Aserbaidschan vs. Armenien Ein Angriff mit Ansage

Von Philipp Dahm

19.9.2023

Aserbaidschans Angriff auf Bergkarabach bringt den armenischen Premier Nikol Paschinjan in Not: Er will keinen Krieg, weil sein Militär keine Chance hat. Der Gegner, aber auch Teile des eigenen Volks, haben aber andere Pläne.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Aserbaidschanische Truppen haben Bergkarabach angegriffen.
  • Seit mehr als zwei Wochen gab es bereits kleinere Artillerieangriffe. Beide Seiten beschuldigten sich gegenseitig des Beschusses. 
  • Der russische Präsident Wladimir Putin betonte am 12. September, Bergkarabach sei Teil Aserbaidschans. Gleichzeitig konzentrierte Bakus Machthaber Ilham Alijew Truppen an der Grenze zur Region.
  • Aserbaidschan fordert den Rückzug aller armenischen Truppen aus Bergkarabach. Eriwan will dort aber keine stationiert haben.
  • Armeniens Premier betont, sein Land befände sich nicht im Krieg, doch dafür bekommt er innenpolitisch nun Druck. Der wird von Gerüchten über einen Wagner-Coup befeuert.

Chronik eines angekündigten Angriffs – schon wieder. Der Südkaukasus kommt einfach nicht zur Ruhe, nachdem es zuletzt 2020 viele Tote bei Kämpfen zwischen Aserbaidschan und Armenien zu beklagen gab.

Die neuerliche aserbaidschanische Attacke auf Bergkarabach alias Nagorno-Karabach konnte man kommen sehen. Seit Monaten blockiert Baku den Latschin-Korridor, der Armenien mit dem jetzt umkämpften Gebiet verbindet: Eine humanitäre Katastrophe hat die dortige armenische Bevölkerung ereilt.

Die US-Regierung hat wegen der prekären Lage die Regierung in Baku am 31. August ihre «Sorgen» mitgeteilt, doch die Situation eskaliert fortan: Anfang September kommen nach armenischen Angaben drei Soldaten ums Leben, als aserbaidschanische Artillerie das Grenzgebiet zwischen der autonomen Region und nordwestlichen Gebieten Aserbaidschans beschiesst.

Kreml-Freibrief für Alijew?

Baku rechtfertigt das mit angeblichem armenischem Beschuss. Zudem würde Eriwan Stellungen in Bergkarabach verstärken. Wie Armenien trotz des gesperrten Korridors Soldaten in ein Gebiet bringt, in dem es am Nötigsten fehlt, bleibt das Geheimnis von Ilham Alijew, dem diktatorischen Machthaber.

Offen sichtbar ist dagegen der aserbaidschanische Militäraufmarsch an der Grenze zu Bergkarabach. Und Wladimir Putin trägt seinen Teil dazu bei, dass Baku keinen Widerstand gegen einen erneuten Angriff erkennen kann. Der Kreml-Chef wird am 12. September nach dem Konflikt gefragt: «Es gibt dazu nichts zu sagen, wenn Armenien selbst anerkannt hat, dass Karabach ein Teil Aserbaidschans ist.»

Das kann als Freibrief für Alijew interpretiert werden und ist wohl die Retourkutsche für Eriwans Liebesentzug, weil Armenien sich nicht ausreichend von Russland geschützt fühlt und anderen Staaten zuwendet. Zu Recht, wie sich zeigt: Nur einen Tag später beschuldigt Armenien Aserbaidschan, Bergkarabach mit Artillerie zu beschiessen.

Armeniens Armee chancenlos

Und nun schlägt Alijews Armee zu. Sollten armenische Truppen tatsächlich die Aserbaidschaner provoziert haben, wäre das eine tödlich törichte Aktion. Eriwans Streitkräfte haben dem Gegner nichts entgegenzusetzen, wie sich schon 2020 gezeigt hatte: Alijew hat dank Öl- und Gasverkäufen Millionen in sein Militär investieren können.

Bilder in sozialen Netzwerken zeigen dann auch vor allem Erfolge der aserbaidschanischen Drohnen-Flotte und Artillerie. Baku fordert den Rückzug aller armenischen Truppen aus Bergkarabach. Eriwan will dagegen keine Soldaten in der Region stationiert haben.

Militärisch ist die Schlacht schon geschlagen. Bergkarabach soll von aserbaidschanischen Truppen umstellt sein, die Lage an der Grenze zu Armenien ist offenbar stabil. Nicht zuletzt wegen Armeniens Premier Nikol Paschinjan, der betont, sein Land befände sich nicht im Krieg und wolle auch keinen führen. 

Proteste gegen den Premier – weil er keinen Krieg will

Das wird Paschinjan aber womöglich nichts nutzen: Der 48-Jährige kommt nicht nur aussen politisch unter Druck, auch im Inneren rumort es. Vor wenigen Tagen hat das Gerücht, die Söldnergruppe Wagner könne einen Putsch versuchen, offizielle Ermittlungen nach sich gezogen.

Nach dem neuerlichen Angriff haben sich die Menschen in der Hauptstadt Eriwan auf dem Platz der Republik versammelt – angeblich wegen des Gerüchts eines russischen Coups. Sie skandieren: «Nikol [Paschinjan] ist ein Verräter.» Die Polizei riegelt das Regierungsgebäude und Parlament ab. 

Der Kreml teilt bisher mit, man sei wegen des «Anti-Terror-Einsatzes» im Austausch mit Baku. Das tönt nicht gut für Armenien. Die Türkei wird kaum mässigend auf Aserbaidschan einwirken. Paris verurteilt das Ganze, aber nach der Abkehr von russischer Energie ist von der EU kein Gegenwind zu erwarten, um den Öl- und Gaslieferanten nicht zu verprellen.

Kurz: Premier Paschinjan steht das Wasser bis zum Hals. Wenn Washington nicht hilft, wird es eng für ihn.