Lagebild Ukraine «Nordkorea will nicht, dass auch nur ein Soldat lebend heimkehrt»

Von Philipp Dahm

20.11.2024

Nordkorea will Massenproduktion von Kamikaze-Drohnen beginnen

Nordkorea will Massenproduktion von Kamikaze-Drohnen beginnen

Der nordkoreanische Staatschef Kim Jong Un hat offenbar die Massenproduktion von sogenannten Kamikaze-Drohnen angeordnet. Das berichtete der Staatssender KRT am Freitag und zeigte Fotos, die Kim bei der Inspektion von Drohnen zeigen sollen. Er hatte Anfang des Jahres im Rahmen einer sich rasch entwickelnden militärischen Zusammenarbeit mit Russland dem Test von Kamikaze-Drohnen beigewohnt Militärexperten vermuten, Nordkorea könnte bei deren Entwicklung technische Hilfe aus Moskau erhalten.

20.11.2024

Die Entfesselung der ATACMS-Raketen hat Folgen für den Kreml. Der setzt seine Offensive in Kursk mit der Brechstange durch: Hohe Verluste beeindrucken Wladimir Putin nicht – und Kim Jong-un erfreuen sie sogar.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • ATACMS-Freigabe: Die russische Armee muss Depots und Basen weiter ins Hinterland verlegen, um nicht getroffen zu werden.
  • 2025 will Kiew selbst 3000 Marschflugkörper herstellen, für deren Einsatz niemand um Erlaubnis gefragt werden muss.
  • Grauzone Verlustzahlen: Wie sie berechnet werden, wo die Unschärfen liegen und was die wahren Grössen sind.
  • Einsatz der Nordkoreaner in Kursk: «Es wird erwartet, dass niemand zurückkommt.»
  • Ukrainischer General über Nordkoreaner: «Die Kampfkraft dieser Einheiten ist ziemlich fragwürdig.»

Er wolle nicht ins Detail gehen, sagt Wolodymyr Selenskyj. Die Ukraine könne auch über Entfernung angreifen: etwa mit der heimischen Neptune, aber nun eben auch mit ATACMS. «Wir werden sie alle nutzen», sagt der Präsident am 19. November.

Der Morgen des 1000. Tages dieses Krieges ist auch der Tag, an dem Kiew erstmals ATACMS gegen ein Ziel auf russischem Boden einsetzt. Aus dem Umfeld des Pentagons erfährt Reuters, dass Russland angeblich nur zwei der acht abgefeierten Raketen zerstören konnte. Moskau selbst will insgesamt sechs ATACMS und 42 Drohnen abgefangen haben.

Welche Schäden die ATACMS bei ihrem Angriff auf das Munitionsdepot in Brjansk angerichtet haben, ist noch unklar. Fakt ist dagegen, dass die russische Armee nun nicht nur Munitionslager tiefer ins Hinterland verlegen muss. Auch Treibstoffdepots sind ebenso in Schlagdistanz der Rakete mit ihrer Reichweite von 300 Kilometern wie 14 russische Flughäfen, die das Militär nutzt.

Gleichzeitig fährt die Ukraine die Produktion der heimischen R-360 Neptune hoch, die eine Reichweite von gut 200 Kilometern haben soll. 100 sollen in diesem Jahr produziert worden sein, doch nächstes Jahr will Selenskyj 3000 Marschflugkörper auf heimischem Boden produzieren lassen, für deren Einsatz er niemanden um Erlaubnis fragen muss.

Hohe Verluste – aber wie hoch genau?

Wie viele Gegner die ukrainische Armee bisher ausgeschaltet hat, ist fraglich. Kiew wie auch viele westliche Länder gehen von 600'000 bis 700'000 russischen Verlusten aus, weiss die «New York Times». Das Problem: Diese Zahlen beinhalten sowohl Gefallene als auch Verletzte – und bei den Verletzten wird nicht zwischen einem Loch im Kopf und einem Splitter im Bein unterschieden.

Das hat zur Folge, dass ein Soldat sich zweimal verletzen kann, bevor er getötet wird – und so dreimal in der Verluststatistik auftaucht. Findige Journalisten gehen deshalb in die Tiefe: Sie bereinigen die Zahlen etwa durch Traueranzeigen, Social-Media-Posts und Begräbnisse. Laut BBC sind bis November 78'329 Russen gefallen. Mediazona und Medusa erweitern diese Summe um die Zahl offener Erbschaftsfälle.

Sie sind ein Thema, wenn ein Soldat vermisst wird. Für Vermisste muss der Staat auch kein Geld an die Hinterbliebenen auszahlen. Demnach sind bis Ende Oktober fast 150'000 Russen gestorben. Schätzungen, die diese Summe um jene ergänzen, die unwiederbringlich verletzt worden sind, kommen auf Verluste zwischen 405'000 und 484'000 Personen.

«Es wird erwartet, dass niemand zurückkommt»

Die Folgen zeigen sich im Oblast Kursk, wo sich die russische Armee mit Männern aus Nordkorea verstärken muss, um ihr Ziel zu erreichen: die Rückeroberung bis zu Donald Trumps Amtseinführung am 20. Januar. Hohe Verluste schrecken Pjöngjang bei der Schützenhilfe nicht ab: «Nordkorea will nicht, dass auch nur ein Soldat lebend heimkehrt», glaubt ein Überläufer. «Es wird erwartet, dass niemand zurückkommt.»

Lage in Kursk am 19. November laut dem Institute for the Study of War.
Lage in Kursk am 19. November laut dem Institute for the Study of War.
ISW

Der Mann mit dem Pseudonym Chung erklärt «Daily NK», dass die Soldaten wahrscheinlich gar nicht gewusst hätten, dass sie nach Russland verlegt werden. Widersprechen könnten sie nicht: «Alle nordkoreanischen Soldaten, die ins Ausland gehen, müssen ihren Willen bezeugen, ihr Leben im Kampf zu lassen.» Gehorsam sei alles, so Chung.

Warum Kim Jong-un seine Leute nicht wiederbekommen will? «Die Führung wird denken, dass zurückkehrenden Soldaten nicht hilfreich dabei sind, um das Regime zu erhalten. Sie könnten die Wahrheit über das erzählen, was sie erlebt haben, was Negativität gegen das Regime entfachen könnte.»

«Die Kampfkraft dieser Einheiten ist ziemlich fragwürdig»

In dieser Hinsicht könnte Pjöngjangs Wunsch in Erfüllung gehen, meint der Kommandeur der ukrainischen Luftsturmtruppen. «Wir schätzen, dass es mehr als 10'000 [Nordkoreaner in Kursk] gibt», wird Ihor Skybiuk zitiert. «Die Streitkräfte der Ukraine eliminieren täglich mehr als 1000 [feindliche Soldaten]. Das heisst, ihr Kontingent reicht für ungefähr zehn Tage.»

Der Brigadegeneral führt aus: «Ich denke, [die Russen] mussten dem unter schwierigen Umständen zustimmen, wahrscheinlich Konzessionen machen, Vorteile anbieten, sich öffentlich blamieren. Die Kampfkraft dieser Einheiten ist ziemlich fragwürdig, wenn man an die Umstände in Nordkorea denkt.»

Moskau ist von den Verlusten in Kursk unbeeindruckt und verlegt angeblich die 76. Luftlandedivision mit rund 7500 Mann in die Region. Sie verstärken die auf 50'000 Soldaten geschätzte russische Armee in Kursk, die neben Nordkoreanern vor allem aus Marineinfanteristen und Luftlandetruppen bestehen soll.