimmen ausgezählt sind – wann immer das sein wird.

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