Experten und Politiker warnen Putin will offenbar Krieg in weiterem Land provozieren

phi

15.3.2024

Aserbaidschans autokratischer Präsident Ilham Alijew schüttelt am 31. Oktober 2022 in Moskau Wladimir Putins Hand.
Aserbaidschans autokratischer Präsident Ilham Alijew schüttelt am 31. Oktober 2022 in Moskau Wladimir Putins Hand.
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Experten glauben, dass Wladimir Putin Druck auf Aserbaidschan ausübt, damit Baku Armenien erneut angreift. Die demokratische Regierung in Eriwan soll destabilisiert werden, damit Moskau Einfluss zurückgewinnt.

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Der armenische Premier Nikol Paschinjan warnt vor steigenden Spannungen zwischen seinem Land und Aserbaidschan.
  • Russland unterstützt Bakus Aggressionen, sagen verschiedene Experten.
  • Die prekäre Sicherheitslage soll die demokratische Regierung in Eriwan stürzen, die Wladimir Putin ein Dorn im Auge ist.
  • Aserbaidschan soll mit Gewalt die Errichtung des Sangesur-Korridors im Süden Armeniens durchdrücken, in dem dann russische «Friedenstruppen» stationiert werden sollen.
  • Die Aussicht auf US-Sanktionen hält Aserbaidschan noch von einem erneuten Waffengang ab.

Es kriselt im Kaukasus. Mal wieder. Oder immer noch? Seit 1988 schwelt der Konflikt um Bergkarabach. Zuletzt gab es 2020 Krieg um die Region. 2023 hat Baku den Latschin-Korridor geschlossen und Eriwan damit die Verbindung zu dem einst mehrheitlich von Armeniern bewohnten Gebiet genommen. Und nun will Russland Aserbaidschan angeblich dazu bewegen, erneut anzugreifen. 

Die Zeichen stehen auf Konfrontation, mahnt auch der armenische Premier im Interview mit «France 24»: Laut Nikol Paschinjan verbreite Bakus Propaganda derzeit, «dass die meisten Gebiete der Republik Armenien aserbaidschanisch sind». Auch auf höchster Ebene ist das Tischtuch offenbar zerschnitten.

Neben den USA hält vor allem Frankreich den schützenden Schirm über Armenien: Nikol Paschinjan (Dritter von rechts) besucht am 21. Februar Emmanuel Macron (Zweiter von rechts) im Pariser Élysée-Palast.
Neben den USA hält vor allem Frankreich den schützenden Schirm über Armenien: Nikol Paschinjan (Dritter von rechts) besucht am 21. Februar Emmanuel Macron (Zweiter von rechts) im Pariser Élysée-Palast.
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«Ich glaube, dass bereits die Geschichte unserer Beziehungen die Grundlage für tiefes Misstrauen bildet», sagt Paschinjan dazu. «Ich denke, es hat keinen Sinn, den Führer Aserbaidschans und mich zu fragen, ob wir einander vertrauen oder nicht. Offensichtlich nicht.»

Moskau wäre ein neuer Krieg nur recht, glaubt Grant Mikaelian: «Russland unterstützt Aserbaidschans Aggression» erklärt der Politikwissenschaftler der Eriwaner Denkfabrik Kaukasus Institut gegnüber «The Insider». «Russland mag Armeniens Politik nach 2018 nicht, und Russland hat sich auf diese Strategie festgelegt, um [Armenien] zu schaden.»

Putin will mit «Friedenstruppen» Einfluss zurückgewinnen

Das sei allgemein Putins Ansatz gegenüber post-sowjetischen Staaten: Wer Moskau gegenüber nicht «maximal freundlich» gesinnt sei, würde als Regierung unterwandert. Mikaelian fürchtet mit Blick auf die Rhetorik des Aussenministeriums, dass der Kreml bereits eine Entscheidung getroffen habe und den Druck verstärken werde.

Moskau habe bereits beim Krieg vor vier Jahren seine Finger im Spiel gehabt, pflichtet Arif Yunusov vom Institute of Peace and Democracy bei: «2020 hätte Aserbaidschan ohne Russlands Zustimmung keine militärischen Aktionen in [Bergkarabach] gestartet», erklärt der aserbaidschanische Oppositionelle, der in den Niederlanden im Exil lebt.

Wegen West-Bindung und dem Verlust von Bergkarabach: Demonstrierende fordern am 13. März in Eriwan den Rücktritt von Paschinjan.
Wegen West-Bindung und dem Verlust von Bergkarabach: Demonstrierende fordern am 13. März in Eriwan den Rücktritt von Paschinjan.
IMAGO/ITAR-TASS/ Sipa USA

Die «Friedenstruppen», die Russland in Aserbaidschan postiert habe, würde nicht wie vertraglich vereinbart 2025 abgezogen, ist sich Yunusov sicher. EU-Beobachter auf der armenischen Seite würde Putin am liebsten abziehen sehen, doch einen entsprechenden Vorschlag, sie durch russische Soldaten zu ersetzen, habe Eriwan im Dezember abgelehnt. 

«Darum macht Putin jetzt Druck auf Alijew»

«Es ist in Russlands strategischem Interesse, dass Aserbaidschan Armenien angreift», sagt auch Nerses Kopalyan von der University of Nevada. Das Ziel: «Der Kreml hofft auf einen Zusammenbruch des demokratischen Systems.» Auf eine Schwächung Eriwans ziele auch die Einrichtung des Sangesur-Korridors ab: Falls der Realität werden würde, würden russische «Friedenstruppen» im Süden des Landes stationiert werden.

«Konzeptionell erlaubt das Russland, die Kontrolle und Dominanz über Armenien wieder herzustellen», führt Kopalyan aus. «Darum macht Putin jetzt Druck auf [Aserbaidschans autokratischen Präsidenten Ilham] Alijew, in Armenien einzufallen und den Sangesur-Korridors einzurichten.»

Lage der vorgeschlagenen Sangesur-Korridor (grüne Pfeile unten im Bild).
Lage der vorgeschlagenen Sangesur-Korridor (grüne Pfeile unten im Bild).
Commons/Mapeh

Es ist allein der Haltung Washingtons geschuldet, dass der Krieg nicht schon wieder aufgeflammt ist, weiss Kopalyan: «Es ist ein offenes Geheimnis, dass es drohende US-Sanktionen sind, die Alijhew in den letzten zwei Jahren von einem Angriff auf Armenien abgehalten haben.