Von der Annexion zum ZermürbungskriegFür Putins Pläne war die Krim erst der Anfang
AP/tgab
20.3.2024 - 00:00
Mit der Einnahme der Halbinsel Krim schuf Wladimir Putin vor zehn Jahren Fakten. Für die Grossoffensive gegen das Nachbarland Ukraine war das erst der Anfang.
20.03.2024, 00:00
20.03.2024, 08:46
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Mit der Annexion der Krim begann Putin vor zehn Jahren mit der stückweisen Eroberung des Nachbarlandes Ukraine.
Es folgte die Anerkennung der abtrünnigen ostukrainischen Regionen Luhansk und Donezk als eigene Volksrepubliken und der Einmarsch im Februar 2022.
Der Angriff auf die Ukraine hat sich zu einem Zermürbungskrieg festgefahren.
Doch eines steht fest: An einem «Einfrieren» des Krieges hat Putin kein Interesse.
Zehn Jahre ist es her, dass Wladimir Putin der Ukraine die Krim entriss – eine Landnahme, der vor zwei Jahren die Grossoffensive gegen das Nachbarland folgte. In Russland stiess die Annexion der Halbinsel Krim eine Welle des Patriotismus an. Die Popularität von Präsident Putin stieg. «Die Krim gehört uns» wurde zum Slogan. Jetzt, da Putin sich eine weitere sechsjährige Amtszeit gesichert hat, zeigt er sich umso entschlossener, sich die Ukraine einzuverleiben.
Putin fühle sich zuversichtlicher denn je, ist die Einschätzung der Analystin Tatiana Stanovaya. Der Kreml glaube zunehmend an Russlands militärischen Vorteil im Krieg und fühle eine Schwäche und Zersplitterung des Westens, erklärt die Forscherin am Carnegie Russia Eurasia Center.
Wiederholt hat Putin vorgebracht, dass der grösste Teil des ukrainischen Territoriums historisch gesehen zu Russland gehöre. Das Argument zog er auch vor zehn Jahren schon aus der Tasche, als es um die Annexion der Krim ging. 2014 war der kremlfreundliche ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch in Massenprotesten gestürzt worden. Moskau sprach von einem von den USA angezettelten Staatsstreich und schickte Truppen auf die Krim. Es folgte eine – vom Westen als illegal abgelehnte – Volksabstimmung über den Anschluss an Russland und die Annexion am 18. März 2014.
Aufstand in der Ostukraine angezettelt
Wochen später begannen von Moskau unterstützte Separatisten ihren Aufstand in der Ostukraine. Der Kreml bestritt, die Aufständischen personell und mit Waffen aufgerüstet zu haben – trotz gegenteiliger Beobachtungen und Belege. Hardliner in den eigenen Reihen kritisierten Putin später dafür, dass er damals nicht auf die Einnahme der gesamten Ukraine abgezielt habe.
Für den Osten der Ukraine wurde 2015 das Minsker Abkommen unter Vermittlung von Deutschland und Frankreich ausgehandelt. Nach schmerzlichen Niederlagen der ukrainischen Seite ging es zunächst um einen Waffenstillstand und den Abzug schwerer Waffen sowie eine Sicherheitszone. Den Separatistenregionen wurde zugleich grosse Autonomie zugesichert. Die Ziele, die Gewalt zu beenden und den Konflikt politisch beizulegen, wurden jedoch nicht erreicht.
Als der Politikneuling Wolodymyr Selenskyj 2019 zum Präsidenten der Ukraine gewählt wurde, sah Putin die Chance, das Abkommen in seinem Sinne wiederzubeleben. Doch Selenskyj liess sich nicht darauf ein. Mit der Anerkennung der abtrünnigen Regionen Luhansk und Donezk als eigene Volksrepubliken schuf Russland im Februar 2022 dann einfach Fakten – und legte das Minsker Abkommen damit ad acta.
Als Spezialoperation getarnter Angriffskrieg
Am 24. Februar 2022 kündigte Putin zugleich seine «Spezialmilitäroperation» in der Ukraine an. Der Angriffskrieg begann.
Die Hoffnung, dass Kiew so einfach fallen würde wie die Krim, zerschlug sich schnell. Doch zuletzt konnten die russischen Truppen wieder Erfolge vermelden. Angesichts schwindenden Nachschubs an Waffen und Munition für die Ukraine hat Russland den Druck entlang der mehr als 1000 Kilometer langen Frontlinie verstärkt.
Die Frage, wie tief er in die Ukraine vordringen wolle, lässt Putin nicht zu. Er hat wiederholt erklärt, Ziel sei, russisches Territorium vor Langstreckenwaffen im ukrainischen Arsenal zu schützen. Aus seiner Entourage jedoch kommen deutlichere Worte. Dmitri Medwedew etwa, der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrats, hat Kiew und den Schwarzmeerhafen Odessa erwähnt. Und kürzlich betont: «Die Ukraine gehört zu Russland.» Als eine «Friedensformel» schlug er die Kapitulation der Ukraine und Moskaus Annexion des Landes vor.
Welch ehrgeizige Ziele Moskau sich leisten kann, darüber gehen die Einschätzungen von Verteidigungsexperten auseinander. Russland habe sich für eine Strategie entschieden, die Ressourcen der Ukraine durch Angriffe entlang der Frontlinie zu erschöpfen, erklärt der Moskauer Militärexperte Sergej Poletajew. Dies ziele darauf, einen Punkt zu erreichen, an dem die ukrainische Verteidigung zusammenbreche.
Doch diese Angriffe seien auch für Moskau kostspielig, wenden andere ein. Für Moskau gebe es kaum eine Chance für einen wirklichen Durchbruch, sagt Ruslan Puchow, Leiter des Zentrums für die Analyse von Strategien und Technologien, eine russische Denkfabrik. «Die ukrainische Verteidigung ist sehr stark und erlaubt es den russischen Truppen nicht, mehr als taktische Gewinne zu erzielen», erklärt er. Ein solcher Zermürbungskrieg könne sich noch über Jahre hinziehen – wobei jede Seite darauf warte, dass es zu internen Veränderungen und Politikwechsel beim anderen komme.